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1.000 Neonazis marschieren durch Bad Nenndorf

 

Die Bahnhofstraße in Bad Nenndorf ist am Abend des 13. August bunt geschmückt: farbige Stoffe wechseln sich an den Straßenseiten ab mit aufgehängten Kleidungsstücken und Spruchbändern. Doch die Gäste, die auf der langen Straße des Kurortes erwartet werden, sind alles andere als willkommen: rund 1.000 Neonazis sind am 14. August zum mittlerweile fünften „Trauermarsch“ in die Kleinstadt westlich von Hannover gekommen. In diesem Jahr sorgte der Aufmarsch für besonderes Aufsehen, denn im Vorfeld war die vom Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ geplante Gegendemonstration in der ersten Instanz verboten worden. Auch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg untersagte dem Bündnis am Vorabend seine Demonstration, gestattete aber eine zweistündige Kundgebung.

Ein buntes, mehrere Meter langes Transparent ziert schon am Vorabend des Neonaziaufmarschs das 1930 erbaute Wincklerbad in der Ortsmitte von Bad Nenndorf. „Neonazis stoppen! Schaumburger gegen rechts“ – eine deutliche Absage an die ungebetenen Besucher des Kurortes. „Bad Nenndorf hat die Nase voll von Nazis“, sagt Jürgen Übel, der Mitbegründer des Bündnisses „Bad Nenndorf ist bunt“, und spricht von einem „Heuchlermarsch“ der Neonazis.

Transparent am Wincklerbad

Der hagere Mann betreibt eigentlich eine Apotheke – jetzt aber trägt er einen roten Arbeitsoverall, denn gerade eben hat er mit seinen Mitstreitern noch Plakate gegen die Rechtsextremen aufgehängt. Als vor fünf Tagen die ersten Plakate an den Wänden hingen, rissen Nazis sie noch in der Nacht wieder ab. Doch Übel lässt sich auch von den vermehrten Drohungen gegen ihn nicht beirren. Er will auch weiter verhindern, dass die Neonazis „versuchen, uns ihr Geschichtsbild über zu stülpen“. Dass die Gerichte der Bündnisdemonstration einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, sei ein „untragbarer Zustand“.

Demonstrationsverbot als „verheerendes Signal“

Protest gegen das Demonstrationsverbot

Das Demonstrationsverbot habe nicht nur eine verheerende Signalwirkung – wie solle man vor diesem Hintergrund Schüler an die Demokratie heran führen, wenn das Gericht ihnen vor Augen führe, dass ein Engagement mit Verboten bestraft werde. Beifall und Applaus sind Übel in seinem Heimatort für seine Rede sicher. Auch Steffen Holz vom DGB in Bad Nenndorf ist die Empörung noch anzumerken: es sei eine bittere Erfahrung nach einer langjährigen Arbeit im Bündnis und politisch eine vollständige Katastrophe, kommentiert er die Entscheidung. Der Gewerkschafter befürchtet, dass das Gefahrenpotenzial sich durch das Verbot der Gegendemonstration noch erhöht. Die Polizeidirektion Göttingen teile die Einschätzung, erklärte ein Sprecher der Behörde am Vortag des Aufmarschs. Der Beschluss bewirke außerdem, dass die Bürger zu einer „nicht hinnehmbaren Tatenlosigkeit“ verdammt würden, heißt es in dem Papier. Auf den einschägigen Seiten im Intenet jubeln die Neonazis über den Gerichtsbeschluss. Am folgenden Morgen gleicht Bad Nenndorf einer Festung: Absperrgitter säumen die Aufmarschroute der Neonazis, Reiterstaffeln patroullieren durch die Straße, ein Hubschrauber kreist über der Stadt. Kleinere Personengruppen werden in den Seitenstraßen kontrolliert, rund 2.000 Polizisten sind im Einsatz. Apotheker Übel spricht von einer Demarkationslinie, die Bad Nenndorf zu einer geteilten Stadt mache.

