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Möglicher Generationswechsel in der NPD Niedersachsen

 

Neonazis am 12. September 2009 bei einem Aufmarsch in Hannover (Foto: Kai Budler)
Neonazis am 12. September 2009 bei einem Aufmarsch in Hannover (Foto: Kai Budler)

Der niedersächsische Verfassungsschutz (VS) befürchtet eine stärkere Vernetzung zwischen den freien Kameradschaften und der NPD. Der Verfassungsschutzpräsident Hanms Wargel sieht die Landes NPD vor einem Generationenwechsel: Um die abnehmende Bedeutung im Flächenland zu stoppen, könnte die rechtsextreme Partei ihren Vorstand einer Verjüngungskur unterziehen. Wenn dies beim im April zu erwartenden NPD-Parteitag geschehe, könnte der bisherige Stellvertreter Matthias Behrens aus Schneverdingen das Amt des bisherigen Vorsitzenden Adolf Dammann übernehmen. Behrens ist der Anführer der vor etwa zehn Jahren gegründeten Kameradschaft „Snevern Jungs“ und gilt im NPD-Landesvorstand als Integrationsfigur mit Scharnierfunktion für die Kameradschaftsszene.

Tatsächlich zählt die NPD nach Angaben des VS in Niedersachsen rund 500 Mitglieder und macht damit personell knapp ein Viertel des gesamten extrem rechten Potenzials aus. Zusätzliche Impulse der Partei sind auch nach der Fusion mit der „Deutschen Volks Union“ (DVU) nicht zu erwarten, zumal besonders deren Landesverband zu den härtesten Gegnern des Zusammenschlusses gehörte.

Radikalisierung weiter voran treiben

Matthias Behrens: Adolf Dammans Kronprinz? (Foto: Kai Budler)
Matthias Behrens: Adolf Dammans Kronprinz? (Foto: Kai Budler)

Schon die Wahl des damals neuen Vorstandes im Jahr 2009 war ein deutliches Zugeständnis an die radikaleren Kräfte außerhalb der NPD gewesen. Neben Behrens stehen Manfred Börm und Christian Berisha für das Klientel der später verbotenen “Heimattreuen deutschen Jugend” (HDJ). Beisitzerin Ricarda Riefling repräsentiert im Landesvorstand den Ring Nationaler Frauen (RNF) und gilt als eine der landesweit führenden Aktivistinnen der Neonazi-Szene. Mit dem amtierenden Vorsitzenden Dammann stehen sie für eine offensichtliche Radikalisierung der NPD und der angestrebten stärkeren Anbindung der „Kameradschaftsszene“. Deren Mitglieder an die Partei heranzuführen, ist auch das Ziel des 2009 gegründete Landesverband der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), bei dem der VS einen Zulauf an den inzwischen vier „Sützpunkten“ registriert.

JN - Scharnierfunktion für die Kameradschaftsszene (Foto: Kai Budler)
JN - Scharnierfunktion für die Kameradschaftsszene (Foto: Kai Budler)

Der Versuch der Partei neues Personal zu rekrutieren, ist auch dem Charakter Niedersachsens als Flächenland geschuldet. Schon im Landtagswahlkampf 2008 zeigte sich: ohne die Mitglieder der Kameradschaftsszene wird es bei der NPD eng, wenn es um die Breitenwirkung vor Ort geht. Die so genannten „Freien Nationalisten“ hingegen konnte ihre Position in der extrem rechte Szene in Niedersachsen verbessern: Besonders bei dem jährlichen sog. „Trauermarsch“ in Bad Nenndorf zeigt die ständig steigende Teilnehmerzahl, dass die Szene mittlerweile auch ohne Parteihilfe gut organisiert ist. Gleiches galt für den sog. „Tag der deutschen Zukunft“ 2010: Den Organisatoren um den mehrfach vorbestraften Neonazi Dieter Riefling aus Coppengrave gelang es, rund 600 gewaltbereite Neonazis zu dem Aufmarsch in der Hildesheimer Nordstadt zu mobilisieren. Die NPD war dort lediglich mit einem Transparent des Kreisverbandes Goslar vertreten.

