Den angepeilten Einzug in den Bundestag hat die NPD bei der Bundestagswahl mehr als deutlich verfehlt, auch sonst waren die Wahlergebnisse eher ernüchternd – mit Ausnahme von Sachsen und Thüringen. Wie weiter? Immer mehr NPD-Kader fordern ein moderateres Auftreten – und Kulturkampf statt Rassenkrieg.
In Berlin liegt die NPD am Boden. Selbst für die extreme Rechte waren die Schlammschlachten der vergangenen Monate bemerkenswert heftig; es ging um Sex, Erpressung und Stasi-Mitarbeit. Nun soll es ein neuer Landesvorstand richten, ausgerechnet Eckart Bräuniger, Ex-Söldner, spielt dabei eine wichtige Rolle. In einem Positionspapier legt Bräuniger gemeinsam mit Uwe Meenen, Dietmar Tönhardt, Sebastian Schmidtke sowie Jörg Hähnel seine Ideen dar. Wie gewohnt werden sämtliche Probleme ethnisch definiert:
Bei der damit einhergehenden ethnischen und demographischen Entwicklung unserer Stadt ist es nunmehr nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund höher ist als der verbleibende Teil der angestammten, deutschen Bevölkerung, und mit diesem Wandel ist auch der endgültige Riß des sozialen Netzwerks zu erwarten.
Soweit die Analyse, daraus folgern die NPD-Kader:
In dieser Situation halten wir es für zwingend notwendig, die einzig wirklich alternative politische Kraft mit geradem Kurs und neuer Aufstellung in das Wahlkampfjahr 2011 zu führen.
Dazu wolle der NPD-Landesverband Berlin seine politische Arbeit intensivieren, „indem er nicht nur eine begrenzte Veranstaltungsoffensive plant, sondern sich auf eine umfassend offensive Politik einstellt, die dann natürlich auch öffentliche Veranstaltungen beinhaltet. Dabei sind wir grundsätzlich bereit, mit allen zusammenzuarbeiten, die uns auf dem Weg ins Berliner Abgeordnetenhaus unterstützen wollen.“
Die Ankündigung lässt sich zusammenfassen mit: Wir wollen was machen! Und wen wollen die Neonazis damit ansprechen?
„Nicht die Klientelpolitik zugunsten des einen oder anderen nationalen Spektrums ist unsere Zielsetzung, sondern eine Öffnung unserer politischen Aussage für breitere Wählerschichten. Wir sind weder Spießbürger noch Wählerschreck, sondern Berlins einzige konsequente und ernstzunehmende deutsche Alternative.“
Diese Ankündigungen stoßen selbst in rechtsextremen Kreisen auf Skepsis. In einem Internet-Forum heißt es dazu:
Na, dass will ich sehen, wie sich der Radikalinski-Verein “breiten Wählerschichten” öffnen will…
Und:
“Breite Wählerschichten”ist ein relativer Begriff. Oft findet man sie in Kneipen oder vor Supermärkten und in Fußgängerzonen. Meist sind sie offen für jeden, der ein Bier spendiert.
Der Kommentator „Systemlover“ spottet:
Na bei dem “Positionspapier” ist den “etablierten Parteien” aber bestimmt der Schreck gehörig in die Glieder gefahren. Ich prophezeie: 90% für die Berliner NPD bei der nächsten Wahl…. Oh da habe ich doch Glatt ne Null und einen Punkt unterschlagen: 0.90% für die NPD. Jetzt mal ernsthaft, wie wollt ihr den Karren aus dem Dreck ziehen? Neu-Kölln Türken und Araber frei? Und was dann? Kriegt dann die alleinerziehende deutsche Mamma von 4 Kindern, die weder über einen Schulabschluss und auch nicht über Ausbildung verfügt, ihr Leben lang keiner geordneten Arbeit nachging, dafür aber keine Talkshow in den letzten 15 Jahren verpasst hat und ungefähr soviel wiegt wie ein italienischer Kleinwagen – soll DIE auf einmal von was anderem als HartzIV und Kinderzulagen leben?
