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Antisemitismus hat viele Gesichter

 

Im Zuge des Krieges Israels gegen die Hamas im Gaza-Streifen schlagen vielerorts die Wellen hoch: Demonstrationen, Kundgebungen, Protestresolutionen überall. Der Protest gegen den Krieg schlägt leider mancherorts in antisemitische Stereotype und zum Teil sogar in Gewalt um – es wäre Aufgabe von den Teilnehmenden der Veranstaltungen sich deutlich von diesem Teil des Protestes zu distanzieren.

Übergriffe gegen jüdische Menschen

In der EU wächst dabei die Sorge angesichts vermehrter Übergriffe gegen Juden seit Beginn der israelischen Gaza-Offensive. Negative Höhepunkte waren während der letzten Wochen Brandanschläge auf Synagogen in Frankreich und zahlreiche Zwischenfälle u.a. in Großbritannien, Belgien und Dänemark, wo am Neujahrstag in einem Einkaufszentrum auf zwei Israelis geschossen wurde. In Italien rief ein Gewerkschaftsverband dazu auf, nicht mehr bei Juden zu kaufen. Hinzu kommen ungezählte verbale Angriffe gegen jüdische Menschen (hier Beispiele aus der Schweiz). Vielerorts findet zudem in keiner Form eine deutliche Abgrenzung zu der Hamas oder zur Hisbollah statt.

Die Situation in Deutschland

Auch in Deutschland ist die Situation sehr aufgeladen. Wahrscheinlich haben viele noch die Presseberichte von vergangener Woche vor Augen, als in Duisburg während einer Demo gegen den Krieg, die Polizei unter dem Jubel der Demo-Teilnehmer die Wohnung eines Studenten stürmte, nur weil dieser eine Israel-Flagge im Fenster hängen hatte (spiegel, 13.1.).

So berichtet MUT gegen rechte Gewalt auch von verschiedenen handgreiflichen Übergriffen mit antisemitischem Hintergrund im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen den Krieg im Gaza-Streifen.

Relativierung des Holocausts

Eine leider häufig zu sehende Form des Protestes ist die Gleichsetzung Israels mit dem NS und die Situation der palästinensischen Bevölkerung mit der des Holocaust an den europäischen Juden. Dies ist eine antismetische Form der Israelkritik. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt dazu sehr treffend:

„Solche Vergleiche dienen nicht selten im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr der Verdrängung und Distanzierung einer Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Indem die einstigen Opfer – so jedenfalls häufig die Rezeption der israelischen Gesellschaft bzw. des Existenzrechts des Staates Israel – zu vermeintlichen Tätern gestempelt werden, lassen sich Schuld- und Schamgefühle als Last aus der Vergangenheit leicht verdrängen. Dazu dienen häufig auch Zuschreibungen aus der NS-Terminologie wie Israel würde einen „Vernichtungskrieg“ führen, die Titulierung palästinensischer Flüchtlingslager als Konzentrationslager, die Bezeichnung der Israelis als „Herrenrasse“, die Pogrome und Deportationen verübe bis hin zu Stereotypisierungen der israelischen Politik als Genozid an den Palästinensern oder die Führung eines „totalen Krieges“.

Solche Vergleiche sind ein willkommener Mechanismus, in der Öffentlichkeit tabuisierte antisemitische Vorurteile zu äußern und sich auf den Satz „man wird doch wohl noch kritisieren dürfen“ zurückzuziehen. Wobei es nicht relevant ist, ob jemand tatsächlich Antisemit ist, sondern ob er antisemitische Stereotype bedient, die als willkommen aufgenommen werden und denjenigen, der sich solcher Konstrukte bedient als mutig bezeichnen, weil er endlich wagt, etwas „gegen Juden“ zu sagen.

Gerade heute bekam ich eine Rundmail, in der diese Gleichsetzung von NS und Israel eins zu eins umgesetzt wurde. Ein wirklich heftiges Stück Propaganda, das selbst vor dem Vergleich der Situation der palästinensischen Bevölkerung mit Auschwitz nicht Halt machte.

Sekundärer Antisemitismus

Nazis nutzen die Situation ebenfalls gezielt, um ihre Form des sekundären Antisemitismus zu verbreiten, der in einer Schuldabwehr bei der deutschen Bevölkerung ansetzt:

Man kann das Phänomen „Sekundärer Antisemitismus“ ein wenig überspitzt so auf den Punkt bringen: Judenhass nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Oder, wie es der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex sarkastisch sagte: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nicht verzeihen.“

Auch hierzu gibt es interessante Informationen bei der Bundeszentrale (hier).

Es bleibt zu wünschen, dass sich die Demo-Teilnehmer/innen in Zukunft deutlicher von antisemitischen Positionen abgrenzen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Eine Debatte um verschiedene Formen antisemitischer Argumentationslinien scheint in jedem Falle hilfreich zu sein, um klare Trennungslinien ziehen zu können.