Gut organisiert durch langjährige Vernetzung: die niedersächsische Kameradschaftsszene

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, wenn der VS als Schwerpunkte der Neonazi-Aktivitäten die Regionen Hildesheim, Celle und Südniedersachsen nennt. Besonders dort können Neonazis auf jahrelang gewachsene Strukturen und persönliche Netzwerke zurück greifen, die eine Trennung zwischen „Kameradschaftsszene“ und NPD längst überflüssig machen. Denn die entsprechenden Gruppierungen in der

Dennis Bürig, jetzt "Freie Kräfte Celle" (Foto: Kai Budler)
Dennis Bürig, jetzt "Freie Kräfte Celle" (Foto: Kai Budler)

extrem rechten Szene verfügen durch ihre langjährige Tätigkeit über ein gutes Ansehen in der Szene. Dies gilt sowohl für die so genannte „Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim“ um Dieter Riefling als auch für die 1988 von Thorsten Heise initiierte „Kameradschaft Northeim“. Auch die Aktivitäten der „Kameradschaft 73 Celle“ werden nach ihrer offiziellen Selbstauflösung nicht zum Erliegen kommen: Unter dem Namen „Freie Kräfte Celle“ sind die Neonazis um Dennis Bührig schon seit dem Winter 2010 hoch aktiv und versuchen sich nun an jugendpolitischen Themen. Anders sieht es im Schwerpunkt Südniedersachsen aus, wo sich die Neonaziszene in der ländlichen Region Northeim und im Südharz konzentriert. Hier zieht ein Netzwerk die Fäden in der Szene, dessen Mitglieder sich seit Jahren kennen: Bei Sonnenwendfeiern und Liederabenden pflegt man das persönliche Miteinander und bindet jüngere Personen ein. Ein sicherer Platz für Neonazis wie Sören Högel, der im September 2010 in Einbeck bei Northeim den Startschuss für den „Tag der deutschen Zukunft“ 2011 in Braunschweig gab. Den extrem rechten Aktivisten sind Trennungslinien zwischen NPD und „Kameradschaftsszene“ egal: Der „Freundeskreis“ hat die

Identitätsstiftender Mythos "Kameradschaft Northeim" (Foto: Kai Budler)
Identitätsstiftender Mythos "Kameradschaft Northeim" (Foto: Kai Budler)

„organisierte Szene“ ersetzt, ist dadurch aber nicht weniger aktiv. Über die veränderte Szenestruktur kann auch das Transparent der „Kameradschaft Northeim“ nicht hinweg täuschen, das bundesweit bei fast keinem größeren Aufmarsch fehlt. Von einer inzwischen unzeitgemäßen festen „Kameradschaft“ kann hier keine Rede sein. Von ihrem Namen aber geht eine identitätsstiftende Wirkung aus, so dass bei Aufmärschen hinter dem Transparent wechselnde Neonazis auch aus anderen Städten oder gar Bundesländern zu sehen sind.

Die länderübergreifende extreme Rechte

Die funktionierenden Szenestrukturen sind immer wieder auch jenseits der Landesgrenzen gern gesehen. So reisten im Oktober 2010 auch niedersächsische Neonazis um Dieter Riefling und Marco Borrmann aus dem Harz

Matthias Heyder beim NPD-Bundesparteitag in Hohenmölsen (Foto: Kai Budler)
Matthias Heyder beim NPD-Bundesparteitag in Hohenmölsen (Foto: Kai Budler)

zu einem JN-Aufmarsch in Halberstadt – mit dabei waren der ehemalige Feuerwehrwagen der NPD Osnabrück und der Ordnerdienst um Manfred Börm. Bereits beim Landtagswahlkampf in Thüringen erhielt die NPD 2009 tatkräftige Unterstützung aus Südniedersachsen und auch für den Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt machten sich südniedersächsische Neonazis im Januar 2011 auf den Weg in denbenachbarten Teil des Harzes, um dort die Wahlkampfzeitungen des NPD Spitzenkandidaten Matthias Heyder zu verteilen. Möglicherweise überwogen dabei nicht nur die ideellen Gründe, denn in einer Videobotschaft hatte Heyder händeringend um „Unterstützung der nationalen Bewegung“ geworben und dabei angedeutet: „Wir zahlen euch ein Tagegeld und sicher auch die notwendigen Auslagen, die ihr habt“.