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Abkürzung nach rechts

 

10 Stunden saßen die Sitzblockierer im vergangenen Jahr bei Minusgraden auf der Straße um den Aufmarsch zu stoppen © Matthias Zickrow

Schnee, Minustemperaturen und das massive Polizeiaufgebot konnten sie nicht stoppen: Mehrere tausend Menschen protestieren am Sonntag gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden. Nach stundenlangem Ausharren in der Kälte verabschiedeten die Blockierer die Neonazis schließlich aus Studentenwohnheimen entlang der Route  mit „Haut ab“-Rufen.

Während „dramatische“ Musik läuft, treffen am Nachmittag immer mehr Neonazis am Dresdner Hauptbahnhof ein. Gegen 17 Uhr wollen sie mit ihrem „Trauermarsch“ beginnen. Die Polizei spricht später von nur 1290 Rechtsextremisten. Die Redner der rechten Abschlusskundgebung wollen hingegen „2000 Männer und Frauen“ gesehen haben. Zur Einstimmung während des Wartens vor dem Hauptbahnhof gibt es eine Rede des rechten Historikers Olaf Rose. Er versucht das bürgerliche Auftreten beim jährlichen „Trauermarsch“ der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) zu wahren, betont, sie würden die Geschichte nicht verfälschen. Gleichzeitig zeigen Neonazis Transparente mit dem Aufdruck „Bombenholocaust“. Die Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 setzen sie gleich mit den systematischen Massenmorden der Nationalsozialisten.

Eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten schafft es direkt neben die Kundgebung, obwohl die Polizei seit den frühen Morgenstunden das ganze Areal systematisch abgesperrt hat. „Fahrt doch nach Hause!“, rufen sie immer wieder. Ein Großteil der Rechten antwortet mit bösen Blicken, zwei jedoch schreien zurück. Schnell werden sie von ihren „Kameraden“ zur Ruhe ermahnt. Auf ihrem Trauermarsch versuchen sich die Neonazis ordentlich und gesittet zu zeigen. Auch von der anderen Seite des Hauptbahnhofs hallen immer wieder Pfiffe und Rufe herüber. Laut dem Bündnis Dresden-Nazifrei haben sich dort rund 2500 Demonstranten versammelt, um nach der Menschenkette gegen den Aufzug der JLO zu protestieren.

Als sich deren Aufmarsch in Bewegung setzt, harren viele Gegendemonstranten bereits seit Stunden in der Kälte aus; seit dem Morgen sind sie unterwegs. Die Stadt Dresden hatte im Vorfeld alle Gegenkundgebungen auf die Neustädter Elbseite verlegt, fernab vom Fackelmarsch der Rechten. Auf der Altstadtseite der Elbe wurden alle Kundgebungen verboten, unter anderem einen Mahngang auf den Spuren der NS-Täter, der Stunden vor der Nazi-Demonstration hätte stattfinden sollen. Erlaubt blieb einzig die Menschenkette zu der Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) aufgerufen hatte. Laut Medienberichten reichten sich hier 17000 Bürger die Hände.

Um trotz Verbot die Demonstration der Rechten zu blockieren oder zumindest zu stören, sammelten sich schon früh die ersten Gegendemonstranten. Eine erste Kundgebung vor der Hochschule für Technik und Wirtschaft, direkt am Beginn der Route der Neonazis, löste die Polizei um 11 Uhr auf. Mehrere hundert Menschen trafen sich daraufhin auf dem Fritz-Löffler-Platz, ebenfalls in Sicht- und Hörweite des Nazi-Marsches – im Laufe des Tages sammelten sich hier knapp 2000 Menschen. Am Nachmittag nahm auch der Rektor der Technischen Universität, Hans
Müller-Steinhagen, an der Kundgebung auf dem Fritz-Löffler-Platz teil. Wie im Vorjahr sein Vorgänger hatte Müller-Steinhagen die Menschenkette angemeldet. Der Rektor bedankte sich am Montag bei den Studierenden und Mitarbeitern seiner Universität und bat sie, auch am Samstag zusammen mit ihm „in der Innenstadt präsent“ zu sein, um zu zeigen, dass „Extremismus und Fremdenfeindlichkeit in Dresden keinen Platz haben.“

Auf dem Gelände der Technischen Universität Dresden ringsum ist derweil außer Polizisten kein Mensch zu sehen. Vor jedem Gebäude steht ein Streifenwagen. Die Universitätsbibliothek ist abgesperrt. Auf Twitter heißt es, wer die Bibliothek verlasse, „kommt auch nicht mehr rein. Egal wie.“ Geplant war, dass die Neonazis vor der Bibliothek vorbei marschieren sollten; dann jedoch biegt der Aufzug vorher nach rechts ab, läuft nicht über das Uni-Gelände. Anstatt durch den breiten Zelleschern Weg, tragen die Rechten ihre Fahnen und Fackeln durch die kleinere Parallelstraße. Ein ausgestorbenes Viertel, so scheint es am Sonntagabend. Knapp 1000 Nazis und einige Polizisten, sonst regt sich nichts auf der dunklen Straße.

Bis der Fackelmarsch auf der Zielgeraden zur Endkundgebung am Hauptbahnhof einbiegt. Hunderte Gegendemonstranten haben inzwischen den Kundgebungsort verlassen. Aus den Fenstern und der Wohnheime entlang der Straße lehnen sie und brüllen den Nazis entgegen. Polizeibeamte bewachen mit Hunden die Eingänge der Studentenwohnheime, seit Stunden dürfen die Bewohner ihre Häuser nur noch durch den Hinterausgang verlassen. Der vordere Teil des Fackelmarsches ist bereits am Hauptbahnhof angekommen und lauscht den Abschlussreden; der hintere Teil muss sich minutenlang ausbuhen lassen.

Beide Seiten haben sich am Sonntag wohl nur aufgewärmt für Samstag, den 19. Februar, für den die Neonazis europaweit nach Dresden mobilisieren. Dresden-Nazifrei ruft zu Massenblockaden auf, um sie „keinen Meter“ laufen zu lassen. Für dieses Wochenende zeigt sich das Bündnis zufrieden. Den Demonstranten sei zu verdanken, dass der „Trauermarsch“ abgekürzt werden musste. Das Ziel, ihn massiv zu stören, sei erreicht. Die erhoffte Signalwirkung der Neonazis für den kommenden Samstag sei „verpufft“.