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Konkurrenzkampf in der Naziszene

 

Am ersten Juniwochenende finden in Deutschland erneut mehrere große Nazievents gleichzeitig statt. Neben dem „Tag der deutschen Zukunft“ in Braunschweig wird auch in Nordhausen das erlebnisorientierte Spektrum der extremen Rechten mit einer Konkurrenzveranstaltung, dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ bedient.

Von Lea Stein und Madlen Warskow

Die extreme Rechte hat sich in den letzten Jahrzenten deutlich verändert. Sie ist heute ein Zusammenspiel aus sehr heterogenen Teilen, welches sich vom rechten Skinhead mit Springerstiefeln bis zum „neurechten“ Publizisten erstreckt. Jeder hat dabei seine Aufgabe innerhalb der extremen Rechten. An verschiedenen Punkten gibt es Brücken, welche aus der Szene hinaus, in die Gesellschaft hinein reichen und so auch personellen Zulauf bringen. Eine dieser Brücken ist der aktionsorientierte, vor allem durch Musik geprägte Teil der extremen Rechten. War die extrem rechte Jugendszene in den 70er und 80er Jahren organisatorisch noch stark am nationalsozialistischen Vorbild orientiert, wandelte sich diese Kultur mit den beginnenden 90er Jahren stark. RechtsRock und andere Elemente bekamen eine immer größer werdende Bedeutung und führten zur Entstehung eines extrem Rechten Marktes für Musik, Kleidung und anderen subkulturellen Erkennungszeichen. Dieses Potential erkannte in den 90er Jahren auch die NPD, die sich seit Mitte der 90er Jahre immer stärker dem jugendlich-subkulturellen Kreisen öffnete. Dies zunächst auch durch gemeinsame Demonstrationen und Zusammenarbeit bei Wahlen.

Mittlerweile ist es üblich, dass auch die NPD als Organisatorin für extrem rechte Musikveranstaltungen auftritt, um so den subkulturellen Teil der Szene zu bedienen. Hierbei dient die NPD als Anmelder, unter dessen Schirm man diese Veranstaltungen einfacher anmelden kann. Zu dieser Art von Organisationen gehört auch der „Thüringentag der nationalen Jugend“, eine Veranstaltung, die 2011 zum zehnten Mal stattfindet. Diese Veranstaltungen haben verschiedene Funktionen, die sich sowohl nach innen, wie auch nach außen richten.

Für die Szene selbst dienen diese Veranstaltungen als Stabilisierung. Hier kommen verschiedene Akteure der Szene zusammen. Man trifft sich auf einer Großveranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern und erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl, welches kleine Gruppen auf lokaler Ebene so kaum bieten können. Hier trifft man „Kameraden“, die man lange nicht gesehen hat und feiert zusammen. Tauscht sich aus oder knüpft gar neue Kontakte, wodurch also auch die Vernetzung der Szene erhöht werden kann. Dies fördert die kollektive Identität als „nationaler Widerstand“. Für noch nicht fest eingebundene junge Menschen ist dies der subkulturell verpackte Zugang zur menschenverachtenden Ideologie der Szene. Hier treten einschlägige extrem rechte Bands auf, welche durch Reden von NPD-Politikern abgelöst werden. Dieses Jahr gehören neben politisch eher unbedeutenden Kommunalpolitikern wie Marco Kreutzer, aus dem gastgebenden NPD-Kreisverband Nordhausen, auch der NPD-Vorsitzende, Udo Voigt, und der sächsische Landtagsabgeordnete Andreas Storr zu den Rednern auf dem „Thüringentag der nationalen Jugend“. Andreas Storr ist nicht zum ersten Mal Gast auf derartigen Veranstaltungen. Er gehört der extrem rechten Szene seit den 80er Jahren an und war in den 90ern unter anderem Vorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“(JN), der Jugendorganisation der NPD. Besonders in den 90er Jahren wurde die JN nach dem Verbot vieler neonazistischer Organisationen zum Bindeglied zwischen Kameradschaftsszene und NPD. Storr dürfte damit genügend Erfahrung im Umgang mit der neonazistischen Jugendszene der extremen Rechten haben. Neben Reden finden auf dem „Thüringentag“ auch Stände rechtsextremer Zeitschriften, Versände und Kleidungsmarken ihren Platz, die hier für ihre Produkte werben. In Nordhausen werden unter anderem Verkaufsstände vom extrem rechten Germania-Versand und der Kleidungsmarke Ansgar Aryan zu finden sein. Dies zeigt deutlich, wie sich in den letzten Jahren ein regelrechter Markt entwickelt hat, von welchen einige Rechtsextreme gut leben können. Neben den Verkaufsständen für Szenekleidung findet sich auch ein Informationsstand der Publikation Zuerst, einem rechten Nachrichtenmagazin, welches 2010 mit dem Anspruch angetreten war, ein rechter Spiegel zu sein. Schon 2010 beim Parteitag der NPD in Bamberg war ein Stand von Zuerst zu finden, an welchem für NPD-Mitglieder Spezialangebote gemacht wurden. Hierbei ist also klar zu erkennen, an welches Klientel sich die Zeitschrift offenbar richtet. Neben diesen Ständen werden mehrere extrem rechte Organisationen Propagandamaterial auf dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ verteilen.

