Claus Schenk Graf von Stauffenberg und dessen Attentat vom 20. Juli 1944 ist dieser Tage in aller Munde. Der Grund: Der Hollywoodstreifen „Operation Walküre“ ist in den deutschen Kinos angelaufen und floppt offenbar. An der JF-Redaktion wird das wahrscheinlich nicht liegen, denn die dürfte pünktlich zum Start mit der gesamten Mannschaft ins Kino gestürmt sein. Kein Wunder, ist es doch Stauffenberg, der es ihnen scheinbar ermöglicht, ungebrochenen Hauptes stolz auf die eigene ethnische Herkunft zu sein.
Schon seit vielen Jahren beschäftigen sich zahlreiche Autoren der JF mit dem „Mythos Stauffenberg“. Das bringt selbst sozialdemokratische Politiker wie Egon Bahr zu dem respektvollen Urteil, dass keine andere deutsche Zeitung die Erinnerung an die Attentäter des 20. Juli 1944 „so leidenschaftlich engagiert, so ernst“ wach halte wie die JF. In steter Regelmäßigkeit widmete sie Stauffenberg und seinen Unterstützern Artikel um Artikel, Titelseite um Titelseite. Im letzten Jahr veröffentlichte der hauseigene Verlag mit „Helden der Nation“ aus diesem Fundus an Beiträgen schließlich gar einen 500 Seiten starken Sammelband, der dieser Tage intensiv beworben wird. Zwar ist der überwiegende Teil des Buches Stauffenberg und seinen Mitverschwörern gewidmet, jedoch finden sich darin auch zahlreiche Texte zur „Weißen Rose“ sowie zum kirchlichen Widerstand und weiteren Widerstandsgruppen.
Die Texte sind, wie bei der rechtskonservativen JF gewohnt, meist gut geschrieben und sauber recherchiert. Sie bieten einen breiten Überblick über den 20. Juli 1944 aus alternativer Quelle. Indes bleiben sie ein bloßer Nachdruck bereits veröffentlichter Texte, die zudem im online-Archiv des Wochenblattes bei Bedarf kostenfrei einsehbar sind. Zumindest für künftige Wiederabdruckprojekte wäre zu erwägen, durch die Autoren einen wissenschaftlichen Kriterien genügenden Quellenapparat beisteuern zu lassen. So könnten derartige Sammelbände mehr sein als die bloße Ersparnis des Selbstausdruckens.
Wichtiger als die Qualität der einzelnen Beiträge erscheint jedoch die Motivlage, unter der die JF den „Mythos Stauffenberg“ am Leben erhalten will. Herausgeber Dieter Stein beklagt im Vorwort, dass das wiedervereinigte Deutschland noch immer nicht „den Patriotismus und Widerstandsgeist des 20. Juli 1944 ins Zentrum der nationalen Erinnerung“ stellt. Warum, so mag man sich fragen, sollte das wiedervereinigte Deutschland auch ausgerechnet das tun?
In einem unscheinbaren Interview mit Bärbel Richter zu einer JF-Leser-Umfrage brachte Stein die politische Motivation seines verlegerischen Geschäfts dabei selbst auf den Punkt: „Die Helden des 20. Juli ermöglichen es einem Deutschen heutiger Generation, sich mit der gesamten deutschen Geschichte positiv zu identifizieren und den Glauben an einen ungebrochenen Begriff deutscher Ehre zu gewinnen (…).“ Und dieses Idealbild deutscher Tugendhaftigkeit erblickt Stein, selbst gelernter Soldat, offenbar im preußischen Offizier – so wie Stauffenberg einer war.
Genau diese Form der Geschichtsinterpretation nicht unter sachlichen, sondern politischen Vorzeichen hatte das beste Pferd im JF-Stall, Thorsten Hinz, in seinem JF-Wiederabdruckband „Das verlorene Land“ noch als „Geschichtspolitik“ tituliert. Freilich, Geschichtspolitik im schlichten Sinne, also die „Einwirkung der Politik auf die Auswahl, Strukturierung und Interpretation geschichtlicher Fakten“ ist für Hinz etwas „völlig Normales“ und für die eigene Identitätsbildung essenziell notwendig. Anders hingegen sieht er dies, wenn Geschichtspolitik mit ideologischem Einschlag auftritt, sie „zunehmend auf Tabuisierungen und Mythologisierungen zurückgreift“.
