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Nazispitzel außer Kontrolle

 

Wer ist Spitzel und wer nicht? Zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes sind in der Neonazi-Szene aktiv © Getty

Fragwürdige V-Männer, schlampige Ermittlungen und jede Menge offene Fragen. Die Verfassungsschutzämter geraten wegen der Mordserie der Nazi-Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund immer stärker unter Druck.

Warum konnte das Zwickauer Neonazi-Trio dreizehn Jahre lang untertauchen, obwohl die rechte Szene in Thüringen mit V-Leuten durchsetzt war? Dies ist eine der offenen Fragen, die nun die Ermittler beschäftigen. Und die Politik. Mittlerweile  mehren sich die Forderungen, die Zusammenarbeit mit V-Leuten grundsätzlich zu überdenken. Der Verfassungsschutz muss sich die Frage gefallen lassen, wie sinnvoll es überhaupt ist, überzeugten Neonazis für viel Geld Informationen zu entlocken, deren Wahrheitsgehalt kaum überprüfbar ist.

Klar ist: Schon Ende der neunziger Jahre lief der Einsatz von V-Leuten in der Thüringer Naziszene, in der das mörderische Trio radikalisiert wurde, gehörig aus dem Ruder. Drei Jahre nach dem Abtauchen von Beate Z., Uwe M. und Uwe B. titelte die Thüringer Allgemeine: „Verfassungsschutz bezahlt weiter rechte Führungskräfte, NPD finanziert Aufmärsche aus der Thüringer Staatskasse.“ Dazu veröffentlichte das Blatt Fotos des Anführers der berüchtigten Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ und damaligem stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Tino Brandt, bei einem Treffen mit einem Verfassungsschützer. Schon 1994 soll er angeworben worden sein.

Bereits ein Jahr zuvor war der Thüringer Rechtsextremist Thomas D. als Spitzel aufgeflogen und hatte anschließend geprahlt, dass er mit dem Geld vom Verfassungsschutz Propagandamaterial für die „Deutsch Nationale Partei“ produziert habe. Der damalige Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, musste nach diesem und anderen Skandalen seinen Posten räumen. Heute schreibt er als Autor für einen umstrittenen rechten Verlag und will sich zu seiner damaligen Arbeit nicht äußern.

Doch die Affäre ging auch ohne Roewer weiter. Eigentlich sollte Tino Brandt als Spitzel schon 2000 abgeschaltet worden sein. Doch die Fotos in der Thüringer Allgemeinen bewiesen, dass Brandt 2001 zunächst erneut für den Verfassungsschutz arbeiten durfte, bis er endgültig aufgegeben wurde. 200.000 D-Mark hat er bis dahin für seine Berichte nach eigener Aussage bekommen.

Von der Zusammenarbeit profitierte die ganze Szene. „Auch konnte ich garantieren, dass wir bei bestimmten Aktionen (Konzerte u. ä.) danach nicht an die Öffentlichkeit gehen, also zur Presse“, zitiert das Fachmagazin Antifaschistisches Infoblatt Brandts Äußerungen aus einer Nazizeitschrift. „Dies führte dazu, dass wir viele Sachen durchziehen konnten“, rechtfertigte er seine Spitzeltätigkeit gegenüber seinen Kameraden.

Auch aus anderen Bundesländern wurden in den vergangenen Jahren haarsträubende Verwicklungen von Neonazis bekannt, die unter der Führung und mit dem Geld des Verfassungsschutzes agierten. Als im Jahr 2000 im Zuge des Verbots des Neonazi-Musiknetzwerkes „Blood & Honour“ Dutzende Gebäude in der ganzen Republik durchsucht wurden, war als einzige die Wohnung des Kassenwartes der Gruppe in Gera komplett „sauber“. Schnell war klar, dass Marcel D. schon seit Jahren als Verfassungsschutz-Spitzel tätig war. Vermutet wurde, dass sein V-Mann-Führer ihn vor der Razzia gewarnt hatte.

2002 wurde bekannt, dass mindestens drei Betreiber von einflussreichen Nazi-Plattenlabels ebenfalls für den Verfassungsschutz gearbeitet hatten und möglicherweise auch Spitzelgehälter in illegale CD-Produktionen investiert hatten. Mirko H. war Inhaber des Rechtsrockvertriebs „Hate Sounds“ im brandenburgischen Werder bei Potsdam. Weil er an Produktion und Vertrieb einer CD der verbotenen Naziband „Landser“ beteiligt war, erhielt er eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren. Auch wegen eines brutalen Übergriffs auf alternative Jugendliche und weitere CD-Produktionen stand er vor Gericht. Mehrere Taten soll er während seiner Spitzeltätigkeit begangen haben.

Auch Sven Sch. aus Neustadt (Sachsen) arbeitete als V-Mann. Mit seinem Naziversand „Hate Records“ belieferte er das ganze Bundesgebiet mit Hassmusik und NS-Devotionalien. Nach seiner Enttarnung boykottierte die Szene seinen Vertrieb und er zog sich zurück.

Ein weiterer rechtsextremer Geschäftsmann stand ebenfalls unter Führung des Verfassungsschutzes. Toni S. führte jahrelang das Brandenburger Nazigeschäft „Hatecrime“ und vertrieb unter den Augen des Verfassungsschutzes CDs der Rechtsrockband „White Aryan Rebels“. Textauszug: „Hängt die Nigger, hab kein Erbarmen!“

Er wurde 2002 wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verwendung von NS-Symbolen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt und bekam anschließend eine neue Identität. Neben dem umfassenden Geständnis sah das Gericht es als strafmildernd an, dass die Verfassungsschützer ihn in seinem Tun immer wieder bestärkt hatten.

Im Jahr 2006 wurde ein weiterer Spitzel enttarnt, dieses Mal einer des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Der Dortmunder Sebastian S. gehörte zum Umfeld der Naziband „Oidoxie“ und des Szenegeschäfts „Donnerschlag“. Aber auch im Drogen- und Waffenhandel spielte S. eine Rolle. Als er festgenommen wurde, entdeckten die Beamten größere Mengen Kokain und scharfe Waffen. 2008 wurde er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sein V-Mann-Führer soll anschließend suspendiert worden sein.

Die bis heute bekannteste Spitzel-Affäre dürfte das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren von 2003 sein. Nach Erkenntnissen des Gerichts, waren allein in der Führungsspitze der Partei 15 Prozent aller Politiker bezahlte V-Leute. Drei Richter legten daraufhin ihr Veto ein. Schließlich könne man nicht beurteilen, ob die Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD nicht von profilierungssüchtigen Spitzeln stammten. Unmittelbar vor und während eines Parteiverbotsverfahrens dürfe es keine V-Leute in Bundes- oder Landesvorständen einer Partei geben, betonte das Gericht. Verfassungsschützer und die Innenminister der Länder lehnten den Abzug der Spitzel aber vehement ab.

Ex-Terrorist und Holocaustleugner Horst Mahler, der damals als prominenter Anwalt die Verteidigung der NPD übernahm, sah sich in seiner Arbeit bestätigt. Ohne mündliche Verhandlung wurde das Verbotsverfahren eingestellt. Die Naziszene bejubelt bis heute die peinliche Blamage des Rechtsstaates.