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Gerichtsurteil: Fotografen sind keine Störer

 

In Berlin wurden zwei Fotojournalisten, die vor einem NPD-Treffen standen, von Neonazis beleidigt und angegriffen. Die Polizei verwies die Fotografen anschließend des Ortes. Jetzt stellte ein Gericht klar: Der Platzverweis gegen die Pressefotografen war rechtswidrig. Das Urteil ist damit ein wichtiger Präzedenzfall für zukünftige Fälle, in denen Journalisten unter schwierigen Bedingungen in der Naziszene recherchieren.

Vom Netzwerk Fotografie und Medien

Wer in Berlin die Aktivitäten von Neonazis journalistisch begleitet und dokumentiert braucht mitunter ein dickes Fell. Spätestens seit dem Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2008 in Hamburg, wo „Autonome Nationalisten“ Pressevertreter am Rand der Demonstration attackierten, ist die Berichterstattung zum Thema Neonazismus auch in der Hauptstadt schwieriger geworden. Fachjournalisten berichten von Beschimpfungen, Bedrohungen und unterschwelligen Drohungen auf neonazistischen Internetseiten. Ambivalent ist auch das Verhalten der Polizei bei solchen Einsätzen, statt die Pressefreiheit rigoros durchzusetzen, werden die Fotografen oft als Störer eines reibungslosen Polizeieinsatzes wahrgenommen und auf Abstand gehalten. Ein Berliner Pressefotograf wurde im vergangenen Jahr nicht nur von Neonazis beschimpft und bedroht, sondern auch mit hanebüchenden Argumenten von der Polizei des Platzes verwiesen. Seine Arbeit habe die Neonazis gestört, um diese nicht weiter zu provozieren müsse er unverzüglich den Ort verlassen, ansonsten würde in Unterbindungsgewahrsam genommen. Für den Fotografen der seinen Presseausweis vorgelegt hatte, war an dieser Stelle das Maß voll. Um Rechtssicherheit für sich und seine Kollegen zu schaffen, zeigte er die Neonazis die ihn attackierten an und beantragte vor dem Berliner Verwaltungsgericht feststellen zu lassen, dass er das gute Recht dazu habe Neonaziveranstaltungen zu dokumentieren. Nach zwei mündlichen Verhandlungstagen urteilte das Gericht dass eine solchermaßen begründete Polizeimaßnahme rechtswidrig ist.

Was war passiert?

Am 29. November 2008 luden Neonazis der „Freien Kräfte Berlin“ und der Berliner NPD zu einem Vortrag in das Berlin Lichtenberger Lokal „Jägerheim“. Als Gastredner wurde der bekannte Neonazi Thomas Wulff angekündigt. Zuletzt am 26. Juli 2008 war Wulff in Passau vorläufig festgenommen, da er eine Fahne mit Hakenkreuz auf dem Grab eines verstorbenen Neonaziführers ausgebreitet hatte. Auch bei dieser Veranstaltung kam es zu Übergriffen auf Pressefotografen. Zur Verhinderung möglicher „rechts/links“-Auseinandersetzungen waren an diesen Abend ca. 50 Polizeibeamte eingesetzt worden, die sich direkt vor der Lokalität aufhielten. Nur etwa 30 Neonazis waren der Einladung gefolgt, dazu gesellten sich die drei Journalisten. Nach etwa 5 Minuten ließ sich der Einsatzleiter deren Presseausweise zeigen. Eine üblichen Maßnahme, welcher die Journalisten nachkamen. Umso verwunderlicher, dass der zuständige Einsatzleiter, der Polizeihauptkommissar Eggert, dem Wunsch der rechten Veranstalter und der ebenfalls anwesenden Staatsschutzbeamten folgte und die Presse zur „Gefahrenabwehr“ auf die andere Straßenseite verbannte. Tatsächlich wurden die Pressevertreter erst an ihrem neuen Standort von den Neonazis als „Judenpresse“ beschimpft. Eine Neonazi ging gar mit einer Glasflasche auf den Fotografen los, ein anderer drohte „ich schlag dir die Kamera vor den Kopf“ und versuchte in das Objektiv zu greifen. Die Geschädigten informierten daraufhin die Polizei und stellten Strafantrag. Auf einer von dem Berliner NPD-Funktionär Sebastian Sch. mitverantworteten Internetseite wurden im Nachgang die drei Pressevertreter mit vollem Namen genannt, zu weiteren Bedrohungen und Anfeindungen aus der Szene kommt es bis heute.

