Beschimpfungen, Schläge , Tritte. Ein Neonaziangriff auf einen jungen Israeli in Sachsen-Anhalt setzt eine Familientragödie fort. Doch die betroffene Familie will sich nicht einschüchtern lassen.
Von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen
Die Geschichte klingt zunächst nach einem der alltäglichen Fälle rechtsextremer Gewalt. In Laucha, einer Kleinstadt im idyllischen Tal der Unstrut in Sachsen-Anhalt, schlägt und tritt am 16. April ein mutmaßlicher Neonazi einen Jugendlichen. Das Opfer ist ein 17-jähriger Israeli, der mit Mutter und Stiefvater in Laucha lebt. Die Polizei ermittelt den Täter und leitet ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und „politisch motivierter Beleidigung“ ein. Der Schläger hatte den Israeli als „Judenschwein“ beschimpft. Die Familie ist am Ort bekannt, die Mutter, ebenfalls israelische Staatsbürgerin, arbeitet als Schmuckdesignerin und engagiert sich beim Schüleraustausch mit Israel. Was kaum jemand kennt, ist die tragische Familiengeschichte des Opfers und der Mutter. Der Überfall vom April erscheint da als weiteres Kapitel einer Abfolge traumatischer Erlebnisse in Deutschland.
„Der Angriff auf meinen Sohn war ein großer Schock für mich“, sagt Tsipi Lev. „Ich habe sofort an Auschwitz gedacht, wo die ganze Familie meines Vaters ums Leben kam“, die energische Frau stockt. Ihr Vater entstammte einer Rabbinerfamilie. Die Nazis deportierten alle seine Angehörigen aus dem Warschauer Ghetto ins Vernichtungslager. Der Vater überlebte, weil es ihm gelang, sich zu verstecken. Nach dem Krieg brachte ihn eine jüdische Organisation auf ein Schiff in Richtung Palästina. Doch die Briten, damals Kolonialmacht in der Region, internierten die Flüchtlinge auf Zypern. Nach einem Jahr durften die Juden nach Palästina – und gerieten in den Krieg, mit dem sechs arabische Staaten den im Mai 1948 gegründeten Staat Israel auslöschen wollten. Als ein US-Fernsehteam den Vater 1998 zu seinen Erinnerungen befragte, erlitt er einen Herzinfarkt und starb.
Seine Tochter Tsipi wuchs in Israel auf, heiratete einen Juden und bekam zwei Söhne. Doch die Ehe zerbrach, Tsipi Lev verliebte sich in einen Hamburger, der von Laucha aus als Luftfahrtunternehmer tätig ist. 2002 zog Lev hierher. Ihr Ex-Mann wollte nicht, dass die Söhne mit nach Deutschland gehen. „Das ist das Land der Nazi-Mörder, hat er gesagt“, Lev senkt den Kopf. Ihren geschiedenen Mann belastet allerdings auch ein weiteres Trauma, das sein Bild von Deutschland verdunkelt. Sein Vater war einer der Sportler, die 1972 in München beim Angriff palästinensischer Terroristen auf Israelis getötet wurden, die an den Olympischen Spielen teilnahmen. Die Sportler starben auch, weil der Versuch der deutschen Polizei scheiterte, die Geiseln zu befreien.
Und nun der Überfall in Laucha. Das Opfer redet nur ungern über die Tat. Im Gesicht sind noch Rötungen zu sehen. „Ich habe meine Hände vor den Kopf gehalten“, sagt der 17-Jährige, der namentlich nicht genannt werden möchte. Er will kein jüdisches Vorzeigeopfer sein, berichtet indes von weiteren Fällen antijüdischen Mobbings. Fragen nach Angst vor Angriffen in Laucha wehrt er ab, „nee, nee“. Tsipi Lev betont, der Sohn habe noch Glück gehabt. Als er am Boden lag, habe ein Autofahrer den Täter angeschrien und ihren Sohn in den Wagen geholt. „Dann fuhren sie schnell weg, der Schläger rannte noch hinterher“, die Mutter beugt sich vor, „dieser Autofahrer war wie ein Engel.“
Die Courage des Helfers steht im Kontrast zur braunen Drohkulisse in Laucha. Bei den Kommunalwahlen 2009 erreichte die NPD 13,5 Prozent und zwei Sitze im Stadtrat. Einen nimmt Lutz Battke ein. Er wurde über Sachsen-Anhalt hinaus bekannt, als die Landesregierung ihn aus dem Amt des Bezirksschornsteinfegermeisters drängen wollte – und kürzlich vor dem Verwaltungsgericht verlor. Battke trainiert auch Kinder im Verein BSC 99 Laucha. Zu den älteren Fußballern zählt der mutmaßliche Neonazi, der den Juden geprügelt haben soll. Wie reagiert die Stadt auf die heiklen Verstrickungen?
Bürgermeister Michael Bilstein (parteilos) ist auch Vizevorsitzender des BSC 99 Laucha. Ein größeres Problem mit Rechtsextremismus sieht Bilstein nicht, „es ist keineswegs so, dass die NPD hier ausgiebig die Trommeln rührt“. Und Battkes Aktivitäten im Verein? Es gebe keine Hinweise, „dass etwas aus der Bahn gerät“.
Tsipi Lev ist wütend. „Es kann nicht sein, dass die Nachfahren der Opfer des Holocausts nicht sicher durch die Straßen Deutschlands gehen können“, sagt sie. „Aber ich bleibe hier und kämpfe.“