Sich in strukturschwachen, ländlichen Regionen erfolgreich gegen Rechts zu engagieren braucht viel Kraft, noch mehr Ausdauer und eine große Portion Mut. Bernd Stracke lebt seit 15 Jahren in dem kleinen sächsischen Ort Kittlitz und hat dort ein weit verzweigtes Netzwerk gegen Rechts aufgebaut. Früher wurde er dafür angefeindet, Heute ist man ihm für sein Engagement dankbar.
Kassel, Innsbruck, Wiesbaden und immer wieder Kennzeichen mit bayrischem Wappen: Von überall her kommen die Menschen, um hier Weihnachten zu feiern- zu hause, in der Oberlausitz. In der „Zone der Angst“, wie die Medien diese Region vor zehn Jahren noch nannten. Damals schien es, als hätte rohe Gewalt der Rechtsextremisten die Oberhand gewonnen. Heute schleichen zahllose Autos behutsam über die vereisten Landstraßen und bilden eine endlos lange Lichterkette. So sehen sie aus, die Folgen der Abwanderung.
Im Tal der Ahnungslosen
Kittlitz, eine 3000 Seelengemeinde unweit der Grenze zu Polen und Tschechien. Hier wohnt Bernd Stracke. Freundlich, gemütlich sieht er aus; mit Jeans und Kapuzenjacke und bunten Wollsocken. „Is‘ kalt draußen, brauchst du Hausschuhe?“, fragt Stracke auf den Weg in sein Arbeitszimmer. Im Flur hängen ein Poncho und eine Kappe der Dropkick Murphys. „Eigentlich wäre ich jetzt ja in Mexiko“, unterbricht der gebürtige Leipziger das Gespräch. „Ich hatte schon mein Visum, da wurde meine Großmutter krank. Sie wollte auf keinen Fall, dass ihr Haus verkauft wird. Nur deshalb kam ich nach Kittlitz.“ 1995 war das, das Haus der Großmutter war verfallen und irgendwie lag die ganze Region brach. Der Boden eignete perfekt um rechtsextreme Saat zu streuen, eine Entwicklung, die Bernd Stracke nicht entging, die ihm -im Gegensatz zu den meisten Einheimischen- nicht gleichgültig war. Auf dem Tisch stapeln sich Bücher und DVDs, „Haare auf Krawall“ und „Ostpunk! Too much future“, überall findet sich sein Name. Man wendet sich oft an Stracke, wenn es um Subkulturen zu DDR-Zeiten geht. Sänger in einer Punkband war er, von der staatlichen Repression unbeeindruckt, schrieb und schrie er seinen Protest in die Welt hinaus. Jemand wie Stracke ist es gewohnt, anzuecken, denn „nur wer sich bewegt, spürt seine Ketten“, wie er sagt. „’So was wie euch hätten wir damals vergast!‘, schrie mir einmal ein Müllfahrer zu. Als ich Anzeige erstatten wollte, nahm das niemand ernst.“ Dabei wollten er und seine Freunde gar nicht so viel. Ihre Meinung sagen, ihr Leben frei und selbstbestimmt leben. „Ich bin mit der Tagesschau aufgewachsen. Dort wurden Umfragen auf der Straße geführt, jeder -egal ob alt oder jung- durfte seine Meinung sagen. Das war völlig verrückt- so was gab es im Osten nicht.“ Der Vater hatte jedes mal einen Kollaps bekommen, wenn er Ost-Fernsehen sah, deshalb herrschte im Hause Stracke striktes „Ost-Fernseh- Verbot“. „Nur wenn ich meine Oma in Kittlitz besuchte, habe ich mir ‚ein Kessel Buntes‘ angesehen. Massenverdummung war das, kein Wunder, dass die Jugendlichen hier keinen Schimmer hatten“. Als „Tal der Ahnungslosen“ war die Region zwischen Dresden und Görlitz damals verschrien, weil man hier kein Westfernsehen empfing. Stimmt schon, sagen die Leute hier, wir lebten ein bisschen hinter dem Mond. Meistens schmunzeln sie dabei-sie haben ja wirklich keine Ahnung, was ihnen entging „ARD- Außer Raum Dresden“, witzelt Bernd Stracke ohne falsche Überheblichkeit. Für ihn waren es vor allem die westlichen Medien, die ihm „das Fenster zur Welt“ öffneten. „Die Leute hier dachten, es sei normal, dass die Flüsse stinken und die Luft verpestet ist.“ Diese Leute waren nun, 1995, seine neuen Nachbaren, statt Berlin-Kreuzberg war jetzt Kittlitz seine Heimat.