Was die Autoren der JF dem politischen Gegner vorwerfen, tun sie am Ende jedoch selbst. Sie mythologisieren und tabuisieren, wo die geschichtlichen Fakten nicht dem eigenen politischen Interesse genügen, nämlich einen „ungebrochenen Begriff deutscher Ehre“ zu gewinnen. Besonders aufschlussreich ist dabei ein Abschnitt des Bandes „Helden der Nation“. Unter der Überschrift „Der 20. Juli unter Verdacht“ soll geschichtspolitischen Aspekten des Hitlerattentats nachgegangen werden. Im Kern jedoch beschränkt sich eine erhebliche Anzahl der Beiträge darauf, die Attentäter gegen Kritik zu immunisieren, ohne sich mit den erhobenen Vorwürfen selbst substanziell auseinanderzusetzen. Denn würden die Fehler und Verfehlungen auch der konservativen Hitlerattentäter unumwunden anerkannt, wäre es schnell vorbei mit der blütenreinen Weste. Sie wären eben keine „Helden“ der Nation mehr.
Und so findet sich in dem 500 Seiten umfassenden „Heldengedenkband“ kaum ein Hinweis auf den legendären Brief Stauffenbergs aus dem Jahr 1939 von der Ostfront, in dem er an seine Frau schrieb: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohl fühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun.“ – geschweige denn eine ernsthafte Auseinandersetzung damit. Nun, als „lupenreiner Demokrat“ wird man so etwas wohl kaum zu Papier bringen. Stauffenbergs aristokratischer Elitismus paart sich hier recht deutlich mit antisemitischen Vorurteilen. „Helden“ schreiben andere Briefe. Genau hierauf, dies sei zur Ehrenrettung gesagt, hat jüngst Michael Hofer in der JF aufmerksam gemacht.
Indes ist mit all’ dem noch gar nicht darüber entschieden, ob Stauffenberg nicht vielleicht doch ein Held war. Dies hängt nämlich zunächst vom Begriff des Helden selbst ab. In der homerischen Mythologie waren „Heroen“ bekanntermaßen Halbgötter und nicht einmal die fehlerfrei. Insofern wäre es gleich mehrfach verfehlt, nur solche Menschen für „heldenhaft“ zu halten, deren Persönlichkeitsweste tatsächlich lupenrein weiß ist. Denn: Einen solchen Menschen gibt es einfach nicht. Der bei der JF spürbare Versuch, aus geschichtspolitischen Motiven die Schattenseiten des Oberst Stauffenberg eher zu verschweigen, um so den Heldenmythos für einen „ungebrochenen Begriff deutscher Ehre“ am Leben erhalten zu können, geht schlicht von einem falschen Begriff des menschlichen Helden aus.
Wenn alle Menschen fehlbar sind, also weder das absolut Gute noch das absolut Böse auf Erden einen Ort hat, können „Helden“ folglich nur noch Menschen sein, die in entscheidender Situation eine Leistung vollbringen, die deutlich dasjenige überschreitet, wozu Menschen im Durchschnitt bereit oder in der Lage sind. Stauffenberg hat – spät genug -, aber er hat genau diesen Schritt gewagt. Diese existenzielle Entscheidung erscheint uns Heutigen in einer Welt, in der „das Leiden der Autofahrer am Kälteeinbruch die innenpolitische Spitzennachricht liefert“ (Hinz), beinahe unwirklich. Die Attentäter des 20. Juli bürgten für ihre „Entscheidungen mit einem Ernst“, den ihre Kritiker in warmer Nachkriegsstube nicht aufbringen können: „mit dem eigenen Leben.“ (Günther Gillessen) Wer von uns hätte das auch getan?
Doch gerade diese Stärke der Persönlichkeit, die sich in konkreten Ereignissen zu Entscheidungen verdichtet, wird entweiht, wenn sie zu geschichtspolitischen Zwecken instrumentalisiert wird. Dieter Stein und seine Redakteure erweisen trotz ihrer Verdienste um die Erinnerung an die Attentäter des 20. Juli 1944 Stauffenberg und seinen Unterstützern am Ende einen Bärendienst. Sie rauben der existenziellen Entscheidung durch geschichtspolitische Instrumentalisierung genau jenen Ernst, den sie von sich aus und für sich – ohne Hintersinn – in Anspruch nehmen muss. Am ambivalenten Menschen Stauffenberg wird zugleich deutlich, dass das Projekt eines „ungebrochenen Begriffs deutscher Ehre“ nicht nur ein historischer Widerspruch in sich ist, sondern zugleich eine anthropologische Unmöglichkeit. Einen „ungebrochenen Begriff deutscher Ehre“ kann es schon deshalb nicht geben, weil es auf dieser Erde keinen ungebrochenen Menschen gibt. Den „Fall Auschwitz“ muss man da erst gar nicht bemühen.
