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Gegen „Hitlerfaschismus“ und „nationalen Nihilismus“ – Zum Faschismusbegriff der Kommunistischen Internationale (Georgi Dimitroff)

 

„Faschismus“ ist ein in der heutigen politischen Kultur allgegenwärtiger Begriff – und sei es nur bei der Formulierung „antifaschistischer“ Bekenntnisse. Dass dieser spezifische Faschismusbegriff jedoch auf eine kommunistische Tradition stalinistischer Prägung verweist, ist dabei den wenigsten „Antifaschisten“ bewusst.

Im Juli/August 1935 tagte nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland die Kommunistische Internationale in Moskau. Delegierte aus insgesamt 65 Parteien zogen die Konsequenzen aus der Machtübernahme des Hitler-Regimes in Deutschland und wollten eine kommunistische Antwort auf den „Hitlerfaschismus“ formulieren. Legendär: die Rede Georgi Dimitroffs über die „Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale“.

Dieser Rede entstammt die berühmte Definition des Faschismus als die „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Diese Definition, die schließlich gar Eingang fand in eine Resolution, stammt dabei keinesfalls von Dimitroff selbst. Dieser stützte sich in seiner Rede vielmehr auf eine Erklärung des XIII. Plenums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI).

Die Kommunisten interpretierten den europäischen Faschismus dabei im Rahmen einer marxistisch-leninistischen Kapitalismus- und Imperalismuskritik. Demnach würden mit Fortschreiten des Kapitalismus dessen Monopolisierungstendenzen immer weiter zunehmen. Gleichzeitig würde jedoch der dem Kapitalismus innewohnende Mechanismus der Verdrängung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen nicht nur Massenverelendung in den kapitalistischen Staaten hervorrufen, sondern auch für ein Absinken der Profitrate des Kapitals sorgen. Den Kapitalisten der entwickelten Länder bliebe mithin nichts anderes übrig, als nach Verwertungsmöglichkeiten im Ausland zu suchen und andere Länder zu unterwerfen (Imperialismus). „Die herrschende Bourgeoisie sucht immer mehr ihre Rettung im Faschismus, um die schlimmsten Ausplünderungsmaßnahmen gegen die Werktätigen durchzuführen, um einen imperialistischen Raubkrieg vorzubereiten, um die Sowjetunion zu überfallen.“, stellte Dimitroff seinerzeit gleich zu Beginn seiner Rede klar und traf sich so frühzeitig in einem Motiv mit dem rechten Historiker Ernst Nolte, der erst Jahrzehnte später im Anti-Bolschewismus das eigentliche Movens des Nationalsozialismus entdeckt zu haben glaubte.

Nach kommunistischer Lehre wird am Ende folglich eine Gleichsetzung von „Kapitalismus“ und „Faschismus“ vorgenommen. Zumindest enthält demnach jede kapitalistische Gesellschaft nicht nur die Möglichkeit zum Faschismus, sondern neigt in ihrer letzten Entwicklungsstufe mit Notwendigkeit zu dieser „Entartung“. Damit gerät nicht nur jeder Vertreter des Kapitals zum potenziellen und realen Faschisten, sondern auch jeder, der nicht mit größtem Eifer an der Niederringung des Kapitalismus mitarbeitet. Wie Stalin warf bekanntermaßen auch Dimitroff daher der Sozialdemokratie vor, eine „Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie“ gegründet zu haben und letztlich „vor allem“ dafür verantwortlich zu sein, dass der Faschismus in Europa Erfolge feiern konnte. Sozialdemokraten oder alle, die nicht an der Weltrevolution mitbasteln wollen, erwiesen sich vor diesem Hintergrund als eine Unterart des Faschismus, als bloße „Sozialfaschisten“. Diesen „frenetischen Automatismus“ (Armin Mohler) in der Kennzeichnung des politischen Gegners als „Faschist“ haben dabei nicht nur konservative Rechte immer wieder kritisiert. Selbst linksliberale Intellektuelle wie Jens Jessen (DIE ZEIT) sahen sich vor ein paar Jahren genötigt, vor einer um sich greifenden Inflationierung des Faschismusvorwurfs zu warnen: „Es ist noch kaum gelungen, die törichten Reflexe eines blinden Antikommunismus zu überwinden, der überall eine linke Weltverschwörung wuchern sieht, da ist ein hysterischer Antifaschismus schon wieder da. Als Faschist gilt heutzutage jemand schneller, als er blinzeln kann.“ Aus Sicht von so manchem „Linken“ gilt immer noch jeder, der nicht für die Weltrevolution und die Überwindung des Kapitalismus kämpft, als Faschist. Letztlich macht sich ein so weit reichender und damit letztlich nichtssagender Faschismus-Begriff aber einer Verharmlosung des Nationalsozialismus schuldig, weil er keinen relevanten Unterschied mehr zwischen Hitler und einem bürgerlichen Demokraten festhalten kann.