Wichtiger und vor allem gewinnbringender Bestandteil der Veranstaltungen sind die auftretenden Bands und Liedermacher. Je bekannter die gebuchten Akteure sind, desto mehr Besucher lassen sich erwarten, was gleichzeitig die Einnahmen nach oben treibt. In Nordhausen sollen unter anderem die bekannten Bands Sleipnir, Nordglanz und Words of Anger auftreten. Die Band Sleipnir feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges Bestehen. Waren die Texte zu Beginn vor allem noch eine Mischung von rassistischen Elementen in Verbindung mit sozialen Problemlagen und einem unterschiedlich starken Bezug auf den Nationalsozialismus beziehen sich Sleipnir seit 2000 textlich stark auf die nordischen Mythologie, was mittlerweile typisch für extrem rechte Szene ist: „Hörst du unsere Schreie in der Nacht, der Geist unsrer Väter ist erwacht. Wie einst die Kämpfer aus dem hohen Norden, unerschrocken und von Odin gesandt.“

Noch nicht ganz so lange wie Sleipnir sind die Bands Words of Anger und Nordglanz in der extrem rechten Szene bzw. an deren Rand unterwegs. Jede der beiden Bands beschreibt aber gut die Öffnung der Szene hin zu anderen jugend- und subkulturellen Musikrichtungen und weg vom klassischen Rechtsrock. So wird die Band Nordglanz durch den Verfassungsschutz Hessen dem nationalsozialistischen Black Metal zugerechnet.
Bei Nordglanz sind, typisch für die derzeitige Szene, die Texte heidnischer Natur, weisen dabei aber einen starken Bezug zu historische Begebenheiten auf. So wird z.B. immer wieder der Zweite Weltkrieg thematisiert; in Wolgawinter wird die deutsche Ostfront beschrieben, wo „weit im Osten [die Soldaten] gegen die rote Macht“ kämpften, oder Winston Churchill wird in Wotan strafe England als reiner Antigermanist beschrieben, der aus reinem Hass auf das deutsche Volk Angriffe durchführen ließ: „Die Schand‘ von England / Ein Mörder zum Sir ernannt. / Schande über die Herren, / sie führten seine Mörderhand. / Deutsche Menschen hasste er, /so ist es bekannt.“ Im selben Lied wird auch Rudolf Heß als deutscher Friedensbringer und Märtyrer glorifiziert. Die Band bekennt sich offen zur extrem rechten Szene.