Der Landesbezirk von ver.di Berlin-Brandenburg stellte sich öffentlich hinter die Kollegen und erklärte: „Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe. Die Aufgabe der Polizei besteht darin, diese zu schützen und nicht darin, eine für die NPD und ihrem gewalttätigen Fußvolk ungestörte Neonaziveranstaltung zu garantieren. Es ist absolut unverständlich, dass erst durch die Platzverweise gegen die Presse ein solche gefährliche Situation entstehen konnte. Wir werden die Kollegen juristisch selbstverständlich unterstützen“. Am 22. Dezember 2008 stellte die Berliner Abgeordnete Evrim Baba (LINKE) eine parlamentarische Anfrage zu den Vorfällen, ihr Vorwurf: „Die Polizei hat die Pressefreiheit eingeschränkt“. In der Antwort schrieb Staatssekretär Ulrich Freise ganze zwei Monate später , Einzelheiten könnten höchstens in nichtöffentlicher Sitzung im Innenausschuss Thema sein. Es laufe aber eine Dienstaufsichtsbeschwerde, die noch nicht entschieden sei.

Das Urteil

Die 1. Kammer des Verwaltungsgericht Berlin befand am 16. Februar 2010 den Platzverweis für rechtswidrig. Der Kläger musste zusätzlich zum Presseausweis das Schreiben einer Tageszeitung vorlegen, welches seine Beauftragung zur Bildberichterstattung belegte. Die Polizei vertrat nämlich die Auffassung der Kläger habe nur provozieren wollen, er und seine Kollegen seien in der Neonaziszene als Antifaschisten bekannt, sie hätten die Neonazis provokativ „angeblitzt“ und dazu die Polizei als Rückendeckung missbraucht – kurzum „eine journalistische Tätigkeit sei nicht erkennbar gewesen“. Das Gericht sah hingegen einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Pressefreiheit, durch einen „Ermessensfehlgebrauch“ der Polizei sei der Kläger in seinen Rechten verletzt worden, denn „der Kläger konnte nicht als Störer in Anspruch genommen werden, solange er sich zweifelsfrei rechtmäßig verhielt“. Ob sich die Neonazis durch seine Anwesenheit gestört fühlten sei unerheblich, denn auch „Antifa-Aktivisten können gleichzeitig für die ihnen nahestehende Presse arbeiten“. Die polizeiliche Gefahrenkonstruktion des eskalierenden Biltzlichtgebrauches wurde als völlig lebensfremd abgeschmettert: „Eine solche Einschätzug, dass ein Blitz ausgelöst wurde, ohne Fotos machen zu wollen, ist von außen gar nicht möglich, es sei denn, der Kläger hätte in die entgegengesetzte Richtung oder in den Himmel geblitzt“. Dem Einsatzleiter gab das Gericht noch den Ratschlag auf den Weg sich zukünftig eher auf die geltende Rechtslage zu verlassen, als sich von Staatsschutzbeamten das eigene Handeln diktieren zu lassen: „Er hätte nicht allein aufgrund der Informationen von Beamten des Landeskriminalamts mit Szenekenntnis davon ausgehen dürfen, dass der Kläger und seine Begleiter nur auf Provokation aus gewesen seien“. Ein Ratschlag der sich hoffentlich herumspricht.