NPD-Landeschef Jörg Hähnel schickte Briefe an Bundestagskandidaten als „Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter“. Grünen-Politiker Özcan Mutlu will prüfen lassen, ob das Pamphlet strafrechtlich geahndet werden kann. Die Tagesspiegel-Autoren Ferda Ataman und Frank Jansen über die neuste Wahlkampf-Masche der Rechtsextremisten.
Die Berliner NPD versucht, ihren lahmen Wahlkampf mit einer derben Provokation doch noch in Schwung zu bringen – und hat sich prompt ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingehandelt. Wenige Tage vor der Bundestagswahl schickte die rechtsextreme Partei einen Brief an mehrere Politiker mit Migrationshintergrund. Den Empfängern wird verkündet, sie hätten Deutschland zu verlassen. Das zweiseitige Schreiben, das wie eine amtliche „Bekanntmachung“ aufgemacht ist, in der „Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter informiert“, haben unter anderem türkischstämmige Bundestagskandidaten per Post an ihre Privatadresse erhalten. Es solle sie „mit den Einzelheiten Ihrer Heimreise“ vertraut machen, heißt es darin.
Die NPD bestätigte, den Brief am Wochenende verschickt zu haben. Der Briefumschlag kam ohne Absender, als Verantwortlicher wird allerdings der Berliner NPD-Chef Jörg Hähnel aufgeführt. Die Staatsanwaltschaft reagierte rasch: Nach Prüfung des Pamphlets leitete sie am Montag ein Ermittlungsverfahren gegen Hähnel ein. Es gebe den Anfangsverdacht auf Volksverhetzung, sagte der Leiter der Staatsschutzabteilung, Oberstaatsanwalt Michael von Hagen, dem Tagesspiegel.
Die „Bekanntmachung“, die laut Hähnel demnächst auch bei anderen Einwanderern im Briefkasten landen wird, soll offiziell klingen: Gemäß einem „Fünf-Punkte-Plan“ würden „Ausländer schrittweise in ihre Heimatländer zurückgeführt“, Auszahlungsansprüche aus der Sozialversicherung würden zwar bestehen, allerdings sollten sich die Betroffenen „schon jetzt“ um Unterkunft und Arbeit in den Heimatländern kümmern.
Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu ärgerte sich über die postalische Belästigung vom Samstag. „Die haben immer noch nicht verstanden, dass dieses Land auch unser Land ist“, sagte Mutlu. Er erhalte oft E-Mails und Drohbriefe von Rechtsextremen, daran habe er sich leider gewöhnt. Diesmal, so befürchtet er, könnten Einwanderer erschreckt sein, die nicht erkennen, dass der NPD-Brief „eine billige Wahlkampfmasche ist“, ohne irgendeine rechtliche Grundlage.
Der in der eigenen Partei umstrittene NPD-Landeschef Hähnel (interner Spitzname „Hähnchen“) ist schon vor dem Brief zweimal mit der Justiz aneinandergeraten: Im Juli bestätigte das Landgericht eine Verurteilung durch das Amtsgericht Tiergarten. Hähnel hatte im Dezember 2007 in einer Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg, der er seit drei Jahren angehört, den 1919 von Soldaten verübten Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gebilligt. Das Landgericht setzte allerdings die Geldstrafe herab. Wenige Tage später kam das nächste Urteil: Das Amtsgericht verhängte eine weitere Geldstrafe, weil Hähnel im November 2008 Mitglieder der BVV Lichtenberg mit dem Spruch beleidigt hatte, „wer dem Wort Integration zustimmt, muss sich gefallen lassen, als Verbrecher bezeichnet zu werden“. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Senatssprecher Richard Meng bewertet die nun von Hähnel verschickten Briefe als „widerlich“ und „unanständig“. Er könne nur raten, die Schreiben direkt in den Papierkorb zu werfen. Die neue Provokation ist offenkundig Teil einer Strategie der NPD, im Superwahljahr um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erringen. Mit mäßigem Erfolg: In Sachsen gelang der Wiedereinzug in den Landtag eher knapp, in Thüringen blieb die Partei draußen, im Westen ist sie bedeutungslos, in Brandenburg sind die Chancen am Sonntag gering. Bei der Bundestagswahl hat sie keine.
(Der Text erschien am 22.9.2009 im Tagesspiegel)