Der rechte Angriff auf ein alternatives Kulturzentrum in Wunstorf, nun doch die Tat unpolitischer Fussballrowdies? Das zumindest schreibt die Leine-Zeitung in ihrer Ausgabe vom DOnnerstag. Demnach soll der Angriff am vergangenen Wochenende auf das alternative Kulturzentrum Wohnwelt nach derzeitigem Stand der polizeilichen Ermittlungen gänzlich ohne Beteiligung rechter Fussballhooligans abgelaufen sein. Dies ist jedoch angesichts der Schilderungen von Augenzeugen und Betroffenen sowie journalistischer Recherchen mehr als fraglich.
Von Sebastien Nekyia
Kaum eine alternative Lokalität in Niedersachsen musste über die Jahre derart häufig Angriffe erleiden wie die Wohnwelt. Mit Bückeburg, Minden, Seelze, Barsinghausen und Bad Nenndorf liegen in der Umgebung Wunstorfs gleich mehrere Städte die in der Vergangenheit oder auch ganz aktuell über akute Neonaziproblematiken verfügen. Der „Reizpunkt Wohnwelt“ befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof, welcher ebenso einen Verkehrsknotenpunkt für die Region und die Nord-West-Verbindungen darstellt. Im Zusammenhang mit den Angriffen nicht von rechts motivierter Gewalt zu sprechen, würde die Hintergründe der einzelnen Taten ignorieren. Sie geben Einblicke in die Vernetzung der Neonazis.
Dass der Angriff von unpolitischen Fussballrandalierern ausgegangen sein soll, zeugt indes eher von grober Unkenntnis über die Szene der Hansestadt. In Bremen sind Neonazis und Hooligans eng miteinander verknüpft, die Stadt Wunstorf dürfte dortigen Rechten nicht unbekannt sein. Im März vergangenen Jahres sollte ein Konzert der rechten Hooliganband „Kategorie C“ (KC) im nur wenige hundert Meter von der Wohnwelt entfernten Wunstorfer Festsaal stattfinden. Das Konzert konnte letztlich verhindert werden, lediglich die rechte Rapperin Mia herm, alias Dee Ex, verirrte sich damals ahnungslos nach Wunstorf. Jetzt über ein Jahr später, könnte genau das zurück ins Gedächtnis der Standarte-Mitglieder gekommen sein. Deren Führungsmitglied Henrik Ostendorf ist der Bruder des KC-Sängers Hannes Ostendorf, welcher ebenfalls zur Standarte gerechnet wird.
Wunstorf, Bückeburg und darüber hinaus…
In Angriffen auf die Wohnwelt waren auch immer wieder Nazikader der Umgebung involviert. Im Jahr 2009, verprügelte der bereits damals wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilte Marco Siedbürger mit einer Gruppe von 30 Neonazis zwei Personen derart, das eine Betroffene ihr Bewusstsein verlor und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Vor Gericht sagten damals Neonazis aus Hannover und Peine als Zeugen aus. Siedbürger war Kader der „Nationalen Offensive Schaumburg“ (NOS). Deren heutige Erben, die Autonome Nationalisten Bückeburg und Westfalen-Nord pflegen engen Kontakt und sind ebenfalls für die andauernde massive Gewalt in der Region verantwortlich. Der ehemalige Wunstorfer Neonazi Christian Warnecke lebt mittlerweile in einer WG im beschaulichen Obernkirchen bei Bückeburg, welches seitens der Nazis mittlerweile als „Nazizone“ beansprucht wird. Schon im Oktober 2011 zeigte sich die Verknüpfung zwischen Mitgliedern des „Widerstand Wunstorf“ und den AN Bückeburg ab, als diese gemeinsam durch Bückeburg patrouillierten.
Auch zum ehem. NOS-Kader Marcus Winter, der besagtes „KC“-Konzert anmeldete, gibt es engen Kontakt. Winter selbst war ebenso in Konflikte um die Wohnwelt und ihrer NutzerInnen involviert. Dem Angriff im Jahr 2009 gingen zuvor andauernde Drohungen per Telefon bei der Geschädigten voraus. Über Monate lauerte man ihr vorm Haus auf. Mehrere körperliche Angriffe, sogar auf ihren Vater, blieben von Medien und Behörden unbeachtet. Engagiert zeigten sich die Beamten damals nur wenige Tage nach dem brutalen Angriff, als sie die Wohnwelt nach Waffen durchsuchten und dabei Stangen eines Kicker-Tisches als mögliche Schlagwerkzeuge beschlagnahmten.
Winter stand im Übrigen zusammen mit dem als Führungskader der AN Bückeburg geltenden Dan Bittner im Februar wegen Körperverletzung vor Gericht. Laut der antifaschistischen Kampagne copy&paste fiel er dort nach seinem Freispruch durch das Zitat, das man nun wieder „einen frei“ hätte, auf. Zuvor ließ er den Anschein erwecken, aktuell Distanz zur Naziszene zu wahren.
An versuchten Überfall im August 2010 im Nachgang des Trauermarsches in Bad Nenndorf hätten sich nach Augenzeugenberichten schätzungsweise 40-70 Neonazis beteiligt. Zuvor missglückte den Rechten ein Aufmarschversuch in Minden. Als die Polizei am Wunstorfer Bahnhofsvorplatz eintraf flüchteten die Neonazis in mehreren Autos, wodurch die Wohnwelt nur knapp einem massiven Angriff entging. Antifaschisten machten damals Kennzeichen aus Hannover, Celle, Peine, Hildesheim und anderer Städte aus.
Braunes Wunstorf oder „Kristallisationspunkt“?
Die Stadt die gleichzeitig ein wichtiger Standort der Bundeswehr ist, tat sich über die Jahre schwer mit dem alternativen Kulturzentrum. Auch aktuell wird dies wieder deutlich. Der Verein mahnte an, seine Gäste vor dem Angriff nicht ausreichend hätte schützen zu können, da die Anmietung sicherer Räumlichkeiten von der Stadt verwehrt wird. Überhaupt werde der Verein durch die Vergabe von Einjahres-Verträgen gegenüber potenziellen aber nicht vorhandenen neuen NutzerInnen benachteiligt: Ihnen werden laut dem Verein Lebensraum Fünfjahres-Verträge in Aussicht gestellt.
Im Umfeld der Wohnwelt musste man sich über die Jahre derweil oft anhören, der eigentliche „Kristallisationspunkt der Gewalt“ zu sein. Dabei liegt der Zündstoff nicht nur in den benachbarten Städten, auch Wunstorfer Neonazis waren immer wieder in Angriffe verwickelt. So beteiligten sich Autonome Nationalisten aus Wunstorf und Seelze am damaligen brutalen Angriff von 400 Neonazis auf die Maikundgebung des DGB in Dortmund im Jahr 2009. Heute ist die lokale Gruppe zerfallen. Die Aktiven gingen entweder innerhalb der neonazistischen Gruppe „Besseres Hannover“ oder innerhalb der Bückeburger Naziszene auf. Auch mit der Gruppe „Besseres Hannover“ bestand seit langer Zeit reger Kontakt und Zusammenarbeit. Die Nazi-Problematik vor Ort war demnach nicht neu, sondern strukturell seit Jahren eingebunden.
Am Beispiel Wunstorf verdeutlicht sich, das man es in der Region mit einer gut vernetzten Naziszene zu tun hat, die über die Grenzen Hannovers hinaus aktiv ist. Der Angriff ist demnach schockierend – verwunderlich oder gar unpolitisch ist er aber keinesfalls.