Aus Angst vor Neonazis darf am Samstag in der sächsischen Stadt Colditz ein antirassistisches Fußball-Turnier nicht stattfinden. Bürgermeister und Fußballverein stellen sich quer, während die Polizei sich nicht im Stande sieht, die Veranstaltung zu schützen. Das Resultat ist viel Beifall aus der Naziszene und Entsetzen bei Politikern und Initiativen gegen Rechts. Alltag in Sachsen.
Die Probleme begannen vor einigen Wochen, als dem örtlichen Fußballverein klar wurde, dass es sich um keine „normale“ Sportveranstaltung handeln werde. „Angefragt wurde der Platz für ein kleines Fußballturnier“, sagt der Vorsitzende des Colditzer Fußballvereins Thomas Wasner. Plötzlich sei dann von einem „alternativen Turnier mit Livemusik, Bands und lauter solcher Sachen“ die Rede gewesen. Das Wort „alternativ“ gilt offenbar als Reizwort in Colditz. Bei den Landtagswahlen 2004 gingen hier 10 Prozent der Stimmen an die rechtsextreme NPD.
Das Fußballturnier sollte ein gemeinsames Signal gegen Rassismus und die NPD sein. Am kommenden Samstag war es mit Livemusik und Infoständen auf dem Colditzer Fußballplatz geplant. Organisiert wurde das Fest von der Kampagne „Meine Stimme gegen Nazis„. Unter diesem Namen engagieren sich sächsische Vereine und Initiativen für mehr Demokratie und gegen die erstarkende rechte Szene in der Region. Ihr Ziel ist es, den erneuten Einzug der NPD in den sächsischen Landtag Ende August zu verhindern. Prominente Unterstützung erhält das Projekt vom DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, dem Pfarrer der Dresdner Frauenkirche Sebastian Feydt, dem Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer und der Grünen Bundestagsabgeordneten Monika Lazar.
„Aber was passiert denn, wenn die mir ein Hakenkreuz in den Rasen ätzen?“, fragt Wasner. Der Verantwortliche des Fußballvereins hat Angst, dass die Neonazis sich durch das Fußballturnier provoziert fühlen und es zu Sachbeschädigungen kommen könnte. „Die Bundestagsabgeordneten haben beim Turnier ihre Wahlwerbung und ich habe danach den Schaden“, sagt er. Der Verein beschloss deshalb den Platz nur freizugeben, falls die Stadt oder jemand anderes die volle Verantwortung für etwaige Sachbeschädigungen durch Rechtsextremisten übernehmen würde.
Daraufhin wurde ein klärendes Gespräch zwischen den Festveranstaltern unter Anwesenheit des Bürgermeisters Manfred Heinz (FDP) und der Polizei einberufen. Das Ergebnis: Der Bürgermeister, selbst begeisterter Fußballspieler, fühlte sich von den Nazi-Gegnern übergangen. Ein „ganz normales“ Fußballturnier habe man angemeldet, aber „das, was raus gekommen ist“ sei etwas völlig anderes. Hinzu kamen Einwände der Sicherheitsbehörden. „Die Polizei hat ganz klar gesagt, es stünden an diesem Tag nicht genügend Kräfte zur Verfügung, um die Veranstaltung zu schützen“, sagt Wasner. Nicht die gewalttätigen Neonazis wurden zum Problem erklärt, sondern diejenigen, die sich gegen die rechtsextreme Hegemonie im Ort engagieren wollen. Das Turnier musste abgesagt werden.
„Wir hätten uns gewünscht, dass der Bürgermeister über seinen Schatten springt und uns trotz anfänglicher Unstimmigkeiten seine Unterstützung zusichert“, sagt Solvejg Höppner vom Verein Kulturbüro Sachsen. Gerade in Colditz seien zivilgesellschaftliche Akteure dringend auf die Hilfe von Bürgermeistern, Stadtverwaltungen und der Polizei angewiesen. „Es ist fatal, wenn in dieser Region gewalttätige Neonazis indirekt die Politik mitbestimmen können.“
Natürlich habe auch er Probleme mit Neonazis, die ihm sogar schon die Scheiben eingeworfen hätten, entgegnet Colditz‘ Bürgermeister. Doch so eine Veranstaltung hätte schließlich von Anfang an ordnungsgemäß angemeldet werden müssen. Die Pressemitteilung von „Mein Stimme gegen Nazis“ und einen offenen Brief der Partei Die Grünen, mit der Bitte das Turnier stattfinden zu lassen, deutet er als böswillige Hetzkampagne gegen ihn. Die rechtsextreme Szene bejubelt unterdessen in einschlägigen Internetforen die Turnierabsage als Erfolg des „Nationalen Widerstands“ und freut sich über die „National Befreite Zone Colditz“.
Die Neonaziszene in der Region Colditz ist sehr aktiv. Im Februar vergangenen Jahres wurden nach einem Konzert gegen Rechts drei Besucher von einer Gruppe Rechtsextremisten krankenhausreif geprügelt. Drei Wochen später griffen etwa 100 vermummte Nazis das Geschäft eines Colditzer Kneipenbesitzers an, der seinen Saal für alternative Konzerte vermietet hatte. Die Fensterscheiben des Geschäftes sowie einer darüber liegenden Wohnung und die Türscheibe eines Dönerimbiss wurden durch Steine und Rauchbomben zerstört. Sachschaden: fast 10.000 Euro.
Die Rechtsextremen setzen in der sächsischen Provinz genau das um, was ihre Kader seit Jahren predigen. Schon Anfang der 90er kursierte in Strategiepapieren der Naziszene das Schlagwort „National Befreite Zone“. Gemeint ist der Wunsch, Straßenzüge, Viertel oder ganze Städte so zu dominieren, dass potentielle Opfergruppen, wie Schwarze, Schwule, Behinderte oder alternative Jugendliche sich nicht mehr frei bewegen können und jederzeit mit Gewalt rechnen müssen. Darüber hinaus sollen „nationale Strukturen“ in Form von Firmen, die nur Neonazis einstellen und die Szene finanziell unterstützen geschaffen werden. Demokratische Intervention soll durch ein Klima der Angst unmöglich gemacht werden. In Colditz scheint das Konzept aufzugehen.
Dass eine Stadt aufgrund rechtsextremer Bedrohung kapituliert, bleibt für die Unterstützer des Fußballfests unverständlich. „Sicherheitsbedenken dürfen nicht dazu führen, dass zivilgesellschaftliches Engagement vor Ort diskreditiert wird“, sagt die Politikerin der Grünen Monika Lazar. Sie fordert den Bürgermeister auf, das Turnier stattfinden zu lassen. Daran, dass Bürgermeister und Fußballverein doch noch einlenken, glaubt in Colditz jedoch kaum noch jemand.
„Meine Stimme gegen Nazis“ hat vorsorglich für Samstag eine Kundgebung mit Livemusik auf dem Marktplatz angemeldet. Nur Fußball kann hier nicht gespielt werden.