Eigene „Kameraden“ boykottieren Neonazi-Event in Hildburghausen // Christ und Grüner brechen mit Podiumsteilnahme Tabus // Grüner Anti-Rechts-Aktivist lässt sich von Neonazis wohlwollend beklatschen.
Ein Bericht von der Infothek Dessau
Unter dem unmissverständlichen Motto: „Wir wollen keine Asylantenheime!“ kündigten das „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ (BZH) und die DVU-Thüringen für den 24.Juli 2010 eine Demonstration durch die Innenstadt mit anschließender Kundgebung auf dem Hildburghausener Marktplatz an. Die Veranstaltung, anfangs mit einem umfangreichen Programm an Rednern und Musikgruppen aus dem extrem rechte Spektrum angepriesen, fand letztlich bedeutend weniger Resonanz als von den Organisatoren erhofft. Effektiver als die Gegenproteste an diesem Tag in Hildburghausen machten die eigenen „Kameraden“ von NPD und „Freien Kräften“ den Anmeldern Tommy Frenck (BZH) und Kai-Uwe Trinkaus (DVU-Thüringen) einen Strich durch die Rechnung. Dem Boykott folgte das Abwerben mehrerer Bands und ein Konzert mit eben diesen Gruppen und rund 120 Teilnehmern im 80 Kilometer entfernten Schützenhaus in Pößneck. An der Demonstration in Hildburghausen nahmen letztlich etwa 90, an der anschließenden Musikkundgebung rund 120 Neonazis teil. Direkt an der Demonstrationsroute war der Aufzug zeitweilig mit etwa 120 lautstarken Gegendemonstranten konfrontiert.
„Hier marschiert der nationale Widerstand!“
Auch für den Neonazinachwuchs war gesorgt. Auf der angekündigten Hüpfburg turnten die Jüngsten vergnügt umher, nachdem einzelne der Kinder bereits mit Fahne in der Hand ihre Eltern auf der Demonstration begleiteten. Um dem plumpen, wie auch vielsagenden Motto gerecht zu werden, skandierten die Teilnehmer u.a.: „Ali, Mehmet, Mustafa – geht zurück nach Ankara!“ und riefen in diesem Zusammenhang dazu auf: „Deutsche nehmt es in die Hand, schließlich ist es unser Land!“ Die Parolen; „Frei – Sozial – National!“ oder „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ unterstützten, zur Freude ihrer Eltern, dann auch die Kinder in der zweiten Reihe. Gemäß der häufig bei Neonazis anzutreffenden Theorie einer vermeintlich jüdischen Weltverschwörung schlug den Gegendemonstranten direkt an der Route als erstes lauthals ein „Nie wieder Israel“ von den rechten Demonstranten entgegen. An der Gegenveranstaltung, die u.a. von Kirche und dem städtischen Bündnis gegen Rechts organisiert wurden, nahmen etwa 120 Personen teil. Bei der Parole „BRD heißt das System – morgen wird es untergehen!“ stimmte letztlich auch der Versammlungsleiter Tommy Frenck beherzt mit ein. Frenck hatte für die Demonstration, die namentlich Kai Uwe Trinkaus angemeldet hatte, die Versammlungsleitung übernommen. Für die Kundgebung auf dem Marktplatz fungierte Frenck selbst als Anmelder. Trinkaus selbst blieb dem Event nach den Streitereien u.a. um seine Person scheinbar fern. Im Nachgang informierte die zuständige Polizei gegen einen Redner wegen Volksverhetzung und einen weiteren Teilnehmer wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu ermitteln.
Boykott mit „Sizilianischen Methoden“
Dem Aufgebot von mindestens elf angekündigten Verkaufs- und Infoständen vermochten die Organisatoren nicht mehr gerecht werden. Nachdem sie eine Woche vor der Veranstaltung mit einer Stellungnahme verkündeten, „aufs schmerzlichste [feststellen zu müssen], das hier untereinander Sizilianische Methoden angewendet werden“ (Fehler im Original), nahmen scheinbar einige Unterstützer davon Abstand, das Event in Hildburghausen offen erkennbar zu unterstützen. Mangels Reisegewerbekarte war anwesenden Textilanbietern außerdem der Verkauf von T-Shirts und anderen Devotionalien von der Versammlungsbehörde untersagt worden.
