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Der Duce und sein Philosoph: Faschismus als Lebensstil

 

Italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus waren lange Jahre, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Von anti-faschistischer Seite brachte dies beiden Regimen ein, gleichermaßen unter dem Sammelbegriff „Faschismus“ verhandelt zu werden. Allerdings werden über den gemeinsamen militärischen Kampf hinaus bisweilen auch zahlreiche, vor allem ideologische Differenzen übersehen. Während der Nationalsozialismus das Wesen des Menschen in seiner biologischen Natur verortete und mittels Rassenzüchtung einen “neuen Menschen” schaffen wollte, stellt der Faschismus als Ideologie den Kampf um den Geist des Menschen in den Vordergrund.

Zu diesen Unterschieden gehört dabei weniger, dass Hitler nach Mussolinis „Marsch auf Rom“ den Duce gar als Vorbild sah und zunächst versuchte, es ihm mit dem Marsch auf die Feldherrenhalle im Jahr 1923 gleich zu tun, um nach seiner Machtübernahme in Deutschland im Jahre 1933 umgekehrt Italien schrittweise zum bloßen Annex eines „arischen“ Imperiums zu degradieren. Ebenso wenig ist mit dieser Differenz die Tatsache gemeint, dass der Nationalsozialismus gerade aus Gründen der Niederhaltung sozialistischer und kommunistischer Arbeitermilieus selbst zu sozialen Wohltaten greifen musste, die ihm bis heute in gewissen Bevölkerungskreisen zu nostalgischen Mythen verhelfen. Denn auch der Faschismus stellte wie der Nationalsozialismus für die bis dahin traditionelle politische Rechte eine erhebliche Neuerung dar. So betonte Mussolini in “Die politische und soziale Doktrin des Faschismus”: „Die faschistische Ablehnung des Sozialismus, der Demokratie und des Liberalismus darf nicht Glauben machen, daß der Faschismus die Welt in den Zustand vor 1789 zurückversetzen möchte (…). Es gibt kein Rückwärts. (…) Eine Partei, die eine Nation totalitär beherrscht, ist ein neues Faktum in der Geschichte.“ Gemeint war hiermit vor allem die aktivistische Einbindung der Massen, die etwa für die monarchistische Rechte ganz undenkbar gewesen wäre. Dieser auf beschädigte Weise demokratische Sog der Massen erzwang nicht nur im Nationalsozialismus, sonderngentile ebenso im Faschismus den Einbau ursprünglich linker, auf soziale Fragen abzielender Ideologieelemente in die eigene Denkwelt. Hierin liegt der eigentliche Grund für die immer wieder geäußerte These, dass der Faschismus „weder zur Rechten noch zur Linken“ gehöre, wie der Philosoph des italienischen Faschismus und erste Erziehungsminister im Kabinett Mussolinis, Giovanni Gentile (1875-1944), anmerkte.

Schon Mussolini erklärte im Jahr 1919, dass der Faschismus dem Sozialismus nicht den Krieg erklärt habe, „weil er sozialistisch, sondern weil er gegen die Nation gerichtet ist. (…) Wir müssen der Arbeit entgegenkommen, die Postulate der arbeitenden Klasse annehmen.“ Hierzu zählte Mussolini nicht nur die Einführung des 8-Stunden-Tages, sondern ebenso die „Kontrolle über die Industrien“. „Gut, wir werden diese Forderungen stützen.“, erklärte der Duce. Und auch in dem am 28. August 1919 durch das Zentralkomitee der „Fasci Italiani di Combattimento“ erlassenen Parteiprogramm wird neben der Einführung des 8-Stunden-Tages die „Festsetzung von Mindestlöhnen“, die Einführung des passiven und aktiven Frauenwahlrechts, die „Beteiligung der Vertreter der Arbeiterschaft im technischen Betrieb der Industrie“, die Herabsetzung des Renteneintrittsalters von 65 auf 55 Jahre sowie die „Verstaatlichung aller Waffen- und Munitionsfabriken“ gefordert.

