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Dortmund wehrt sich gegen Naziaufmarsch

 

Jung und aggressiv - die "Autonomen Nationalisten" dominieren die Neonaziszene in der Region © Jan Walther

Am Vormittag des 3. September herrscht eine ungewohnte Stille, in der sonst so lebendigen Dortmunder Innenstadt. Für diesen Tag hatte die Neonaziszene ihren „7. Antikriegstag“ im Bezirk Nordstadt angekündigt. Gerechnet wurde mit mehr als 1000 Rechtsextremisten, doch am Ende erschienen nur rund 700. Ihnen gegenüber standen knapp 15 000 Gegendemonstranten, die vergeblich versuchten den Aufmarsch zu verhindern.

Von Julia Wilde und Jan Walther

Noch bevor die Rechtsextremen ihren Aufmarsch beginnen konnten, kam es gegen 11 Uhr an einigen Stellen zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Gegendemonstranten, als diese versuchten, auf die Route der Neonazis zu gelangen. Schon im Vorfeld hatte der Polizeipräsident Hans Schulze deutlich gemacht, dass er keine Sitzblockaden dulden werde und betonte, dass Blockadeaktionen – entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – illegal seien. Entsprechend hart gingen am Samstag die rund 4000 Beamten mit Pfefferspray und Schlagstöcken gegen die Nazigegner vor. Es gab viele Verletzte. 258 Sitzblockierer wurden vorläufig festgenommen.

Für 12 Uhr hatten die Neonazis zu ihrem Aufmarsch am Hauptbahnhof aufgerufen. Zu diesem Zeitpunkt fanden sich über 1000 Gegendemonstranten hinter dem Bahnhof ein, um die Rechtsextremen zu blockieren. Trotz der hohen Polizeipräsenz war die Stimmung am Bahnhof sichtlich aufgeheizt. Immer wieder kam es zu Tumulten, als kleine Gruppen von Rechten kleinen Gruppen unter Polizeischutz zum Aufmarschort eskortiert wurden. Mit dem Einsatz von Pfefferspray verhinderten die Beamten spontane Blockadeversuche.

Mit antisemitischer Hetze und NS-Verherrlichung begann am Mittag der Aufmarsch © Julia Wilde

Die Aufmarschteilnehmer wurden von der Polizei in separaten Zelten für Frauen und Männer penible auf Waffen und andere verbotene Gegenstände oder Kleidungstücke kontrolliert. Absurderweise wurden einige Rechtsextremisten nicht zum Aufmarsch gelassen, weil die Polizei sie für irrtümlich Nazigegner hielt. Währenddessen wurde die unheimliche Stille zwischen Innen- und Nordstadt immer wieder durch Zusammenstöße zwischen der Polizei und Gegnern des „Antikriegtages“ hinter dem Hauptbahnhof durchbrochen.

Um 13.30 Uhr begann der Dortmunder Nazifunktionär Dennis Giemsch abgeschirmt von hunderten Polizeibeamte und mehreren Wasserwerfern mit seiner Rede. Giemsch ist seit Jahren der führende Kopf der Dortmunder „Autonomen Nationalisten“ und genießt hohes Ansehen in der Szene. Zuvor schärfte ein weiterer Redner seinen „Kameraden“ ein ihren Müll ordnungsgemäß zu entsorgen: Sie seien schließlich „keine Asozialen“.

In seiner Rede verherrlichte Giemsch den verstorbenen Altnazi Herbert Schweiger, der im „Dritten Reich“ freiwillig in die Waffen-SS eintrat und am Ende des Krieges SS-Untersturmführer war. Schweiger sei „für uns ein Vorbild“. Ein großes Transparent erinnerte während des Aufmarsches an den SS-Mann, der bis zu seinem Tod mehrfach vor Gericht stand.

Auch antisemitische Verschwörungstheorien vom „internationalen Zinskapitalismus“ trug Giemsch seinen „Kameraden“ vor. Nicht Völker stünden im Krieg untereinander, die größten Probleme der heutigen Zeit würden aus dem „Streben nach Geld, dem Streben nach Absatzmärkten, dem Streben der Banken nach Zinsen und Zinseszinsen“ resultieren. Unter den Pfiffen der Gegendemonstranten behauptete er, dass der zweite Weltkrieg von Frankreich und England begonnen wurde, nachdem Deutschland lediglich in einem „Bilateralen Konflikt mit Polen“ gestanden hätte. Ein weiterer Redner bekundete seine Verbundenheit zu Afghanistan, Libyen und Ägypten, während er mit Parolen gegen Israel die Stimmung unter den Demonstranten anheizte.

In Dortmunds Nordstadt, durch die der Aufmarsch führte, lebt ein hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Mit ein Grund, warum die Rechten genau dort ihre Veranstaltung planten. Schließlich setzten sich die etwa 700 Neonazis, umringt von einem großen Polizeiaufgebot in Bewegung.

Aufgrund der weiträumigen Sperrung der Nordstadt bekam kaum ein Dortmunder etwas von der Rechten-Hetze mit. Lediglich die Anwohner mussten der Rechten-Beschallung standhalten. Mieter, darunter auch einige Menschen mit Migrationshintergrund riefen „Nazis raus“, woraufhin die Rechtsextremen „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ durch die Straßen grölten.

Trotz der 4000 eingesetzten Polizisten schafften es immer wieder einzelne Gegendemonstranten auf die Route zu gelangen und den Aufzug kurzeitig zu blockieren. Unter den Augen der Polizei reagierten die Rechten mit Beschimpfungen und offenen Gewaltandrohungen. Auch Journalisten und Fotografen wurden aus dem Aufzug heraus massiv bedrängt und an ihrer Arbeit gehindert.

Die Gegendemonstranten waren sichtlich enttäuscht darüber, dass sie den Aufmarsch nicht verhindern konnten. Sie hatten zahlreiche Sitzblockaden gebildet, die aber schnell und zum Teil unverhältnismäßig brutal von der Polizei geräumt wurden. Auch mit Musik unter dem Motto „Music against Racism“ wurde am Samstag protestiert. Schon Monate vorher hatten sich mehrere Bündnisse gegen den Aufmarsch zusammengeschlossen. Friedlich sollte ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt werden.

Fast 15 000 Menschen stellten sich dem Naziaufmarsch entgegen © Julia Wilde

„Wir haben friedliche Absichten. Doch jedes Jahr kommen die Nazis aufs Neue in unsere Stadt und schüren Hass“, sagt ein Aktivist. Seine Gruppe hält ein Banner auf dem geschrieben steht: „Wir wollen Liebe! Kein Landser!“, der Name einer bekannten Naziband. Auch zahlreiche Antifagruppen hatten bundesweit zu den Protestaktionen aufgerufen.

„Trotz einer bislang noch nicht dagewesenen politischen Stimmung gegen den Naziaufmarsch hat die Polizei in Dortmund unter Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes den Nazis den Weg freigemacht“, heißt es in einem ersten Fazit des Bündnisses „Dortmund stellt sich quer“. Doch die hohe Zahl der Gegendemonstranten und das sinkende Interesse der rechten Szene am „Antikriegstag“ seien erste positive Signale für das nächste Jahr. Bisher haben die Neonazis Dortmund stets als „ihre“ Stadt bezeichnet. Damit könnte es bald vorbei sein.