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„Die Straße frei. Den braunen Bataillonen“?

 

Nach der Blockade des Aufmarsches von Tausenden Neonazis in Dresden stehen die sächsische Polizei sowie die Blockierer in der Kritik. Der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse sprach gegenüber der dpa von einer „Niederlage für den Rechtsstaat“.

Die neonazistische „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ beklagte sich, „der verhinderte Trauermarsch vom 13.Februar 2010 ist zu einem “Trauerspiel” der gelebten “Demokratie” der BRD geworden“. Die NPD wetterte, „die BRD ist offenkundig nur noch die Karikatur eines Rechtsstaates“. Einig zeigten sich verschiedene Neonazis, dass nun neue Konzepte entwickelt werden müssten.

„Trennung zwischen friedlichen Demonstranten und Blockierern“

Jesse glaubt dennoch, dass die Neonazis nun noch stärker zusammenhalten würden – obwohl offen über Strategien gestritten wird. Den Rechtsextremen verhelfe auch die vermeintliche Schmach, dass sie erstmals überhaupt in Dresden nicht aufmarschieren konnten, zu einem Gemeinschaftserlebnis, so Jesse. Er lobte die Demonstranten auf der anderen Elbseite. Dass die Menschenkette den Neonazi-Aufmarsch nicht verhindert habe, sei kein Manko: „Sie hat für eine klare Trennung zwischen friedlichen Demonstranten auf der einen und Blockierern auf der anderen Elbseite gesorgt.“

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Foto: Recherche-ost.com

Im Umkehrschluss könnte dies heißen, für Jesse waren die Blockierer offenbar gewalttätig, was die Polizei allerdings nicht bestätigte. Sie verteidigte ihre Zurückhaltung bei den Blockaden. Die Entscheidung der Einsatzleitung, den von Neonazis angemeldeten „Trauermarsch“ nicht gegen Tausende Blockierer auf den Straßen durchzusetzen, sei die einzig richtige gewesen, sagte Landespolizeipräsident Bernd Merbitz laut MDR. „Wo wären wir heute, wenn die Polizei die Strecke am Samstag freigemacht hätte? Es hätte sich verboten, mit Gewalt gegen Kinder und ältere Frauen vorzugehen“, sagte Merbitz. Von den Blockierern selbst sei keine Gewalt ausgegangen.

Auch der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch verteidigte dem MDR zufolge das Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Es habe keine Möglichkeit gegeben, das Versammlungsrecht für die Neonazis durchzusetzen. Man habe sich außerstande gesehen, den Aufzug der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“ mit rund 6.400 Teilnehmern durchzulassen.

Die erfolgreichen Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch werden weiterhin Thema in Sachsen sein. Auf Dauer könnten Blockaden kein gerechtfertigtes Mittel sein, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) laut MDR. Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) wolle den Gedenktag von einer Arbeitsgruppe auswerten lassen. Sie sprach von einem gelungenen Signal gegen Rechtsextremismus. Man werde aber darüber reden müssen, wie man auch das Aktionsbündnis „Dresden nazifrei“ in den kommenden Jahren besser „integrieren“ könne.

NPD-Verbot gefordert

Die Grünen forderten nach dem spontanen Neonazi-Aufmarsch in Gera erneut ein NPD-Verbot. Nach Polizeiangaben waren unter den 183 Festgenommenen auch der Thüringer NPD-Vorsitzende und sein Stellvertreter. Sie hätten damit gezeigt, dass sie nicht vor Angriffen auf Andersdenkende zurückschreckten, sagte der Grüne-Abgeordnete Dirk Adams. „Damit ist ein weiteres Kriterium für ein Verbotsverfahren erfüllt.“ In Thüringen gibt es seit Monaten ein parteiübergreifendes Eintreten für ein NPD-Verbot, die Landesregierung sucht dafür den Schulterschluss mit anderen Ländern.

NPD-Funktionär festgenommen

In Pirna herrschte nach dem spontanen Aufzug von Hunderten Neonazis Entsetzen. Die teilweise vermummten Rechtsextremen hatten sich laut Sächsischer Zeitung mit Pflastersteinen bewaffnet und zwei Scheiben des SPD-Büros auf der Langen Straße eingeschlagen. Im Gebäude befindet sich auch das Büro der Pirnaer Aktion Zivilcourage. Einen Passanten verletzten sie durch Fausthiebe ins Gesicht. „Vielerorts denken die Rechtsextremisten noch immer, Herren der Straße zu sein“, sagte Martin Dulig, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, der Zeitung.

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Foto: Recherche-Ost.com

Pirnas designierter Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke (parteilos) bezeichnete die Vorkommnisse demnach als „furchtbar“ für Pirna. Falls sich bestätigen sollte, dass Pirnaer NPD-Stadträte wesentlich an der Lenkung der Meute beteiligt waren, werde das im Stadtrat entsprechend ausgewertet, sagte Hanke. Auch Günter Tischendorf, stellvertretender Vorsitzender des Stadtverbandes der Linken, fordert eine Stellungnahme der beiden NPD-Vertreter im Pirnaer Stadtrat.

Das Landeskriminalamt Sachsen bestätigte auf SZ-Nachfrage, dass es bei den Randalen zwei Festnahmen gab. Nach SZ-Informationen soll es sich dabei unter anderem um Martin Schaffrath, der für die NPD im Stadtrat Stolpen sitzt, handeln. Die beiden Festgenommenen wurden inzwischen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen; die Soko Rex ermittelt.

Siehe auch: NPD-Funktionäre nach Neonazi-Randale festgenommen, Erst die Razzien, dann die Vereinnahmung, NPD-Vorstandsmitglied droht: “Lassen Kameraden ausschwärmen”, Neonazis total blockiert