Auch wenn der Nationalsozialismus in seinen sozialen Forderungen nicht so weit ging wie der Faschismus, versuchte auch er sich an der „sozialdemokratischen Abfederung“ (Kubitschek) der Massen. Trotz dieser funktionellen Ähnlichkeit bestehen zwischen Faschismus und Nationalsozialismus dennoch gravierende vor allem ideologische Unterschiede, denn bekanntermaßen kam es trotz aller faschistischen Gewalt in Italien nicht zu Massenvernichtungsprogrammen wie im Dritten Reich.

Zurückzuführen ist dies vor allem darauf, dass im Faschismus nicht die Rasse, sondern der Staat im Vordergrund aller Überlegungen steht, da erst der Staat auch den Individuen ihr jeweiliges Gepräge gebe, er die Voraussetzung für „Wert und Recht der Bürger“ (Gentile) sei. „In diesem Sinne ist der Faschismus totalitär, und der faschistische Staat als Zusammenfassung und Vereinheitlichung aller Werte gibt dem Leben des ganzen Volkes seine Deutung, bringt es zur Entfaltung und bekräftigt es.“, so Mussolini in dem Text „Die Philosophie des Faschismus in ihren Grundgedanken“. Während also im Nationalsozialismus eine biologisch definierte Rasse mittels des Staates zu einer homogenen Nation geformt werden sollte, konstituiert nach faschistischer Ideologie erst der Staat die Substanz der Nation und sieht sie nicht als im Grundsatz bereits vorhanden an. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest verstehbar, dass der Faschismus zentrale Motive der Arbeiterbewegung aufzunehmen versuchte, um dem Klassenkampf ein Ende zu bereiten. Wenn der Mensch nur ist, was er ist, durch den Staat und dessen Einheit durch Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen gefährdet erscheint, bedroht der Klassenkampf nach dieser Logik nicht nur den Staat, sondern letztlich jeden Einzelnen selbst.

Hinter der unterschiedlichen Bewertung von Rasse und Nation in Nationalsozialismus und Faschismus verbirgt sich jedoch nicht nur eine Differenz in der politischen Philosophie, sondern letztlich in der Anthropologie, also in einer anderen Auffassung darüber, was eigentlich der Mensch sei. Der Philosoph des italienischen Faschismus, Giovanni Gentile, Erziehungsminister im ersten Kabinett Mussolinis, spottet denn auch über den primitiven „Naturalismus“ der Nationalisten: „Die Nation der Nationalisten ist, kurz gesagt, etwas, das nicht kraft des Geistes, sondern durch Naturgegebenheit und Naturtatsache besteht (…).“ Diese Sichtweise stellt für Gentile jedoch einen „Defekt“ dar. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Faschismus im strikten Sinne auch den Nationalsozialismus letztlich als eine Abart des liberalen Materialismus ansehen muss – eben als sein il-liberales Geschwisterkind. Ein Materialismus, also die Reduzierung des Menschen und seiner wesentlichen Bestimmungsmomente auf die (biologische) Materie, bleibt bei ihm wie im Liberalismus bestehen. Im Unterschied hierzu hebt Gentile hervor, dass der Faschismus an „die Macht der idealen Prinzipien“ glaube und sich die Nation „im Geist verwirklicht“ – und eben nicht im „Blut“.

Diese Auffassung teilte ausdrücklich auch Benito Mussolini: „Der Faschismus ist (…) eine geistige Haltung, die ebenfalls aus der allgemeinen Gegenbewegung unseres Jahrhunderts gegen den kraftlosen und materialistischen Positivismus des neunzehnten Jahrhunderts hervorgegangen ist.“ Während eine materialistische politische Philosophie des Nationalismus also immer schon von der Existenz eines biologischen Substrats ausgeht, die ihre Träger angeblich mit einer besonderen Würde versieht – vor aller individuellen Leistung -, verachtet der Faschist das „bequeme Leben“ und glaubt, dass Würde erarbeitet werden muss. Faschismus bedeutet nach Mussolini somit „Erziehung zum Kampf, das Hinnehmen der Gefahren, die er in sich birgt; es ist ein neuer Stil (Hervorhebung M.B.) des italienischen Lebens“.