Protest gegen Nazis am Katzentisch

Noch am Vorabend um 20.30 Uhr hatte das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg dem Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ eine

Protestkundgebung am 14.8.

zweistündige Kundgebung fernab der Bahnhofstraße erlaubt, der Ort stand erst kurz vor Mitternacht fest. Doch mit etwa 1.000 Personen bleibt die Teilnehmerzahl deutlich unter den Erwartungen. „Es ist ein Protest am Katzentisch“ sagt der Regionsvorsitzende des DGB Hannover Mitte, Sebastian Wertmüller. Durch ihr Verhalten im Vorfeld hätten sich Polizei und Verfassungsschutz kräftig angestrengt, die Veranstaltung so klein wie möglich zu halten, kritisiert er. In einer Einschätzung des Verfassungsschutzes heißt es, Linksextremisten hätten generalstabsmäßig geplant, die Bündnisdemonstration für ihre Zwecke zu nutzen, die Rede ist von Brandsätzen und einer „militanten Kleingruppentaktik“. Wertmüllers Bilanz: junge militante Neonazikader dürften mit richterlicher Genehmigung in der Tradition der SA aufmarschieren, während der jüdischen Gemeinde vor Ort die Gegenwehr untersagt werde.

Transparent gegen Geschichtsrevisionismus

Dem ansonsten beherrschten DGB Chef ist seine Empörung in den Schlussworten deutlich anzumerken: die Neonazis sollten sich „schlicht und einfach verpissen“. Auch die Auflösung der Kundgebung geschieht nicht ohne Schwierigkeiten: mit Absperrgittern hindert die Polizei die Teilnehmer daran, den Ort Richtung Bahnhofstraße zu verlassen.

Freude bei Neonazis: Schikanen gegen Journalisten

Nur 30 Minuten nach dem Kundgebungsende treffen am Bahnhof die ersten Neonazis aus Berlin ein. Wie später alle anderen nimmt die Polizei sie in Empfang und schleust sie durch ein Kotrollzelt auf den Bahnhofsvorplatz. Kurz nach 12.00 Uhr trifft der erste mit Neonazis gefüllte Zug auf dem Bad Nenndorfer Bahnhof ein, auf dem Vorplatz richten rechtsextreme Kader eine Bühne auf dem mitgebrachten Lkw ein.

Neonazis am 14.8.

Der Platz ist hermetisch abgeriegelt, auch die Presse darf das Gelände zuerst nicht betreten, später eskortieren Beamte die Journalisten auf die gegenüber liegende Seite des Platzes. Empörung, als der Einsatzleiter erklärt, die Pressevertreter könnten nicht wieder zurück geleitet werden, weil nicht für ihre Sicherheit garantiert werden könne. Auch Bilder von dem Aufmarsch seien vor dem Wicklerbad nicht möglich, heißt es zuerst. Die Neonazis feixen: „Auf unserer Veranstaltung bestimmen wir, wer darüber berichtet“. Rechtsextreme mit „Medien“-Binden am Arm filmen und fotografieren die Journalisten. Nach längeren Verhandlungen darf die Presse wieder zurück, Polizisten eskortieren die Journalisten durch die stetig wachsende Masse der Neonazis.

"Herr Schulz, bitte zum Einsatzleiter kommen"

Doch der Beginn ihres Aufmarschs verzögert sich immer wieder: erst müssen neue Ordner gesucht werden, weil ein Teil des vorgesehenen Personals wegen Vorstrafen abgelehnt wurde. Zwei Sitzblockaden auf der Strecke verzögern den Auftakt ebenso wie eine Betonpyramide, an der sich vier Männer angettet haben. Währenddessen singt ein Liedermacher auf der Bühne vom „besseren Deutschland“, im Hintergrund erklingen immer wieder „Nazis raus!“-Rufe. Zu den Reden von Ursula Haverbeck und Rigolf Hennig kommt es nicht mehr: die Polizei lässt die Holocaustleugner als Redner nicht zu.

