Im April wollen erneut hunderte Neonazis durch Stolberg im Rheinland ziehen. Den tragischen Tod eines jungen Mannes im Jahr 2008 nimmt die regionale Szene seit Jahren zum Anlass regelmäßig in der Kleinstadt aufzumarschieren. Herausgeber Dominik Clemens hat mit dem Buch „Mythos Stolberg“ nun pünktlich zum diesjährigen Aufmarsch einen Sammelband vorgelegt, der unterschiedlichen Facetten des braunen Events beleuchtet.
Journalist Michael Klarmann beschreibt in seinem Beitrag, wie die Neonazis sich den tragischen Tod eines Jugendlichen zu Nutze machen und ihn bis heute rassistisch instrumentalisieren. Dass die Stadt Stolberg auch wegen der langjährigen Präsenz der Wiking-Jugend der Szene als „traditionsreicher Stützpunkt“ galt, dem mit der jährlichen Demonstration neuer Aufwind verliehen werden soll, stellt Dr. Thomas Müller, der heute als Koordinator der Route Charlemagne im Kulturbetrieb der Stadt Aachen tätig ist, in seinem Artikel dar. Prof. Dr. Fabian Virchow von der Fachhochschule Düsseldorf untersucht in seinem Aufsatz die Demonstrationspolitik der extremen Rechten mit dem Schwerpunkt auf Nordrhein-Westfalen. Michael Trube (ehem. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln) und Stephan Otten (ehem. Jugendbildungsreferent des DGB-Region Köln-Bonn) schreiben in ihrem gemeinsamen Beitrag über Interventionsmöglichkeiten gegen rechte Aufmärsche. Der Schwerpunkt liegt dabei auf breiten zivilgesellschaftlichen Bündnissen und deren Wirkungsmöglichkeiten. Hier schließt sich ein Plädoyer von Peter Zimmermann vom Aktionsnetzwerk Jena gegen Rechtsextremismus an, der zivilen Ungehorsam und friedliche Sitzblockaden als ein legitimes Mittel gegen rechte Aufmärsche sieht. Den Abschluss bildet ein Beitrag der schwedischen Journalistin (u. a. „Expo“) Maria Blomquist. Darin beschreibt sie einen ähnlichen Todesfall in Salem, der von schwedischen Neonazis rassistisch instrumentalisiert wird und den Neonazis aus der Region Aachen offenbar als Vorbild dient. Das Vorwort hat Ralf Woelk, der DGB-Vorsitzende der Region Süd-West geschrieben.
Der neonazistische Mythos, der rund um die „Bluttat“ von Stolberg manifestiert werden soll, wird überzeugend demontiert – und als das entlarvt was die Aufmärsche sind: eine rassistische Mobilisierung gegen die multikulturelle Gesellschaft. Dabei bleibt die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten nicht nur auf den konkreten Aufmarsch beschränkt, sondern bezieht auch die braune Geschichte der Kupferstadt Stolberg mit ein. Besonders bemerkenswert und bisher wenig beachtet ist die Parallele zum Neonaziaufmarsch im schwedischen Salem.
Im Buch finden sich verschiedene Denkanstöße, wie sich Zivilgesellschaft, Politik und Einzelpersonen gegen den Aufmarsch im Speziellen und gegen die extreme Rechte im Allgemein unternehmen können. Es läd zu Diskussionen ein, da sicherlich nicht jeder Beitrag bei jedem auf Zustimmung stoßen wird. So lehnt beispielsweise das „Stolberger Bündnis gegen Radikalismus“ Blockadeversuche kategorisch ab, während diese Möglichkeit bei manchen Beitragsschreibern durchaus Zustimmung findet. Doch genau in diesen Kontroversen liegt der Wert des Buches, der auch über die Grenzen des Rheinlandes hinaus bestand hat.
Ein Kauf empfielt sich für alle, die sich umfassend über die Hintergründe des „Mythos Stolberg“ informieren wollen, sowie für die unterschiedlichen regionalen Akteure, die den Aufmarsch stoppen möchten. Doch auch politisch Interessierte können im Hinblick auf andere Aufmärsche viel über das Vorgehen von Neonazis, sowie über die sich hierdurch ergebenden gesellschaftlichen Diskussionen erfahren.
Herausgeber Dominik Clemens hat Politische Wissenschaft, Soziologie sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der RWTH Aachen studiert. Inzwischen leitet er die Koordinierungsstelle des lokalen Aktionsplans Aachen. Gemeinsam mit Richard Gebhardt hat er 2002 den Band „Volksgemeinschaft statt Kapitalismus? Zur sozialen Demagogie der Neonazis“ veröffentlicht.
Dominik Clemens (Hg.): Mythos Stolberg. Zur Instrumentalisierung einer Gewalttat durch Neonazis
Paperback, 2012, 124 Seiten, 11,90 €, ISBN: 978-3-848-200-825