In längeren Interviews mit aktiven oder ehemaligen Rechtsextremist_innen fallen häufig Aussagen, die viel über deren persönliche Motivation mitteilen und darüber, wie die Szene jenseits der politischen Statements funktioniert. Oft geht es dabei um die Überhöhung der Kameradschaft, um die Einbindung beinahe aller Lebensbereiche in die rechtsextreme Gemeinschaft, um das Gefühl der Bedrohung durch alles Äußere und Fremde – und die vermeintliche Gewissheit, dass eben nur die Kameraden, die Anführer und schließlich die nationalistische Umwälzung Erlösung bringt.
Hier läuten dem/der aufmerksamen Zuhörer_in die Alarmglocken – zumal wenn er oder sie psychologische und religionswissenschaftliche Erfahrung hat. Zwischen der Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Gruppierung und der Zugehörigkeit zu einer religiösen Sekte gibt es nämlich eine Reihe von Parallelen.
Lassen wir einmal die historischen Hintergründe des Sektenbegriffes bei Seite, so können wir innerhalb des zeitgenössischen Gebrauchs desselben folgende Merkmale feststellen:
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die Integration in die Sekte geschieht über den kontinuierlichen Abbruch von Beziehungen zur Welt jenseits der Sekte.
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Damit einher geht die Abhängigkeit von den anderen Sektenmitgliedern bezüglich sozialer Beziehungen und der Deutung der Realität.
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Dies führt wiederum dazu, dass sich das Denken und Wahrnehmen sukzessive von der Realität entfernt:
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Die Außenwelt wird als verkommen, teuflisch, sündhaft, feindlich und letztendlich als Bedrohung empfunden.
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Im starken Kontrast dazu steht einerseits die eigene Sekte bzw. Gruppe, die Rückhalt und Sicherheit bietet.
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Zum Anderen verspricht das jeweilige Rezept und die jeweilige Utopie der Sekte Heilung und Erlösung, sofern man nur bereit sei, sich mehr und mehr diesem zu unterwerfen.
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An dieser Stelle tritt der oder treten die Sektenführer auf, deren Macht vor allem darin besteht, Zugang zum Wissen um dieses Erlösungs-Rezept anzubieten.
Beim aktuellen Rechtsextremismus erscheint mir das ähnlich. Bereits der Zugang zur rechten Szene geschieht aus dem Gefühl der eigenen Bedrohung heraus, in unserer Gesellschaft sozial zu vereinsamen, kulturell zu kurz zu kommen und ökonomisch unterzugehen. Das ungestillte Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung ist oftmals die Einstiegsmotivation, die durch die beobachtete, zum Teil erlebte und vor allem erhoffte Kameradschaft gestillt werden möchte. (vgl. Möller, K.; Schuhmacher, N.: Rechte Glatzen. Rechtsextreme Orientierungs- und Szenezusammenhänge – Einstiegs-, Verbleibs- und Ausstiegsprozesse von Skinheads. Wiesbaden 2007)
Rechtsextreme Organisationen und Gruppierungen nutzen das bewusst aus. Über ein abgestuftes System des Mitmachens werden Sympathisierende mehr und mehr in den Kern der Szene integriert. Letztere übernimmt nach und nach Funktionen der nicht-rechten Gesellschaft. Die Betroffenen werden von ihrem bisherigen Freundeskreis isoliert – und schließlich von ihren Familien. In etlichen Fällen berichtete etwa die Eltern rechtsextremer Jugendlicher, dass sie in Anrufen von den örtlichen Führern darauf hingewiesen worden seien, dass sie der Integration ihres Kindes in die rechte Szene nicht im Wege stehen sollen.