Nach tagelangem Schlagabtausch sagten die angekündigten Musikgruppen „Nordglanz“, „KZT“, „12 Golden Years“ (alle Deutschland) und „Endless Pride“ (Schweden) zudem ihr Kommen ab und zogen stattdessen einen Auftritt im Pößnecker Schützenhaus vor. Als Organisatoren des Konzertes traten dort u.a. Germania-Versand aus Sondershausen (Thüringen) und Odins-Eye-Mailorder aus dem sächsischen Rothenburg/Oberlausitz (ehemals aus Sachsen-Anhalt) in Erscheinung. Bei den Organisatoren des „Nationalen-Sozialen-Thüringer-Arbeiter-Tages“ in Hildburghausen handelt es sich teils um abtrünnige und ausgeschlossene „Kameraden“ aus NPD und anderen Neonazigruppierungen. Trinkaus und Frenck werden u.a. vorgeworfen Streit und Spaltung der Thüringer Neonaziszene initiiert zu haben. Eine online angekündigte Stellungnahme zu den Vorwürfen und Vorkommnissen blieben Frenck und Co. der interessierten Öffentlichkeit bis heute schuldig. Deckert war 2005 durch eine Bundesvorstandssitzung der NPD seiner Parteiämter enthoben worden.
Allein der Berliner Liedermacher Sebastian Döring (alias „Fylgien“) und die Neonazi-Band „Untergrundwehr“ aus dem unterfränkischen Würzburg (Bayern) versuchten die anwesenden Neonazis mit ihren musikalischen Darbietungen zu unterhalten. Für einen Tabubruch sorgten unterdessen Teilnehmer der angekündigten Podiumsdiskussion zum Thema „Wir wollen keine Asylantenheime“. Gilt für demokratische Akteure vielerorts, die offene Diskussion mit bekennenden Neonazis zu meiden, um diesen kein Podium zu bieten, ließen sich in Hildburghausen zwei „Vertreter der Asylantenfreunde“ von den Veranstaltern zum verbalen Schlagabtausch einladen.
„Uns ist es doch völlig wurscht, ob der Ausländer hier unseres Sprache lernt, … wenn wir regieren, wird er sie bald nicht mehr brauchen“
In einer nicht enden wollenden monotonen Rede zur aktuellen Sozialpolitik, über angebliche tatsächliche Arbeitslosenzahlen, „Hartz 4-Opfer“ , Unterhaltssicherungsmodelle und Globalisierung echauffierte sich Martin Schumacher in seiner Rede darüber, woher „die so genannten Demokraten … die Unverschämtheit nehmen, die Opposition in ihren Verfassungsschutzberichten permanent zu stigmatisieren und zu kriminalisieren.“ Für Schumacher, Ex-DVU-Kreisbeauftragter Rhein-Neckar, der 2007 für die „Deutsche Liste“ in Edingen-Neckarhausen (Baden-Württemberg) zur Bürgermeisterwahl antrat, stand dabei fest, dass es sich bei diesen Verfassungsschutzberichten nicht um „objektive Darstellungen“ sondern „lediglich [um] Meinungsäußerungen der jeweiligen Innenminister“ handele, die „mit ihren politischen Einschätzungen so gut wie immer daneben“ lägen. Aber „manchmal haben sie durchaus Recht“, gestand Schumacher den Verfassungsschutzbehörden und den Politikern dann doch zu – nämlich „wenn sie uns als ihre Feinde bezeichnen. Dann rufen wir ihnen zu: ‚Da habt ihr ausnahmsweise Recht‘ und darauf sind wir stolz!“ Zustimmenden Applaus erhielt Schumacher zwischendurch, wenn er mit leicht erhobener Stimme klarstellte: „Die politische Wende für die wir kämpfen und für die wir uns heute hier versammelt haben ist national und sozialistisch!“ Dann ging es wieder monoton weiter.