Genau diesen Ernst, der jedem im Abspann von „Operation Walküre“ zu Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh’“ deutlich werden muss, wenn er nicht „krankhaft verhärtet“ (Hinz) ist, lässt Stein jedoch in einem arglos veröffentlichten Interview mit den Machern von „Blaue Narzisse“ vermissen. Es scheint ganz, als arbeitete man in Berlin und nicht nur dort an einer psychologischen Ersatzhandlung: Gerade weil Stauffenberg für Stein und Co. den preußischen Helden verkörpert und man sich zugleich in dessen Tradition wähnt, fällt – so offenbar die Hoffnung – auch etwas von dem Heldenglanze auf jedes Mitglied des eigenen Milieus ab, ohne selbst in absehbarer Gefahr zu stehen, in einer entscheidenden historischen Situation tatsächlich durch eigene Tat und nicht durch das bloße Wort Zeugnis ablegen zu müssen. Und damit der Edelstein so richtig funkelt, müssen funkelnde Konkurrenten prompt ins Abseits gestellt werden. Stein bringt so tatsächlich den Satz über die Lippen, dass im Unterschied zum konservativen Widerstand bei den Kommunisten ja auch einige übergelaufen seien und „für eine gegnerische Armee“ gearbeitet hätten – nicht ohne noch schnell hinzuzufügen: „Alles hochkompliziert“.
Allerdings wird man sich in der Redaktion von „Junge Freiheit“ irgendwann entscheiden müssen: Entweder war Stauffenberg ein Held und das Attentat auf Hitler richtig. Wer zu dieser Bewertung kommt, muss dann zugleich Stauffenbergs anfängliche Unterstützung für das NS-Regime nachträglich für einen schweren politischen und auch menschlichen Fehler halten. Er kann vor allem mit Blick auf den 8. Mai 1945 nicht sinnvoll, wie bei Thorsten Hinz noch anlässlich des 9. November 2008 geschehen, von einer „Niederlage“ sprechen, weil der Begriff der Niederlage letztlich eine Identifikation mit Hitler-Deutschland voraussetzt. Und jeder echte Stauffenberg-Verehrer darf nicht jenen Menschen den nötigen Respekt versagen, die wie er gegen Hitler kämpfen wollten, jedoch der Auffassung waren, dass dies am besten auf der Seite „anderer“ Armeen zu bewerkstelligen sei. Denn immerhin sind ausgerechnet jene dadurch im historischen Recht, dass Hitler am Ende eben nicht durch deutsche Militärs, sondern „gegnerische Armeen“ aufgehalten wurde. Aber: Waren es dann eigentlich noch „gegnerische Armeen“?
Zu Ehren gefallener deutscher Soldaten steuerte Ernst Jünger im Jahr 1928 zu dem Buch „Die Unvergessenen“ Vor- und Nachwort bei. Er betonte bereits damals, dass Helden zu verehren nicht bedeuten könne, „sich aus dem Holze der Masse einen Heiligen zu schnitzen“. Vor allem betonte er allerdings, dass Menschen im bewussten Tod für etwas, was sie selbst überragt, das Leben paradoxerweise „auf die mächtigste Weise“ bejahen. Denn in dieser existenziellen Situation wird durch Inkaufnahme des eigenen Todes blitzartig deutlich, was einem das eigene Leben bedeutet. Man zeigt durch die Bereitschaft zu sterben, wofür man eigentlich leben will. Jünger vergaß jedoch nicht hinzuzufügen, dass hinter dieser Grenze des Todes kein Platz für geschichtspolitische Instrumentalisierung ist: „Der Tod bildet die Grenze, hinter der die Verschiedenheit erlischt. Wie weit oder eng der Kreis des Lebens auch gezogen sein möge, der Sprung über jene letzte Schranke ist für jeden gleich bedeutungsvoll.“ Wir verneigen uns daher vor dem Ernst des Lebens und allen Widerständlern des Dritten Reiches. Auch vor Oberst Stauffenberg. Ohne Hintersinn.
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