Ein Droh-Schreiben eines Rechtsextremen erreichte die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan. Nicht nur Berlin werden Politiker mit türkischen Wurzeln Opfer von Beleidigungen und Drohungen.
Von Tagesspiegel-Autor Hannes Heine
Özcan Mutlu will nicht jammern, nicht als Nörgler gelten. Aber unerträglich findet er die E-Mails schon, die er regelmäßig bekommt. „Du dreckige Türkensau!“ war da kürzlich zu lesen, Mutlu werde „mit Strömen von Blut“ für das bezahlen, was er als „auferstandener Antichrist“ zu verantworten habe. Mutlu ist Bildungsexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus – und in der Türkei geboren.
Zahlreiche Politiker, aber auch engagierte Jugendliche in Vereinen und Initiativen, werden immer wieder bedroht: rassistische Schmierereien an Hauseingängen, Schmähbriefe der NPD per Post, E-Mails von anonymen Rechtsextremen. Manchmal schlägt die Stimmung in Taten um: Im März 2010 war das Auto von Evrim Sommer in ihrem Wahlkreis in Lichtenberg angezündet worden. Sommer sitzt für die Linke im Abgeordnetenhaus. Zuvor hatte sie mehrfach Drohungen von Neonazis erhalten.
Nach einer Droh-E-Mail eines Rechtsextremen an die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) hatten Beamte des Staatsschutzes am Dienstag den mutmaßlichen Verfasser der Nachricht vernommen. Der 28-jährige Mann aus Hannover ist der Polizei einschlägig bekannt. Zuvor waren bei ihm mehrere Computer beschlagnahmt worden. Die CDU-Politikerin hatte vergangenen Donnerstag eine E-Mail erhalten und die Polizei eingeschaltet.
Mutlu berichtet, dass ihm die Polizei nach Anzeigen in der Vergangenheit mitgeteilt habe, dass man zuweilen zwar Inhaber der Internetanschlüsse ermitteln konnte, von denen Hass-E-Mails an ihn verschickt worden waren. Diese hätten jedoch behauptet, der Internetanschluss werde von Angehörigen mitgenutzt, so dass man nicht wisse, wer für die Drohpost verantwortlich sei. „Besonders viele Drohungen bekomme ich, wenn ich öffentlich aufgetreten bin“, sagt Mutlu.
Das war auch bei Canan Bayram, ebenfalls Grüne türkischer Herkunft, der Fall. In Friedrichshain ist Bayram seit Jahren in der „Initiative gegen Rechts“ aktiv. Einmal hatte ein Unbekannter in den Hauseingang ihrer Privatadresse ein Hakenkreuz gemalt – samt Pfeil in die Richtung ihrer Wohnung. Neben Bildern von Politikern wie Sommer und Bayram tauchen immer wieder Fotos von Neonazi-Gegnern aller Spektren auf der Internetseite des „Nationalen Widerstands Berlin“ auf. Die Seite wird von einem Server im Ausland gespeist und kann hierzulande nicht abgeschaltet werden. Dort werden 100 Personen, unter ihnen ein Tagesspiegel-Reporter, als „Feinde“ geführt.
Faschistoide Charaktere hetzen gegen „Kanaken“, „jüdische Volkszersetzer“ und rundweg Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Der Verfassungsschutzexperte der SPD im Abgeordnetenhaus, Tom Schreiber, wurde als „schwule Sau“ bezeichnet. Schreiber, der homosexuell ist, wurde in den vergangenen Jahren jedoch nicht nur anonym angegriffen. Als er den wegen Kontakten zu Rechtsextremen umstrittenen Ex-Generalmusikdirektor der Komischen Oper, Rolf Reuter, kritisierte, habe er Schmähbriefe mit Namen und Absender bekommen – wobei nicht jede Beschimpfung auch strafrechtlich eine Beleidigung ist.
Andere Sozialdemokraten berichteten von vermehrten Beleidigungen, als sie sich gegen einen Verbleib von Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin in der SPD aussprachen. Sarrazins Äußerungen gegen „integrationsunwillige Migranten“ hätten Hetzer von rechtsaußen ermutigt, sagte eine SPD-Frau. Hetzerische E-Mails bekam zuletzt auch Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün.
Erst während des letzten Abgeordnetenhauswahlkampfes im September hatte die NPD Erstwähler angeschrieben und den Briefen ein symbolisches „Rückflugticket“ für Berliner mit Migrationshintergrund beigelegt. Die Brandenburger Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (Linke) bekam einen ähnlichen Brief, in dem sie zur Ausreise aufgefordert wurde. Ihr Ehemann stammt aus Portugal. Schon zur Bundestagswahl 2009 hatten Politiker mit Migrationshintergrund solche Aufforderungen von der NPD erhalten. Der Ex-Chef der Berliner NPD wurde deswegen zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und 1000 Euro Strafe verurteilt.
Özcan Mutlu will die E-Mail, in der er kürzlich als „arabisch-türkisches Rattengesindel“ bezeichnet wurde, zur Anzeige bringen. Evrim Sommer hat dies mehrfach gemacht – oft ohne Erfolg. In einem Fall jedoch wurde ein verantwortlicher Rechtsradikaler zu einem Jahr auf Bewährung wegen Bedrohung verurteilt.