Vom Nestbeschmutzer zum Netzwerker
„Das war eine gruselige Zeit“, erinnert sich Stracke, nachdem er die Fotos und Fanzines aus seiner Punker- Zeit wieder im Regal verstaut hat. „Kaum war die Mauer gefallen, trat der ganze Menschenhass zu tage.“ Rassistische Pogrome in Hoyerswerda , Rostock-Lichtenhagen und in der nahegelegenen Kleinstadt Löbau erlitt eine Schülerin einen Schädelbasisbruch, nachdem sie von einer Gruppe Neonazis brutal zusammengeschlagen worden war. Während Stracke begann, das alte Haus zu restaurieren, machten es sich die Rechtsextremisten im Ort bequem. Aus Angst oder stiller Zustimmung ließ man sie gewähren. „Zunächst versuchte ich, mit den Leuten zu reden. Schließlich wurden hier Kinder auf dem Schulweg verprügelt, nur weil sie anders aussahen.“ Aber die Leute wollten nicht zuhören, also musste der ehemalige Schreiner sich anderweitig Gehör verschaffen. Das MDR, die ARD, später die Süddeutsche Zeitung: Als die Medien von den rechtsextremen Straftaten in Kittlitz erfuhren, war Stracke der Einzige, der mit ihnen offen redete. Kittlitz wurde zum Nazi-Dorf und Bernd Stracke zum Nestbeschmutzer. „In deren Augen habe ich das ganze Dorf schlecht gemacht. Ich, der nicht mal wirklich von hier war. Die dachten, jetzt zieht mit mir der Linksextremismus ein.“ Dabei war Stracke der Erste, der Zivilcourage bewies. Laut dem 5-Stufen-Modell der Zivilcourage gehen dem Eingreifen vier entscheidende Schritte voraus: Nur wer auf das Problem aufmerksam wird und es als Notfall begreift, beginnt damit, Verantwortung zu übernehmen und Lösungen zu suchen. Für die Menschen im Ort war die Sache mit den Nazis bisher aber kein Notfall, sondern Normalität. „Wilhelm Heitmeyer hat das im Rahmen seiner Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sehr gut analysiert: Dort, wo der kulturelle Input am Niedrigsten ist, werden menschenfeindlichen Einstellungen nicht in Frage gestellt. Und dort, wo das unbestritten bleibt, gedeiht der Rechtsextremismus am besten.“ Bernd Stracke wollte den Boden nicht den Rechtspopulisten und -Extremisten überlassen. Zusammen mit einer Handvoll Mitstreiter, vorwiegend Kulturschaffende aus der Region, gründete er 2000 die Initiative „Augen Auf- Zivilcourage zeigen“, die mittlerweile als eingetragener Verein Projekte betreut und Kulturveranstaltungen organisiert. Außerdem begann Stracke damals das, womit er heute sein Geld verdient: Netzwerken. Vom Bund finanziert koordiniert er die Gelder des Lokalen Aktionsplans, hilft ambitionierten Projekten auf die Beine und ist damit das Bindeglied zwischen Initiative und Geldgeber. Regelmäßig kommt er so mit der Arbeit gegen Rechts in Kontakt, nicht selten wird er als Experte zu Rate gezogen, sei es bei Vorträgen oder für Sachbücher wie „Moderne Nazis“.
Kittlitz statt Kreuzberg
Toralf Staud warnt in seinem Buch vor einer Graswurzelrevolution. Gerade in ländlichen, Strukturschwachen Regionen gedeihe der Rechtsextremismus prächtig und werde dies auch zukünftig tun. Zu diesem Zeitpunkt, 2005, hatte Bernd Stracke bereits erkannt, dass man gegensteuern, und neben Kultur vor allem Bildung „säen“ muss, will man den Neonazis den Boden entziehen. Mit Erfolg. „Heute ist es normal, dass man mit Schülern nicht nur über Erste Hilfe spricht; neulich habe ich sogar in einem Sportverein ein Vortrag über die Gefahren von Rechtsextremismus gehalten. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.“ Ruhiger sei es geworden, glaubt der Sozialarbeiter, die Zivilgesellschaft sei aufgewacht. Endlich fruchte die jahrelange Bildungsarbeit, eine Entwicklung, die Stracke etwas zuversichtlich stimmt. „Die Gegner von solchen Programmen glauben oft, das sei Geldverschwendung. Aber es braucht mehr als zwei, drei Jahre, wenn man eine couragierte Öffentlichkeit schaffen will.“ Bernd Stracke hat es geschafft und nebenbei aus dem einst verfallenen Haus ein liebevoll hergerichtetes Zuhause gemacht. „Ich bereue es nicht, hierher gekommen zu sein. Hier habe ich genügend Acker, den ich kreativ bebauen kann und hier habe ich Mitstreiter, wirkliche Freunde. Die findet man auf dem Land schneller als in der Stadt.“ Außerdem, fährt er fort, seien kulturelle Ereignisse hier eine Seltenheit, da freue er sich jedes Mal. „In Berlin wurde man damit ja regelrecht bombardiert und dann war man ständig pleite.“ Nein, er wolle nicht zurück, er hätte es sogar gern, dass mehr Menschen hier her kommen oder das zumindest nicht ganz so viele weggehen. Ansonsten, „und da bin ich ganz naiv“, hat er noch einen Wunsch: „Ich will, dass die Welt ein bisschen schöner ist.“