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Störungsmelder on Tour in Nürnberg

 

Nürnberg sollte es also diesmal sein – und damit war klar, dass dieser Trip im Rahmen von „Störungsmelder on Tour“ für mich persönlich auch eine kleine Zeitreise werden würde, denn Nürnberg ist nicht nur die Stadt, in der ich zwischen 1988 und 1993 während meines dortigen Studiums wohnte, sondern auch der Ort, an dem ich meine ersten, nun ja, handfesten Erfahrungen mit Neonazis machte.

Bereits vor meinem Studium fuhr ich von meinem damaligen Wohnort Manching (bei Ingolstadt) aus am Wochenende regelmäßig in diverse Clubs in und um Nürnberg herum, vor allem in eine Gothic-Disco in Schwabach. Schon damals waren wir Grufties unter den Rechten nicht gerade wohlgelitten, und so kam es nahezu Samstag für Samstag zu regelrechten Treibjagden. Im Club selbst hatten die Neonazis Hausverbot, was sie aber natürlich nicht daran hinderte, uns aufzulauern, wenn wir den Laden verließen. Da hieß es dann schnell sein, am besten man sprintete zum Auto, sprang rein und gab Vollgas Richtung Autobahn – und natürlich verfluchte ich an manchen Tagen, dass mein erstes Auto ein Renault R5 mit 36 PS war. Manchmal kam uns die Polizei zur Hilfe, aber an und an gab´s eben auch Stress.

Das ist jetzt über 20 Jahre her, aber auch heute noch ist die Neonazi-Szene in Mittelfranken sehr aktiv, womöglich sogar noch aktiver, besser vernetzt und gefährlicher als Ende der 80er. So lebt beispielsweise der ursprünglich aus Braunschweig stammende, rechtsextreme Liedermacher und zweimalige NPD-Bundespräsidentschaftskandidat Frank Rennicke in Altengreuth bei Rothenburg o.d. Tauber und zieht von dort aus seine Strippen. Nicht zuletzt ist Nürnberg wegen der Rolle, die die Stadt im Dritten Reich gespielt hat, nach wie vor ein beliebtes Reise- und Versammlungsziel von Rechten.

All dies hatte ich im Hinterkopf, als ich einer 9. Klasse der Peter-Henlein-Realschule in Nürnberg-Eibach einen Besuch abstattete. Kürzlich erst schloss sich die Schule dem Projekt „Schule ohne Rassimus – Schule mit Courage“ an, und unser Workshop sollte eine von mehreren Aktionen sein, die im Rahmen des Projekts stattfinden.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand auch dieses Mal wieder rechte Musik, vor allem die „Schulhof“-CD der NPD. Am Anfang des Workshops sollte jeder der 33 Schüler von seinen Erfahrungen mit Neonazis berichten, und angesichts rechter Aktivitäten in Nürnberg und Mittelfranken war es einigermaßen erstaunlich, dass zunächst kaum jemand etwas zu berichten hatte, und das bei einem Migrantenanteil von über 50 % in der Klasse. Je tiefer wir jedoch in die Materie einstiegen und je lockerer die Schüler wurden, um so zahlreicher wurden die Wortmeldungen. Man erinnerte sich dann beispielsweise an einen Schüler, der wegen rassistischer Beleidigungen von der Schule verwiesen wurde. Auch der Klamottenladen in der Innenstadt, der Thor-Steinar-Kleidung und anderen Nazikram vertickt und der jetzt nach anhaltenden Protesten schließen muss, war plötzlich ein Thema, genau so wie der Naziaufmarsch und die damit einhergehenden Krawalle an der Lorenzkirche. Einige erinnerten sich dann auch daran, wie die Schulhof-CD tatsächlich mal an der Schule verteilt werden sollte. Ein Neonazi hatte etwa 50 Exemplare bei sich, die er außerhalb des Schulgeländes Leuten in die Hand drücken wollte. Ein Schüler aus der Oberstufe des angegliederten Gymnasiums schwatzte ihm unter dem Vorwand, diese direkt in der Schule weiter zu verteilen, den kompletten Karton ab, um die CDs dann vor den Augen des Neonazis zu zerbrechen und im Mülleimer zu entsorgen – zu seinem eigenen Schutz auf dem Schulgelände und damit hinter der Demarkationslinie, die der Rechte ja nicht überschreiten durfte. Eine coole Aktion, die die meisten Anwesenden allerdings eher wegen ihrer unterhaltsam-krawalligen Note schätzten. Nachdem wir jedoch die Songs im Workshop genauer analysiert hatten, schienen die Schüler auch den politisch-inhaltlichen Aspekt wahrzunehmen. Überhaupt konnte man am Ende der Veranstaltung den Eindruck gewinnen, dass sie deutlich sensibilisierter im Hinblick auf das Thema Rechtsradikalismus waren. Sie guckten genauer hin, sie stellten viele schlaue Fragen und waren sich einig, dass man zusammen einiges ausrichten kann.

Und so war dieser Besuch für uns eine weitere Bestätigung dafür, dass es Sinn macht, an Schulen über Neonazis zu sprechen und entsprechende Ergänzungen zum Geschichts- und Sozialkundeunterricht zu liefern, denn je höher der Kenntnisstand gerade unter jungen Menschen ist, desto schwieriger ist es für Rechte, diese für ihre Sache zu gewinnen.

Wir machen also weiter, keine Frage.