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…und die Behörden schauen zu

 

Plakat aus Thüringen 2001
Plakat aus Thüringen 2001

Angesichts der unfassbaren Untätigkeiten und Versäumnisse der Verfassungsschutzbehörden in Bezug auf die Morde der neonazistischen Terrorgruppe aus Zwickau, ist das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HBgR) einmal der Frage nachgegangen, wie es denn die Hamburger Behörden so mit ihrem „Blick nach Rechts“ halten. Kaum verwunderlich: auch in Hamburg kann der Extrem Rechte Sumpf nahezu ungehindert unter den Augen des Verfassungsschutzes agieren und sich vernetzen und. Der Störungsmelder dokumentiert den Bündnis-Text.

Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) lässt Neonazis ungehindert agieren. Ob Nazibands, ehemalige SS-Soldaten oder die NPD, alle finden problemlos Räume, weil die Behörden tatenlos bleiben.

Auch wenn sich in Hamburg aktuell keine direkten Beziehungen zu dem Zwickauer Nazitrio nachweisen lassen, so fragt man sich angesichts des offensichtlichen Versagens der Inlandsgeheimdienste in anderen Bundesländern doch, was denn eigentlich der Hamburger Dienst und seine V-Leuten machen.

Der Einsatz von V-Leuten wird seit Jahren von Kennern der extremen Rechten kritisiert, denn hier werden überzeugte Neonazis mit teilweise fünfstelligen Beträgen entlohnt, die manchmal direkt in die Szene weitergereicht werden. Wer kann ausschließen, dass von den V-Mann-Geldern nicht nur Propaganda, sondern indirekt sogar Waffen und Sprengstoff finanziert werden? Es gibt diverse Fälle wo V-Leute in Straftaten bis hin zu Anschlägen verwickelt waren. Außerdem waren die V-Leute der entscheidende Grund für das Scheitern des NPD-Verbotes im Jahre 2003. Sie bleiben die beste Rechtsschutzversicherung der Nazipartei. Trotzdem möchten sowohl der Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD), als auch der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Manfred Murck nicht auf den Einsatz von diesen mit Steuergeldern bezahlten Neonazis verzichten.

In der Sendung „Schalthoff live“ vom Dienstag den 15. November 2011, führte Murck als Beispiel für den V-Leute-Einsatz ein konspirativ organisiertes „Skinheadkonzert am Wochenende“ an, über das man sonst nichts erfahre. Mit seinen Worten da müsse man sehen, „dass man rechtzeitig dazwischen kommt,“ suggeriert der VS-Chef darüber hinaus entschlossenes Handeln. Hier hat Herr Murck sich allerdings das denkbar schlechteste Beispiel für das V-Leute-Unwesen heraus gesucht, denn alle Nazikonzerte der letzten Jahre fanden vollkommen ungestört, teilweise sogar geschützt durch die Behörden statt. Entweder war der Dienst also dessinformiert, oder, was wahrscheinlicher ist, wurden vorhandene Informationen nicht genutzt, um Nazikonzerte zu verhindern oder wenigsten direkt Betroffene zu informieren. Ein paar Beispiele aus der Vergangenheit:

