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Buchtipp: „Distanzieren, Leugnen, Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo“

 

Während zurzeit in Deutschland das Bild rassistischer und faschistischer Gewalt von den Taten der NSU geprägt ist, geht der Blick auf den Massenmord eines Rechtsextremen in Norwegen im Juli dieses Jahres verloren. Dabei steht diese Tat für eine bedeutende Zäsur in der europäischen Rechten. Ein gerade erschienenes Buch liefert eine europaweite Momentaufnahme des politischen Milieus, auf welches sich der Täter von Oslo und der Fjordinsel Utoeya bezieht.

In Deutschland zieht – angeblich unbemerkt – eine Nazibande zwölf Jahre lang durchs Land. Diese ermordet neun zufällig ausgewählte männliche Migranten und legt mindestens eine Bombe in einen migrantisch geprägten Kölner Straßenzug. Taten aus unvermitteltem Rassismus, welcher sich aus einem glasklaren neonazistischen Weltbild der Täter speist. Ein herausragendes Unikum aus einem Meer extrem rechter Gewalt in Deutschland, welche seit der „Wiedervereinigung“ weit über hundert Tote gekostet hat. Schwer verständlich, dass dieses nicht vorher erkannt und gehandelt wurde, aber umso leichter jetzt klar einzuordnen.

Anders verhält es sich bei den Taten des Norwegers Anders Behring Breivik. Dieser ist selbst für Menschen, die im Thema stehen, nicht leicht einzustufen, da es sich bei ihm nicht um einen gewöhnlichen Neonazi handelt. Aber wie ist er nun ideologisch einzuordnen? Ist er ein „Rechtsextremer“, ein „christlicher Fundamentalist“, ein „Faschist“ oder gar ein „Konservativer“, wie er sich selbst bezeichnet? Fest steht, er wird von einer wahnhaften, rassistischen Idee angetrieben: Westeuropa werde mit Hilfe heimischer Mächte vom „Islam“ systematisch erobert und besetzt.

Breivik ist Rassist, der aber nicht, wie die NSU-Neonazis, die Objekte seines fanatischen Moslem- und Einwandererhass umbringt, sondern gegen die in den Krieg zieht, die seiner Meinung nach die Verantwortung tragen an der angeblich apokalyptischen Situation in Westeuropa: Die Verbreiter von „kulturellem Marxismus“.

So legt er eine Autobombe vor ein Regierungsgebäude und erschießt wahllos Angehörige der regierenden Sozialdemokratischen Partei Norwegens, welche sich in einem Jugendsommerlager der Partei befinden. Es sterben 77 Menschen. Das größte Verbrechen aus den Reihen der extremen Rechten in Europa seit dem Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980.

Diese Gewalttat ist über die 77 Tote hinaus noch aus einem anderen Grund eine Zäsur für die Beurteilung der extremen Rechten in (West-)Europa. Breivik entstammt dem Milieu der Kämpfer gegen die „Islamisierung“ Europas, welches Rechtspopulisten verschiedener Couleur, „modernisierte“ Rechtsaußenpolitiker, christliche Fundamentalisten sowie weitere Verteidiger „westlicher Werte“ vereint. Traten diese bislang mit grellen Auftritten und rassistischer Hetze in Wahlkämpfen sowie im Internet auf, so hat Breivik den Worten – auch er schrieb 1500 Seiten mit seinem Manifest voll – Taten folgen lassen. Vorher galt dieser Teil der Rechten – im Gegensatz zu gewalttätigen Neonazis – als zivilisiert, da diese sich an bestimmte demokratische Gepflogenheiten hielten. Teile des Milieus, auf welches sich Breivik bezieht, erschraken sogar vor den Taten des norwegischen Massenmörders.
Der in Frankreich lebende Journalist Bernhard Schmid unternimmt in seinem gerade erschienenen Buch „Distanzieren, Leugnen, Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo“ eine Reise durch dieses in den letzten 10 Jahren entstandene Spektrum. Er stellt dabei auch die Vorläufer vor sowie die Verrenkungen, welche manche traditionelle Rechtspartei wie die französische Front Nationale begehen musste, um heute entsprechend argumentieren zu können. Obwohl fast ganz Westeuropa – in Osteuropa herrschen noch die traditionellen Feindbilder der extremen Rechten vor – abgedeckt wird, gibt es in diesem Buch einen Schwerpunkt in Richtung Frankreich. Schmid begründet dieses damit, dass in Breiviks 1500 Seiten starken Wahnpamphlets Frankreich 548mal und damit deutlich öfter als Deutschland (457mal) und sogar Norwegen (422mal) genannt wird. Möglicherweise dürften es aber eher die exzellenten Frankreichkenntnisse von Schmid sein, die dazu führten, dass viele französische Splittergruppen Erwähnung finden, die beiden großen skandinavischen rechtspopulistischen Parteien „Schwedendemokraten“ (Sverigedemokraterna) sowie die „Dänische Volkspartei“ (Dansk Folks Partiet) nicht wirklich abgehandelt werden.

Dennoch bildet Schmids Buch eine gute Analyse und Momentaufnahmen des rechtspopulistischen Spektrums und Milieus der organisierten Islamhasser in Europa. Einer politischen Formation, die neben Wahlerfolgen aufgrund von rassistischen Zuspitzungen auch fanatisierte Killer hervorbringen kann.

Bernhard Schmid (2011): „Distanzieren, Leugnen, Drohen. Die europäische extreme Rechte nach Oslo“. Edition Assemblage. 125 S., 12,80 Euro