Um herauszufinden, was man braucht, um ein rechtsextremes Weltbild zu entwickeln, untersucht seit 2002 ein Forschungsprojekt um den Bielefelder Professor Wilhelm Heitmeyer die „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Seit längerem geht die Sozialforschung nämlich davon aus, dass hinter rechtsextremen Ideologien immer die Vorstellung steckt, es herrsche eine Ungleichwertigkeit zwischen Menschen. Rechtsextreme bilden sich ein, durch ihre Zugehörigkeit zur Mehrheit die eigentlich Höherwertigen zu sein. Daraus leiten sie wiederum ihr Recht auf Ausgrenzung, Diskriminierung und im schlimmsten Fall Gewalt gegen Andere ab.
„Zum Teil werden Gruppen gegen andere instrumentalisiert oder als Bedrohungspotential auf die öffentliche Tagesordnung gehoben. Eine andere Variante ist, die Situation schwacher Gruppen gar nicht erst zu thematisieren, sie also aus der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion auszuschließen, zu vergessen; mithin sie nicht anzuerkennen, um nicht über Verbesserungen ihrer Lage nachdenken zu müssen. Klammheimlich kann dazu auch die „Schuldumkehr“ eingesetzt werden, womit die Ursachen für Abwertungen – quasi gesellschaftsentlastend – den Gruppen selbst zugeschrieben werden“ so Heitmeyer zur Brisanz seiner Untersuchungen. Über einen Zeitraum von 10 Jahren werden jährlich 2.000 repräsentativ ausgewählte Personen in Deutschland interviewt. Ein Zwischenergebnis ist, dass sich die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit u.a. in folgenden Ansichten äußert:
– Weiße sollten führend in der Welt sein
– Es gebe zu viele „Ausländer“ in Deutschland
– Juden und Jüdinnen hätten zu viel Einfluss hierzulande
– und seien überdies selber schuld am Holocaust
– Homosexuelle seien eklig
– Behinderte fordern zu viel
– Alle muslimischen Menschen und ihrer Glaubensvorstellungen, Rituale, Symbole sind pauschal verurteilungswürdig
– Alteingesessener haben immer ein Vorrecht gegenüber Zugezogenen
– Frauen sollen sich auf Haushalt und Kinderbetreuung beschränken.
Nun ist nicht jeder, der eine der genannten Ansichten vertritt, automatisch ein Rechtsextremist. Anders herum stellte sich bei Befragungen von Rechtsextremen heraus, dass diese immer ein Bündel der o.g. Ansichten teilten. Die Wissenschaftler um Heitmeyer betonen allerdings, dass jede der genannten Ansichten bereits im Kern die Herabsetzung anderer Menschen bedeute und damit zu einem Klima der „Vergiftung“ (Heitmeyer) unserer Gesellschaft beitrage.
Der Prozess der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit beginnt meines Erachtens bereits in der Erfindung von Minderheiten-Gruppen: Indem Menschen pauschal zu „Ausländern“, „Muslimen“ usw. etikettiert werden, werden Differenzierungen innerhalb dieser Gruppen verwischt. Die Angehörigen dieser Gruppen werden sodann mit vorurteilsbeladenen Attributen versehen, die sie zum Hassobjekt machen. Wie wir aus der Psychologie wissen, werden Vorurteile gebildet, indem man ein eher nebensächlichen Detail zum Charakteristikum – und zum einzigen! – dieser Gruppe macht. Das heißt also, dass dieses Detail zwar faktisch existiert, aber weder von großer Bedeutung ist, noch auf alle Angehörigen der Gruppe zutrifft.
Den Hintergrund einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bildet laut Heitmeyer die eigene Angst vor Verarmung und damit verbunden die Befürchtung, nicht mehr dazuzugehören.
Anstatt jedoch die Ursachen der eigenen Verunsicherung zu erkennen, wird die eigene Machtlosigkeit auf die vermeintlich Anderen projiziert. Die eigene Situation empfindet man als ungerecht, weil einem die Privilegien, die man genießen müsste, vorenthalten würden. Das führt wiederum zur o.g. feindlichen Haltung gegenüber denjenigen, die vermeintlich zu Unrecht bestimmte Rechte in Anspruch nehmen. Diese Strategie macht zwar nicht glücklich, sie entlastet aber. Die eigenen Bedrohungsängste haben nun ein fassbares Objekt; jemand, den ich konkret dafür verantwortlich machen kann; noch dazu jemand, der oder die schwächer ist als ich. Zudem wird Komplexität verringert, denn tatsächlich ist für das Gefühl der eigenen Bedrohung ein ganzes Bündel an Ursachen zuständig, die im Wortsinn eine globale Dimension haben.
Mehr Informationen über das Forschungsprojekt finden sich hier.