  • 2005 meldete der heutige Hamburger NPD-Vorsitzende Torben Klebe, dem verbotenen Nazi-Netzwerk „Blood & Honour“ entstammend,  neun Tage im Voraus ein Nazikonzert bei den Behörden an, gegenüber dem Vermieter, einem Club auf St. Pauli gibt er jedoch eine harmlose „Party mit Livemusik“ an.  Die Behörden lassen die Vermieter ahnungslos und die Neonazis in Ruhe. Selbstverständlich bleiben mehrere hundert Neonazis auf der Reeperbahn nicht unbemerkt. Schnell protestieren mehrere hundert Menschen gegen das Konzert, die getäuschten Vermieter fordern die anwesende Polizei wegen Vertragsbruch und Lärmbelästigung auf, das Konzert zu beenden – die Polizei weigert sich und die Neonazis bewaffnen sich und feiern unter „Sieg-Heil-Rufen“ ihren Erfolg. Die im Haus befindlichen Clubs haben dafür erhebliche Einkommenseinbußen und einen Imageschaden zu tragen.
  • 2008 findet in Bahrenfeld ein Nazi-Konzert mit den Bands Blutstahl, Sense of Pride und Projekt Irminsul statt. Obwohl 140 Beamte vor Ort anwesend sind, kann der Senat im Anschluss nicht erklären, ob strafbare Lieder, Sprüche oder Handlungen, wie der Hitler-Gruß, geäußert wurden. Der Veranstaltungssaal wurde nicht überwacht.
  • 2009 und 2010 finden im Moorkathen im Stadtteil Moorburg Konzerte der in Nazi- und Hooligan-Kreisen beliebten Band Kategorie C – Hungrige Wölfe statt. In die Organisation eines der Konzerte ist der verurteilte Totschläger Stefan Silar eingebunden. Eine Woche vor dem Konzert 2009 wurde im Haltern am See (NRW) ein Konzert der gleichen Band von Stadt und Polizei verhindert. In Hamburg dürfen die Konzerte hingegen sogar in Räumen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA stattfinden.
  • 2010 findet im Raum Hamburg ein Konzert mit der rechten Kultband Noie Werte statt. Nach antifaschistischen Erkenntnissen wurde das Konzert von der Hamburger Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten, mitorganisiert. Eine Kleine Anfrage der LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft bleibt praktisch unbeantwortet.

Weitere Konzerte fanden laut VS-Berichten in den letzten Jahren in Hamburger Kleingärten oder anderen Orten statt. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Vermieter jemals im Vorfeld von den Behörden über die wahren Hintergründe der Mieter und Veranstaltungen, die meist als private Feiern angemeldet wurden, informiert oder gar beraten wurden.

Die gleiche Situation ergibt sich auch immer wieder für Veranstaltungen der NPD und anderer neofaschistischer Organisationen in Hamburg. Die Nationaldemokraten geben gegenüber Vermietern von Kneipen- oder Vereinsräumen ebenfalls gerne private Feiern oder Kulturveranstaltungen als Zweck der Raumnutzung an. 2010 meldet die Hamburger NPD sogar ihren Landesparteitag mit Obernazi Thomas Wulff als „Sommerfest“ in den Vereinsräumen eines Bramfelder Kleingartenvereins an. Als Anmelder fungierte der langjährige NPD-Aktivist Willi Wegner, vorbestraft u.a. wegen Beteiligung an einem Mord und an Waffenraub. Im KGV war man vertrauensvoll, schließlich hatte Wegner schon ein halbes Jahr zuvor eine „private“ Weihnachtsfeier der NPD angemeldet.

Schon 2006 fand eine Nazi-Veranstaltung im Restaurant Stellinger Ratskeller statt. Im Gebäude befindet sich auch das Ortsamt, nebenan eine Polizeiwache, trotzdem sind bei Veranstaltungsbeginn weder Polizei noch Staatsschutz anwesend. Es kommt die gesamte Hamburger Nazi-Prominenz von NPD und Kameradschaften, um einem Vortrag des ehemaligen SS-Offiziers Klaus Christoph Marloh zu lauschen. Die migrantischen Restaurantbesitzer sind an diesem Tag ebenso ahnungslos, wie in den Monaten zuvor bei NPD-Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten.

Selbst große Institutionen lassen die Schlapphüte in der Ahnungslosigkeit, wenn es um die Nutzung von Räumen durch Nazis geht. Jahrelang konnte sich ein Traditionsverband von ehemaligen Soldaten der Waffen-SS in Räumen der Hamburger Handwerkskammer unbehelligt treffen. Bei den monatlichen Versammlungen wurden „Judenwitze“ gerissen, die Verbrechen der SS und der Wehrmacht geleugnet und Angela Merkel und Helmut Kohl unterstellt, sie seien Marionetten einer „jüdischen Weltverschwörung“. Regelmäßiger Teilnehmer dieser Treffen war auch der damalige Hamburger DVU-Chef Günther Schlemmer. Entsprechend groß war die Empörung, als AntifaschistInnen das Treiben 2006 öffentlich machten. Der Dienst hatte die Beobachtung der ehemaligen Waffen-SS-Soldaten schon 1992 eingestellt, denn – so rechtfertigte sich Manfred Murck, damals VS-Vize,  gegenüber Vorwürfen – der „gewaltbereite Rechtsextremismus hat unser Lagebild geprägt“.