Auch der Duce träumte also wie der Führer von einem „neuen Menschen“. Während Mussolini hiermit jedoch ein antimaterialistisches, fast schön “ästhetisches” Projekt der Härte, des Kampfes und letztlich der Gewalt verfolgte, zielte Hitler auf rassische Züchtungsphantasien ab. Anlässlich einer Rede Hitlers auf dem 9. Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1937, der als „Parteitag der Arbeit“ gefeiert wurde, lobte er nicht nur den Bau eines eigens für Reichsparteitagsspiele gebauten Stadions, sondern stellte diese körperliche Ertüchtigung in einen unmittelbaren Zusammenhang zum Projekt vom neuen Menschen: „Die größte Revolution (…) hat Deutschland erlebt durch die in diesem Lande zum erstenmal planmäßig in Angriff genommene Volks- und damit Rassenhygiene. Die Folgen dieser deutschen Rassenpolitik werden entscheidendere sein für die Zukunft unseres Volkes als die Auswirkungen aller anderen Gesetze. Denn sie schaffen den neuen Menschen.“

Völlig jedoch konnte sich aufgrund der politischen und Kriegsgemeinschaft beider Staaten auch der italienische Faschismus nicht dem Rassismus entziehen. Am 14. Juli 1938 legte eine Gruppe von Hochschullehren das so genannte „Rassenmanifest“ vor. Diese betonten die Realität von Rassen als wesentlichen Faktor politischer Wirklichkeit, wiesen jedoch dennoch darauf hin, dass die Existenz von Rassen nicht zwangsläufig bedeute, dass „es höhere oder niedere menschliche Rassen“ gäbe. Auch blieben die „Gelehrten“ der faschistischen Doktrin treu, indem sie den „rein biologischen Begriff“ der Rasse den Begriffen Volk und Nation gegenüber stellten, jedoch nicht ohne zu betonen, dass „den Unterschieden zwischen Völkern und Nationen Rassenunterschiede“ zugrunde lägen. Trotz dieser Annäherung an die Position der Nationalsozialisten betonten die Autoren, dass dies nicht bedeuten solle, „daß in Italien die deutschen Rassentheorien (…) unverändert eingeführt werden sollen“. An der angeblichen Nicht-Assimilierbarkeit der Juden hingegen änderte dies wenig.

Derartige Erklärungen ließen auch den Duce offenbar nicht unbeeindruckt zurück. Am 18. September 1938 erklärte er, dass die „Rassenfrage von vordringlicher Bedeutung“ sei und nicht nur die rassischen Unterschiede, sondern auch die „Überlegenheit mit aller Deutlichkeit bejaht“ werden müsste. Da das Judentum der „unversöhnliche Gegner des Faschismus“ sei, sprach sich Mussolini schließlich für die Ausweisung der „ausländischen Juden“ aus. Trotz dieser antisemitischen Sentenzen kann von einer italienischen Form des Holocaust dennoch nicht die Rede sei. Denn in der Ideologie des Faschismus geht es in erster Linie nicht um eine Frage der Zugehörigkeit zu einer biologischen „Rasse“, sondern um eine Frage des „Geistes“. Gentile irrt daher, wenn er den faschistischen Staat als „demokratisch“ bezeichnet und ihn dadurch vom „aristokratischen Staat“ des Nationalismus abgrenzt. Zumindest jene Juden, die sich nach Ansicht Mussolinis als würdig erwiesen haben, sollten theoretisch unversehrt bleiben: „Immerhin werden die Juden, die italienische Staatsangehörige sind, sofern sie unbestreitbare militärische oder bürgerliche Verdienste gegenüber Italien und dem Regime haben, Verständnis und Gerechtigkeit finden.“ Für die anderen forderte er nicht deren Vernichtung, sondern eine „Trennungspolitik“. Der “Geist des Faschismus” beansprucht folglich eine Aristokratie der Leistung zu sein, nicht der leistungslosen naturalistischen Selbsteinbildung. Was dieser letztlich anti-intellektualistische “Geist” jedoch angesichts der Tatsache wert ist, dass er den Vorrang der Tat vor dem Denken proklamiert, auf diese Weise irrationale Leidenschaften zum Taktgeber der Politik erhebt und Gewalt zur “chirurgischen Notwendigkeit” (Mussolini) erklärt, ist freilich eine ganz andere Frage.

ER
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