Die Prioritätensetzung der Bundesregierung hat Schumacher offenbar auch analysiert und schlussfolgerte mit leicht wütender Stimme: „Die Anti-Rechts-Abteilungen beim Verfassungsschutz haben … keinen Personalmangel und irgendwelche Anti-Rechts-Initiativen und schwachsinnigen Multikulti-Kampagnen werden üppig mit Steuergeldern alimentiert. Zu diesem Wahnsinn sagen wir: Nein!“, so Schumacher und ruft die Anwesenden „Kameraden“ auf: „Machen wir dem Spuk ein Ende und jagen die Arbeiterverräter in Berlin, Erfurt und anderswo aus ihren Ämtern!“ Zum Thema Integration meinte Schumacher: „Uns ist es doch völlig wurscht, ob der Ausländer hier unseres Sprache lernt, von uns aus braucht er es nicht zu tun – denn wenn wir regieren, wird er sie bald nicht mehr brauchen.“ Unter der ermüdeten applaudierenden Zustimmung der anwesenden Neonazis resümierte Schumacher mit zu erwartenden ausländerfeindlichen Parolen wie: „Wir wünschen uns von den Ausländern nur eines, dass sie endlich aus diesem Land verschwinden.“ Abgeschlossen hat er seine 43-minütigen eintönigen Rede mit der Aufforderung an die Anwesenden: „Erkämpfen wir zusammen das vierte Reich!“
Während ein paar Kinder der anwesenden Neonazis sich lautstark auf der Hüpfburg vergnügten gab Sebastian Döring, der Berliner NPD-Kandidat zur Bundestagswahl 2009, unter seinem Pseudonym „Fylgien“ einige Lieder u.a. vom „Vaterland, dem Deutschen Reich“ als Pausenfüller zu Gehör. Zum Abschluss der Veranstaltung schmetterten „Untergrundwehr“ u.a. Titel über die „Jungs von der Antifa“ aus ihrer Heimatstadt in schrammeligem Rechtsrock über den Marktplatz. Vom Rande des Platzes wurde die Veranstaltung dabei durch gelegentliche „Nazis Raus“-Sprechchöre behelligt.
„Multikulti ist gleich multikriminell“
Der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Günther Deckert zeigte sich eingangs überrascht, „dass die zuständige Verwaltung in Hildburghausen diese Veranstaltung problemlos genehmigt hat“ und wusste anzumerken, dass dies nicht allerorts so leicht von statten ginge. Hierfür bedankte er sich explizit bei den Verantwortlichen in Verwaltung. In seiner Rede stellte Deckert fest, dass eine Mehrheit der Deutschen für mehr Volksentscheide sei und er schien sicher zu sein, nach einer entsprechenden Abstimmung würde „der Asylparagraf … wegfallen und die Asylanten dürften gegangen werden“. Nach einem Diskurs über die Migrationsquote unterschiedlicher Fußballnationalmannschaften, der internationalen Wirtschaftskrise, der EG und Gaza-Hilfstransporten hatte Deckert zu konstatieren: „Multikulti ist gleich multikriminell im hohen Maße.“ „Asylpolitik hat nichts mit Menschenrecht zutun“, war sich der mehrfach u.a. wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilte Deckert sicher. Ganz verschwörungstheoretisch ginge es laut Deckerts Schlussfolgerung darum, „homogene Substanz der Deutschen kaputt zu machen, um unseren politischen Widerstand zu brechen“.
„Gäste haben ja die schöne Angewohnheit, nach einer gewissen Zeit wieder zu gehen“
Mit einem Bibelvers über Nächstenliebe stellte sich der erste Teilnehmer der Podiumsdiskussion vor. Mit seinem Statement „Gott denkt freundlich über Ausländer“ kam Herbert Böttcher, erster Vorsitzender des christlichen „Josua Haus e.V.“ aus Hildburghausen, denkbar schlecht bei den anwesenden Neonazis an. Martin Schumacher, der sich als Aktivist von „Aufbruch Freies Deutschland“, dem Nachfolgeprojekt der „Deutschen Liste“, nochmals vorstellte, machte unmissverständlich klar: „Ich bin kein Christ, sondern Nationalist.“ Mit Verweis auf Böttchers Darstellung der ausländischen Gäste schloss er sich dem aber tendenziell an und ergänzte höhnisch: „Gäste haben ja die schöne Angewohnheit, nach einer gewissen Zeit wieder zu gehen.“ Als zweiter angekündigter „Ausländerfreund“ gab sich Michael Stade aus Waltershausen (Thüringen) die Blöße im Kreise von Neonazis und Holocaustleugnern auf dem Podium Platz zu nehmen. Stade, der im Landkreis Gotha als Aktivist im Bündnis gegen Rechts bekannt ist, im Vorjahr Kandidat der Grünen für den Stadtrat war und als Sachkundiger Bürger im Gleichstellungsausschuss des Landkreises Gotha sitzt, dankte eingangs für die Einladung und lobte die Organisatoren: „Das zeugt auch von einer gewissen Größe“, dass sie jemanden mit „einer komplett anderen Meinung“ hier reden ließen.