Aufmarschverzögerung durch Protest

Die Stimmung unter den inzwischen knapp 900 Neonazis wird aggressiver, die Megaphondurchsagen von Sven Skoda ähneln versteckten Drohungen. Immer wieder müssen die Versammlungsleiter Matthias Schulz aus Verden und Marcus Winter aus Minden zu Besprechungen am Wagen des Einsatzleiters

Fronttransparent des Naziaufmarschs

antreten. Unter dumpfen Trommelschlägen beginnt der Aufmarsch dreieinhalb Stunden später als vorgesehen. Er führt die rund 1.000 Neonazis zum Wincklerbad, das der britische Geheimdienst nach dem zweiten Weltkrieg als Gefängnis für die NS-Führungselite benutzt hatte. Zum Großteil in weiße Hemden gekleidet, marschieren die Neonazis die 800 Meter zum Wincklerbad. Die seit Mai über das Internet vertriebenen „Soli T-Hemden“ werden vorsorglich auf links gedreht, so dass der aufgedruckte Vierzeiler nicht auffällt. Am Vortag hatte die Polizei begonnen, zu prüfen, ob die Zeilen des NS-Schriftstellers Heinrich Anacker den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Begleitet von Polizei und dem Protest der Anwohner zieht der rechtsextreme „Trauermarsch“ 30 Minuten über die bunt geschmückte Bahnhofstraße. Zum Entsetzen vieler wird der Aufmarsch an der Pyramide vorbei geleitet, wenige Polizisten stehen zum Schutz rund um die vierköpfige Gruppe. Auf der Kundgebung vor dem ehemaligen

Nazi-Kundgebung am Wincklerbad

Kurgebäude weht vom Kran eines Hubwagens ein Transpartent „Besatzer raus“ gleich neben dem dort angebrachten Spruchband „Nazis stoppen“. Neben pathetischen Reden schimpft Skoda auf die Behörden und den „undeutschen“ Protest. Im Hintergrund erklingen jenseits der Absperrungen Sprechchöre, eine Megaphonsirene sorgt durchgehend für Unmut. Nach 60 Minuten ist der Spuk am Wincklerbad vorbei und die Neonazis ziehen zurück zum Bahnhof. Bei der dortigen Abschlusskundgebung erklingt ein strafrechtlich relevantes Lied, die Polizei leitet Strafverfahren gegen den Versammlungsleiter und die Teilnehmer Strafverfahren ein. Doch auch nach dem Abschluss schlendern kleinere Gruppen von Neonazis durch die Innenstadt und pöbeln vermeintliche Gegner an. Gegen 22.00 Uhr versammeln sich rund 60 Rechtsextreme vor dem soziokulturellen Zentrum „Wohnwelt“ im nahe gelegenen Wunstorf – nach mehreren Anrufen greift die Polizei ein.

„Wir haben es satt“

In Bad Nenndorf erinnern am Abend nur noch die Plakate gegen Nazis und das Transparent am Wincklerbad an den Aufmarsch der 1.000 Neonaziswenige Stunden zuvor. Das Bündnis bereitet sich bereits auf das kommende Jahr vor, denn der sog. „Trauermarsch“ ist bis zum Jahr 2030 angemeldet. Herrscht also auch Anfang August 2011 der Ausnahmezustand in Bad Nenndorf? Ginge es nach dem Bündnis, „muss der Aufmarsch auf jeden Fall verboten werden“, sagt Organisator Jürgen Übel, Sein Kollege Dietmar Buchholz verweist auf das, was die Grüne Landesvorsitzende Anja Piel ein „demokratisches Dilemma“ genannt hatte: ähnlich wie schon der NS-Politiker Joseph Goebbels 1928 empfohlen hatte, lehnten auch die die heutigen Nazis die Demokratie ab, versorgten sich aber „aus dem Waffenkabinett der Demokratie“ mit ihren Waffen. Ein Verbot sei unabdingbar, so Buchholz und dann „Wir haben es satt satt satt“.