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Nach der NSU-Mordserie: Behörden auf Fehlersuche

 

Die ausgebrannte Wohnung der NSU-Terroristen in Zwickau © Jan Woitas/dpa

Der NSU-Ausschuss offenbart viele Ermittlungspannen. Nun wird eine Reform der Behörden diskutiert.

Von Tagesspiegel-Redakteur Frank Jansen

Kopfschütteln, konsternierte Blicke, gereizter Ton – die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den Taten der Bande „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ sind genervt. Fast jeder Zeuge, der bisher aufgetreten ist, hat Pannen, Versäumnisse und Kompetenzstreitigkeiten bei der vergeblichen Suche nach dem Neonazi-Trio zugeben müssen. Einzig Günther Beckstein (CSU), einst Innenminister, dann Ministerpräsident Bayerns, hat in seiner Aussage den ihm früher unterstellten Behörden bescheinigt, sie hätten „keine substanziellen Fehler“ gemacht. So viel Chuzpe hat die Abgeordneten erst recht in Rage gebracht.

Der Gesamteindruck der Zeugenauftritte seit Beginn der Beweisaufnahme im April sei „desaströs“, sagt die Obfrau der SPD-Fraktion, Eva Högl. Sie und weitere Obleute sehen angesichts der gravierenden Mängel, die Behörden im Fall NSU zu verantworten haben, reichlich Bedarf, über Reformen nachzudenken.

In einem zentralen Punkt sind sich fast alle Fraktionen bei einer Umfrage des Tagesspiegel einig: die Behörden können nur effektiver arbeiten, wenn Regeln, womöglich auch Gesetze, geändert werden. Am deutlichsten äußert sich der Obmann der Grünen, Wolfgang Wieland. „Der Generalbundesanwalt braucht eine Vorermittlungskompetenz, um prüfen zu können, ob seine Zuständigkeit gegeben ist“, sagt der ehemalige Justizsenator Berlins. Derzeit sei der Generalbundesanwalt „auf Zeitungsauswertung oder auf eine Information durch die Landesstaatsanwaltschaften“ angewiesen. „Die können ihn verhungern lassen“, mahnt Wieland.

So war es dann auch im Fall NSU. In Bayern hielten die Staatsanwaltschaft Nürnberg und die Sonderkommission „Bosporus“ den Generalbundesanwalt aus den Ermittlungen zu den Morden an Migranten heraus. Obwohl die Schwere der Taten wie auch der nur intern geäußerte Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund eine Abgabe der Ermittlungen an den Chefankläger der Bundesrepublik notwendig gemacht hätte.

Auch SPD-Obfrau Eva Högl mahnt, im Ausschuss sei deutlich geworden, „dass der Generalbundesanwalt im Hinblick auf eine mögliche Übernahme der Verfolgungszuständigkeit“ auf die Berichterstattung der Presse angewiesen sei. Dies sei eine der „Baustellen“, mit denen sich der Ausschuss noch beschäftigen müsse.

Eva Högl kritisiert auch, es gebe keine Vorgaben, die die Ermittlungsbehörden verpflichten, bei Opfern mit Migrationshintergrund „standardmäßig“ auch nach einem fremdenfeindlichen Motiv zu suchen und den Verfassungsschutz „routinemäßig einzubinden“. Grünen-Obmann Wolfgang Wieland geht noch einen Schritt weiter. Er fordert, die Polizei müsse schon bei der Arbeit am Tatort „per Vordruck“ nach einem rechtsextremen oder zumindest rassistischen Hintergrund fragen.

FDP-Obmann Hartfrid Wolff sieht vor allem Handlungsbedarf beim Verfassungsschutz. Die Behörden mancher Länder seien „überfordert und zu klein“, sagt Wolff. Die Innenministerkonferenz müsse „für effiziente Strukturen sorgen und notwendige Fusionen einleiten“.

Dem Obmann der Union, Clemens Binninger, erscheint es zwingend, die Polizei mit einem neuen Instrument auszustatten, einem „Analysetool“. Die Behörde müsse in der Lage sein, anhand von Tatmerkmalen bundesweit Kriminalfälle vergleichen zu können, um auffällige Parallelen entdecken zu können. Im Fall NSU gab es beispielsweise nach mehreren Taten Hinweise auf zwei männliche Radfahrer. Doch ein systematischer Abgleich fand nicht statt. Binninger macht sich deshalb Becksteins Idee zu eigen, es sei als Analysetool eine Art „Polizei-Google“ nötig, das nach der Eingabe zentraler Stichworte eine Liste von Fällen anzeigt.

Die Linksfraktion hingegen sieht derzeit wenig Sinn in einer Debatte über Reformen bei den Behörden. Bevor deren Versagen „beim NSU-Nazi-Mord-Desaster“ nicht aufgeklärt sei, „halte ich Änderungen in der Sicherheitsarchitektur für unseriös und aktionistisch“, sagt Obfrau Petra Pau. Wie auch immer die Behörden „gestrickt und vernetzt waren, sie ermittelten fast ausschließlich in die falsche Richtung“. Das sei „kein Struktur-, sondern ein inhaltliches Problem“. Pau wirbt, wie schon lange, für eine „unabhängige Beobachtungsstelle“, die rechtsextreme Umtriebe registriert und prüft, ob die Behörden angemessen reagieren.

Die Mehrheit im Untersuchungsausschuss neigt jedoch dazu, über neue Regeln und Gesetze nachzudenken. Die Frage „gesetzgeberischer Konsequenzen“ werde das Gremium im kommenden Jahr beschäftigen, sagt der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Und er prophezeit eine Debatte, „ob die Rechtsgrundlage für die Kooperation der Sicherheitsbehörden verändert werden sollte“. Zum Beispiel „durch mehr Informationspflichten“ im Verhältnis von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz. Die Notwendigkeit wird sich womöglich wieder am Donnerstag zeigen. Da wird der Ausschuss weitere Zeugen hören, darunter Bernhard Falk, einst Vizepräsident des BKA.