„Bleibt dabei, euch von niemandem vorschreiben zu lassen, was ihr zu denken habt“
Stade verglich seine eigene Situation, als er in der ehemaligen DDR in der evangelischen Kirche aktiv war und sie damit „auch ein bisschen die Staatsfeinde“ waren, mit der Lage seiner Zuhörer, die er als „junge, orientierungslose Leute“ verharmloste. „Auch wenn wir jetzt hier auf dem Podium unterschiedlicher Meinung sind, finde ich, dass es solche Leute geben muss, die für ihre Meinung einstehen. Und ich möchte euch sagen: Bleibt dabei, euch von niemandem vorschreiben zu lassen, was ihr zu denken habt“, so der Grüne Anti-Rechts-Aktivist Stade zu den anwesenden Neonazis. Die quittierten ihm sein Statement mit zustimmendem Applaus. Die nächste Beifallsbekundung vermochte Stade zu erhaschen, als er in die völkisch motivierten Floskeln von Martin Schumacher einstimmte und anlässlich der Anwerbung von so genannten Gastarbeitern in der ehemaligen DDR ebenfalls entgegnete: „Wie das Wort ‚Gast‘ so schön sagt: Gäste die kommen und die gehen auch wieder.“ Damals, so Stade, hätte man sich „überhaupt nicht darauf eingerichtet, dass Leute … auf einmal auf die Idee kommen und da bleiben. … Auf diese Sache ist Deutschland überhaupt nicht vorbereitet worden“, so das Grünen-Diskutant weiter. Unter Zuspruch der Zuhörer formulierte er weiter im Sinne der von Deckert zuvor angepriesenen Volksabstimmung gegen den Asylparagrafen, dass man auch heute, „bevor man Green-Card und sonstewas ausreicht, auch erst mal fragen könnte, ist das denn gewollt.“ Die Zustimmung der etwa einhundert Neonazis brachten den gutgläubigen Anti-Rechts-Aktivisten jedenfalls nicht ins Grübeln. Zugereisten Ausländern für „Fehler die unsere Regierung selber gemacht hat“, „persönlich anzufeinden“, sei aber „unfair“, so Stade, und versuchte damit bestmöglich der Errichtung von „Feindbildern“ zu widersprechen.
„der Zerstörung der völkischen Substanz“
Diplomatisch „einig“ war sich mit Stade der Ex-DVU-ler Schumacher, der mit einstimmte: „Schuld ist … die Regierung.“ Zur Gastarbeiterfrage verweis er aber wiederum auf „vertraglich geregelte Rückführungsabkommen“, wonach die von ihm gewünschte „Heimreise“ das „Normalste der Welt“ bedeuten würde. Lediglich ein Teilnehmer meldete sich anschließend auf die Frage von Herbert Böttcher: „Wer ist unter uns Christ?“ Für seine Klagen, den „Niedergang der Nation“ vorauszusehen, „wenn Menschen sich mehr und mehr von Gott entfernen“, kann der gutgläubige Geistliche bei den Anwesenden abermals nicht punkten. Deckert wähnte sich wieder „der Zerstörung der völkischen Substanz“ nahe, womit er die Ablehnung jeglicher Einwanderung begründete und der „Kirche … [als] ein Teil der Politik“ eine Mitverantwortung attestierte.
„Ich wehre mich, dass Deutschland zu Exotenland, zu Bimboland, zu Kanakenland praktisch verkommt“
Auch Günther Deckerts vehementes völkisch-rassistisches Statement: „Ich wehre mich, dass Deutschland zu Exotenland, zu Bimboland, zu Kanakenland praktisch verkommt“, animierte keinen der beiden „Gutmenschen“ auf dem Podium, dagegen zu protestieren. Zumal Michael Stade dem Neonazi Deckert zuvor den Weg dahingehend erst geebnet hatte, als er illegale Einreise von Menschen aus anderen Ländern und den damit verbunden Zwang zur Überlebenssicherung problematisierte. Dass Schumacher Drogenhandel und andere Kriminalität persè Ausländern anlastete, vermochte den Mitdiskutanten dann auch keinen Widerspruch mehr entlocken. „Es war eine angenehme Erfahrung“, schloss der verurteilte Holocaustleugner Deckert die Podiumsdiskussion ab, auch wenn es aus einer Sicht nicht möglich gewesen war, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Eines haben die beiden angekündigten „Vertreter der Asylantenfreunde“ ganz sicher geschafft, den Neonazis zu zeigen, dass demokratiefeindliche und menschenverachtende Positionen in ihrer Gesellschaftsvorstellung scheinbar statthaft und auf Augenhöhe zu debattieren sind.