Ein Jahr später wurde dann ebenfalls durch AntifaschistInnen öffentlich gemacht, dass sich die damals noch in Hamburg ansässige Nazi-Partei „Deutsche Volksunion“(DVU) in einem Eisenbahnerheim der Deutschen Bahn traf. 2009 und 2010 fanden auf dem Ohlsdorfer Friedhof nicht angemeldete, illegale Naziaufmärsche statt. 2010 erfuhr das Hamburger Bündnis gegen Rechts im Vorfeld von dem geplanten Aufmarsch und informierte die Polizei. Diese war bis zu dem Zeitpunkt vollkommen ahnungslos, beendete dann jedoch den Aufmarsch.

Auch bezüglich der Beschäftigung von Neonazis in besonders sensiblen Bereichen, hält der Inlandsgeheimdienst seine schützende Hand über diese. Zwar musste der VS im Juni 2007 zugeben, dass ihm das Lehrerehepaar Karin und Jochen Schmutzler „seit Längerem als Unterstützer rechtsextremistischer Parteien bekannt war“, sie waren zu dem Zeitpunkt beide NPD-Mitglieder, die Schulbehörde wurde allerdings erst in jenem Jahr benachrichtigt. Die Öffentlichkeit oder die betroffenen Eltern und SchülerInnen, erfuhren jedoch erst durch die Presse von dem Skandal. Ob noch weitere Hamburger Neonazis im Staatsdienst, als Lehrer, Polizisten, andere Beamte oder in anderen sensiblen Bereichen z.B. mit Zugang zu Waffen, wie Wachschutzdiensten, Schützenvereinen oder der Bundeswehr tätig sind, wird wohl unbekannt bleiben. Der damals gerichtsbekannte Nachwuchskader der  Hamburger NPD, Raphael N. konnte jedenfalls seine Bundeswehrzeit vor zwei Jahr absolvieren.  Und in Sachsen wurde jetzt bekannt, dass dort aktuell 38 Neonazis insgesamt über 150 Schusswaffen legal verfügen.

Es lässt sich konstatieren, dass der Hamburger VS, trotz seiner als notwendig erachteten V-Leute, oftmals ahnungslos ist, oder noch schlimmer, trotz besseren Wissens, seine Informationen weder an andere Behörden, noch an die betroffenen Vermieter, sonstige betroffene Institutionen oder gar die Öffentlichkeit weitergibt. Volker Kauder erklärte vor wenigen Tagen „Ein Instrument, das uns nichts bringt, das brauchen wird nicht.“ Hier ist dem CDU-Fraktionschef ausnahmsweise ein Mal zu zustimmen. 1998 hatten die GRÜNEN noch die schrittweise Auflösung aller Geheimdienste in ihrem Wahlprogramm, heute macht sich die LINKE hierfür stark. Der Abzug der V-Leute aus dem Hamburger Geheimdienst wäre ein erster Schritt. Länder wie Berlin, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben schon vorgemacht, dass es ohne staatlich alimentierte Neonazis in den NPD-Führungszirkeln nicht zur Herausbildung von rechten Terrorstrukturen kam. In der FAZ vom vergangenen Wochenende wurde in einer Überschrift festgestellt: „Zehn Menschen könnten noch leben, wenn die Geheimdienste ihre Arbeit getan hätten. Es ist Zeit, sie abzuschaffen.“  Dem ist nichts hinzuzufügen.

Hamburger Bündnis gegen Rechts