Bei aller inflationären Auslegung des „Faschismus“-Begriffes kamen jedoch auch die Redner des VII. Kongresses der Kommunistischen Internationale nicht an Differenzierungen vorbei. Zwar klassifizierten sie alle führenden europäischen Staaten als „imperialistisch“ und daher zumindest proto-faschistisch, jedoch galt auch unter den eindeutig „faschistischen“ Staaten der deutsche Nationalsozialismus als besonders kritikwürdig. Er sei, so Dimitroff, als „Hitlerfaschismus“ nicht nur „bürgerlicher Nationalismus“, sondern „bestialischer Chauvinismus“, ein „Regierungssystem des politischen Banditentums“.  Besonders perfide sei es, dass sich ausgerechnet der „Hitlerfaschismus“ demagogisch die „Maske“ des nationalen „Sozialismus“ aufsetze und auf diese Weise den Versuch unternehme, auch bei den Werktätigen Fuß zu fassen.

Dieser Faschismus-Begriff der Kommunistischen Internationale verschwand keinesfalls mit dem Tode Stalins in der historischen Mottenkiste, sondern erlebte dank der Schriften der „Kritischen Theorie“ insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren Westdeutschlands eine neue Blütephase. Bereits im Jahr 1944 hatten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrem Grundlagenwerk „Dialektik der Aufklärung“  vor der „Selbstzerstörung der Aufklärung“ gewarnt. H.C.F. Masilla nahm diese Tradition sowie neuere Werke der Kritischen Theorie im Jahr 1971 zum Anlass, in seinem Buch „Faschismus und eindimensionale Gesellschaft“ darauf zu insistieren, dass der Faschismus nicht als einmaliger „Betriebsunfall des Kapitalismus“ begriffen werden könne, sondern Produkt von „Tendenzen der bürgerlichen Ordnung“ sei, „die die Bedingung der Möglichkeit von Faschismus überhaupt begründeten“. Da Mansilla diese Kausalität wiederum mit der „Tendenz zum Monopolismus“ in Verbindung brachte und daher die „Notwendigkeit gewisser Formen des Totalitarismus im Spätkapitalismus damals und heute“ proklamierte, lässt sich trotz Mansillas gegenteiliger Behauptung kaum eine substanzielle theoretische Differenz zwischen dieser Neuauflage der Faschismus-Theorie und der Stalins oder Dimitroffs erkennen.

Einen wesentlichen Unterschied gibt es indes doch. Dimitroff machte in seiner Rede nämlich nicht nur die Sozialdemokraten für die Machtergreifung der „Faschisten“ verantwortlich, sondern auch die kommunistischen Parteien selbst. Diese hätten es z.B. auch beim Versailler Friedensvertrag nicht verstanden, sich „verständnisvoll (…) (der) Eigenart der nationalen Psychologie der Volksmassen“ zu widmen. Stattdessen hätten sie das Feld des Nationalen den Faschisten allein überlassen. Dimitroff entgegnete hierauf in heute kaum vorstellbarer Weise: „Wir Kommunisten sind unversöhnliche grundsätzliche Gegner des bürgerlichen Nationalismus in allen seinen Spielarten. Aber wir sind nicht Anhänger des nationalen Nihilismus und dürfen niemals als solche auftreten. Die Aufgabe, die Arbeiter und alle Werktätigen im Geiste des proletarischen Internationalismus zu erziehen, ist eine der grundlegenden Aufgaben jeder kommunistischen Partei. Aber derjenige, der glaubt, daß ihm dies gestatte oder ihn gar veranlassen dürfe, auf alle nationalen Gefühle der breiten werktätigen Massen zu pfeifen, der ist vom wirklichen Bolschewismus weit entfernt (…).“ Allein von der sozialistischen Revolution sei die „Rettung der Nation“ vor imperialistischen Übergriffen zu erwarten. Eine fast wortgleiche Resolution wurde am 20. August 1935 in Moskau von den Kommunisten der Welt mit breiter Mehrheit angenommen.

ER
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de