Zugleich wird die Welt außerhalb der rechten Bewegung in den düstersten Farben geschildert. Beispiele: der hessische Ministerpräsident Roland Koch wird als „kapitalistischer Zionist“ identifiziert; die Fahrt mit der Hamburger S-Bahn so geschildert: „Dort wird ganz offen mit Drogen gehandelt und fast wöchentlich deutsche Bürger zusammengeschlagen“. Das Boulevardblatt Hamburger Morgenpost gilt als „ultralinks“ (Zitate stammen aus der Website der NPD Hamburg). Oder, ganz schlimm: „Ausländerbanden terrorisieren Bochholt“ (aus dem Forum von combat18). Man stelle sich das vor: eine ganze Kleinstadt wird von marodierenden Banden Fremder terrorisiert… das erinnert in seiner Drastik an die Belagerung durch die Schweden im 30-jährigen Krieg. Unabhängige Zeitungsberichte, die das rechte Weltbild gerade rücken können, werden abgewehrt: „die bundesweite Hetzkampagne der etablierten Polit- und Medienmafia“ schreibt man etwa auf der Homepage des Aktionsbüro Norddeutschland.
Dem entgegen gesetzt wird die – übertriebene – Stärke der rechten Gemeinschaft. In folgendem Zitat fällt die Überbewertung der eigenen Szene mit pseudoreligiösen Mythizismen zusammen: „Die 224 anwesenden Kameraden stellten sich in Zweierreihen auf, entzündeten ihre Fackeln und betraten das Festgelände zum Trommelklang durch ein Spalier von schwarzen Fahnen. In zwei konzentrischen Kreisen umrundete der Fackelzug den Holzstoß, bis schließlich in einem großen Kreis Aufstellung genommen wurde. Wie bereits unsere Ahnen vor tausenden von Jahren feierte man die Wiedergeburt des Lichtes durch die nun wieder länger werdenden Tage und damit die Geburt eines neuen Jahres.“ (Aktionsbüro Norddeutschland).
Und immer wieder wird die Erlösung beschworen: „Für uns steht unumstößlich fest, daß dieses System mit allen Mitteln bekämpft werden muß, wenn wir unser Volk aus den Fesseln des Kapitals befreien wollen und unseren Kindern eine gesunde Zukunft in einem nationalen und sozialistischen Deutschland bieten wollen! Deshalb: Kämpft mit uns! Für ein freies, soziales und nationales Deutschland!“ (Aktionsbüro Norddeutschland: Jugend-zu-uns-Kampagne).
Wie bei Sekten, so funktioniert auch beim Rechtsextremismus der Ausstieg aus dem geschlossenen ideologischen Weltbild, das irgendwann als geistiges Gefängnis erlebt wird. Denn die Realität lässt sich für intelligente und integre Menschen auf Dauer nicht verdrängen, zumal wenn es an bestimmten Stellen Berührungspunkte zu Menschen außerhalb der Szene gibt, die nachvollziehbar den Standpunkten ihrer ideologischen Führer widersprechen. Die Realität unserer Gesellschaft ist sehr viel komplexer, widersprüchlicher und bunter, als es die rechtsextremen Ideologen vorgaukeln. Und: sie ist auf Dauer viel spannender.
Zudem stellt sich insbesondere für Anhänger rechtsextremer Gruppen irgendwann heraus, dass sich hinter der Kameradschaft in Wirklichkeit brutale Machtkämpfe verbergen, in deren Verlauf auch vor Gewalt gegen die eigenen Leute nicht zurückgeschreckt wird. (vgl. Rommelsbacher, B.: „Der Hass hat uns geeint“. Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene. Frankfurt/M. 2006) Indiz dafür ist u.a. der Umgang der Szene mit Aussteiger_innen, die in den meisten Fällen gezwungen sind, eine neue Identität anzunehmen, wollen sie nicht der Feme ihrer ehemaligen Gesinnungsgenoss_innen zum Opfer fallen.
Wer die rechte Szene über längere Zeit hinweg beobachtet, kennt überdies deren ausgeprägten Hang zur Selbstzerfleischung – aktuell innerhalb der Parteiführung der NPD. So kann man also hoffen, dass auch in der dunklen Jahreszeit möglichst vielen Sekten- und Nazi-Anhänger_innen ein Licht aufgeht.