Words of Anger ist eine seit ca. 2003 bestehende Rechtsrock-Band, deren erstes Album gleich von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde. Die Mitglieder der Band sind teilweise bei den Bands Oidoxie und Sturmwehr aktiv, welche in der extrem rechten Szene ebenso beliebt sind. Die Band spielte mit ihrem gängigen Rechtsrock-Sound bereits im europäischen Ausland und hatte diverse Auftritte in Deutschland.
Weiterhin wird der obligatorische Frank Rennicke (trat u.a. für die NPD als Bundespräsidenschaftskandidat an) das Publikum mit seinem musikalischen Können unterhalten. Alles bekannte musikalische Größen in der extrem rechten Szene, welche in ihre Summe eine höhere Besucherquote als bei den letzten „nationalen Thüringentagen“ versprechen und erwarten lassen. Nach Schätzungen von Experten werden bis zu 500 Personen für den „Thüringentag“ erwartet.

Durch dieses große Angebot an Erlebniswelt gepaart mit Ideologie wird die Bedeutung an die eigene Szene deutlich. Neben diesen Funktionen nach innen, verfolgt die Szene aber auch bestimmte Wirkungen nach außen. Zunächst sind diese Veranstaltungen von erheblichem symbolischen Wert, denn sie zeigen, im Falle, dass sie stattfinden, eine Präsenz, dass eben derartige Konzerte und Veranstaltungen nicht mehr nur getarnt als Geburtstagsfeiern im klandestinen Ambiente durchgeführt werden müssen. Hiermit ist immer auch die Gefahr verbunden, dass derartige Veranstaltungen als normal empfunden werden und so besonders auch auf kommunaler Ebene eine schleichende Normalisierung von Partei und Subkultur mit sich bringen. Wie sich dies auswirken kann, war unter anderem im Wurzen der 90er Jahre zu sehen, wo die extrem rechte Subkultur eine gewisse Hegemonie innehatte. Hier konnten sich andere Jugendliche kaum frei bewegen und wurden häufig Opfer gewalttätiger Übergriffe.

Zum anderen dient die Veranstaltung als Brücke nach außen. Als Brücke für Jugendliche, die so den Zugang zu Szene über Musik und Erlebniswelt finden noch bevor sie ideologisch gefestigt wirklich integriert sind. Dies schafft Nachwuchs für die extreme Rechte, in welcher die parteifreien Strukturen wie Kameradschaften oder „Autonome Nationalisten“ ohnehin in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben.

So wichtig diese Veranstaltungen für die Szene selbst sind, gerade auch durch ihre symbolische Bedeutung, so wichtig ist auch der Gegenprotest und die Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen des Rechtsextremismus. Eine Ignoranz und ein „Gewährenlassen“ setzen hierbei falsche Zeichen. Hier liegt die Verantwortung vor allem auch bei den lokalen Medien, die durch eine Auseinandersetzung mit dem Thema erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung haben. Denn hier geht es nicht um „feiernde Jugendliche“ sondern um eine Szene, welche hier ihre menschenverachtende, antidemokratische Ideologie verbreiten will.

Doch bisher ist unklar, ob der „Thüringentag der nationalen Jugend“ überhaupt stattfinden wird. Die NPD mobilisiert zu einem Platz, der nach Aussagen der Verwaltung noch nicht als Kundgebungsort genehmigt ist. Bis jetzt ist auch unklar, ob der Platz der NPD zur Verfügung stehen wird. Nach Medienberichten hat das Weimarer Verwaltungsgericht die Veranstaltung verboten. Damit steht die NPD-Nordhausen wenige Tage vor der geplanten Veranstaltung, zu der bundesweit mobilisiert wird, ohne Platz da und damit kurz vor einer Blamage. Der Ausfall der Veranstaltung wäre für die NPD-Nordhausen um Marco Kreutzer und Roy Elbert ein Desaster und würde auch den Thüringer Landesverband der NPD stark beschädigen.

In Nordhausen ruft das Bündnis gegen Rechts zu einer Gegenveranstaltung auf.