Ambitionierte NPD-Kader, die bereits die Vorzüge von Fraktionsgeldern und Dienstwagen zu schätzen gelernt haben, sprechen sich schon längst für eine neue Strategie aus, welche bei der NPD „Sächsischer Weg“ genannt wird – da die Partei in Sachsen fest etabliert ist. Dies hat aber nicht nur mit dem systematischen Vorgehen bei dem Aufbau der Strukturen zu tun, sondern vor allem mit den Verhältnissen in Sachsen. Dies wird in einem anderen aktuellen Positionspapier thematisiert. Darin heißt es:
Während man in der ehemaligen DDR in vielen Regionen bereits über funktionierende Strukturen in den Gemeinden und Kreisen verfügt, welche Ergebnisse um die 5% und in Einzelfällen sogar darüber hinaus fast garantieren und die Basis für die guten Ergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und auch Thüringen darstellen, werden die schlechtesten Ergebnisse in wirtschafts- und einwohnerstarken Bundesländern wie NRW erzielt. […] Ursache der Vernetzungsprobleme, der oftmals mangelnden Personalqualität und der Ablehnung durch das Volk ist vor allem die unterschiedliche Mentalität in Ost und West. Während im strukturschwachen Osten mit hoher Arbeitslosigkeit und einem hohen Frustrationsgrad über die falschen Versprechungen nach der Wende durch einen radikalen, systemkritischen Kurs mit einer starken sozialen Komponente und einem großen Idealismus der Mitstreiter aus Teilen der Bevölkerung Zustimmung zu vermelden ist, versagt diese Strategie im Westen völlig. Die NPD ist dort dem Mittelstand zu fremd und das deutlich kleinere Potential der sozial Verprellten wird von den traditionell verwurzelten Linksparteien abgeschöpft, sodass nur noch ein rechter Bodensatz nationaldemokratisch wählt.
Wie berichtet setzt die NPD daher im Westen auf Tarnorganisationen wie „Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA)“. Doch auch diese Strategie brachte bislang nur bescheidenen Erfolg, wie in dem Papier, dessen Autor unbenannt bleibt, eingeräumt wird, da „die Ausländerproblematisierung trotz der voranschreitenden Überfremdung“ nicht ziehe. Grund dafür sei
eine für die meisten Rechten unbequeme Wahrheit: Die meisten Westbürger haben sich mit Teilen der Ausländer in ihren Städten nicht nur abgefunden, sondern sogar angefreundet. Dies ist auch kein Wunder angesichts von Ausländeranteilen von teilweise um die 50% in manchen Städten.
Mehr Ausländer = mehr Integration – eine bemerkenswerte Gleichung für ein rechtsextremes Positionspapier. Daraus folgert der Autor:
Spätestens ab der nächsten Generation werden Rechtsparteien mit genereller Ausländerfeindlichkeit keinen Blumentopf mehr gewinnen, weil Freundschaften zwischen Heinrich und Francesco, Lisa und Svetlana keine Seltenheit, sondern die Regel sind. Diese europäischen und immer öfter auch ostasiatischen Jugendlichen sind dann gut in die (Noch-)Mehrheitsgesellschaft integriert. Eine Generalisierung des Ausländerproblems sollte die deutsche Rechte also tunlichst vermeiden.
Daher sollte sich die NPD nun „auf die arabischen und muslimischen Jugendlichen“ konzentrieren. „Wenn also in Kreuzberg verschleierte, muslimische Mädchen katholische, polnische Mädchen zusammenschlagen, dann sollte die NPD nicht die Polen per se in die Autoknacker-Ecke schieben, sondern eher für die europäischen Einwanderer Partei ergreifen!“ Der Konflikt werde sich „über kurz oder lang auf die Frage “europäisch oder arabisch” und “nicht-muslimisch oder muslimisch” zuspitzen“.
Im Osten seien es aber weiterhin“die Ausländer”, vor denen man sich ganz allgemein fürchte. Auch die antisemitische Ausrichtung werde „im strukturschwachen Osten manchmal sogar noch als Kritik am Kapital akzeptiert“. Im Westen sei „dagegen nur noch über die ethisch- und menschenrechtlich-orientierte Islamkritik und dem Vermeiden klassisch rechter Schemata wie einer unspezifischen Kritik an Einwanderern und einem antisemitischen, wirtschaftlichen Verschwörungssozialismus die Jugend zu erreichen“.
Mit diesen internen Debatten in der extrem rechten Bewegung setzt sich fort, was bereits abzusehen war: Die Neonazi-Partei NPD wird zu einer ostdeutschen Regionalpartei. Denn auch wenn sie im Westen Kulturkampf statt völkischer Ideologie propagiert – das Label ist verbrannt – und das Revier längst abgesteckt durch Pro-Parteien und andere rechte Splittergruppen. Und auch die Union wird sicherlich keine Skrupel haben, die Anti-Islam-Karte zu spielen, wenn dies als Wahlkampfthema taugt. Nur dort, wo die NPD nicht konsequent gesellschaftlich und politisch geächtet wird, wie eben in Sachsen und einigen anderen Regionen, kann sie Erfolge einfahren.