Drei Tage lang tourte die NPD durch sechs bayerische Städte und verkaufte dies anschließend selbstredend als Erfolg – doch auch die rechtsextreme Partei müsste erkannt haben, dass es das auf keinen Fall war. Viel eher offenbarte die Deutschlandfahrt der NPD durch Bayern den desolaten Zustand des Landesverbands und die schlechte personelle Aufstellung der neonazistischen Partei.
Augsburg, München, Regensburg, Nürnberg, Bayreuth und Würzburg – waren die Ziele der NPD-Deutschlandfahrt in Bayern. An insgesamt 3 Tagen machte die rechtsextreme Partei an den jeweiligen Stationen halt; einmal Vormittag, einmal Nachmittag. Und immer mit dem gleichen Ergebnis: Geringer Beteiligung von Seiten der NPD – und massiver Ablehnung durch die Bürger/-innen der jeweiligen Städte. Bisweilen stellten sich über 2000 Menschen gegen die NPD, der damit in allen Städten jedwede Öffentlichkeitswirkung verwehrt werden konnte. Für die Neonazi-Partei verkam die Deutschlandfahrt damit in Bayern, wie zuvor auch bereits in anderen Bundesländern, zu einer richtig peinlichen Aktion.
Doch die „Deutschlandfahrt“ förderte tatsächlich auch noch etwas anderes zu Tage, und zwar die desolate Lage der bayerischen NPD. Gehören dem bayerischen Landesverband der rechtsextremen Partei laut Verfassungsschutz insgesamt 900 Mitglieder an, so tourte die NPD weitestgehend mit ihrer Stammbesatzung durch Bayern, von der manche – mit Ausnahme der Redner – aus anderen Bundesländern stammten. Nur vereinzelt fanden sich bayerische Anhänger ein – und über 20 Personen wurden es inklusive der Lkw-Crew niemals. Obwohl die Partei nicht öffentlich mobilisiert hatte, dürften die Zahlen einen neuen Tiefpunkt für die bayerische NPD darstellen und einen Trend bestätigen, der sich im Freistaat schon länger abzeichnet: Während die NPD zusehends an Einfluss verliert, gewinnen ihn militante Neonazi-Kameradschaften, die sich im „Freien Netz Süd“ organisieren, dazu. Ein Effekt, der sich nach dem Austritt verschiedener führender Kameradschafts-Nazis aus der NPD nochmals deutlich verstärken haben dürfte. Anfang/Mitte Mai hatten nämlich mehrere bekannte Neonazi-Kader aufgrund eines in ihren Augen zu sanften Kurses der NPD das Handtuch geworfen und sich vollends von der Partei abgewandt.
Der Landesverband unter der Leitung von Ralf Ollert scheint also wahrlich nicht gut aufgestellt zu sein. Entweder hat die NPD deutlich weniger Mitglieder als angenommen oder die Parteianhänger trauen sich alle nicht in die Öffentlichkeit. Für die NPD, die im nächsten Jahr für den Landtag kandidieren will und hierzu teilweise bereits ihre Kandidaten aufgestellt hat, wäre jedenfalls beides fatal. Denn ein effektiver Wahlkampf im Sinne der Neonazi-Partei ist ohne eine größere Zahl von Anhängern wohl kaum zu bewältigen. Hinzu kommt ferner die vehemente Kritik der Kameradschafts-Nazis an Landeschef Ollert und die teilweise unterschiedlichen Ausrichtungen und Strategien verschiedener NPD-Kader in Bayern. Am deutlichsten wird das am Beispiel Ralf Ollert/Karl Richter. Beide sind in der NPD aktiv, beide sitzen für die NPD-Tarnorganisation „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ in bayerischen Stadträten – und doch verfolgen beide gänzlich andere Kurse. Repräsentiert Ollert maßgeblich die von Parteichef Holger Apfel propagierte „seriöse Radikalität“, darf es für Richter gerne auch etwas radikaler sein.
So stört sich Richter zum Beispiel überhaupt nicht daran, bei einem Aufmarsch des „Freien Netz Süds“ mitzulaufen, wohingegen dies für Ollert gar nicht in Frage zu kommen scheint. Schon seit längerem hat der bayerische Landesverband unter Ollerts Leitung mit den freien Kameradschaften gebrochen und zuvor war die Beziehung untereinander zumindest angespannt. Vielmehr setzt er deshalb jetzt seit einiger Zeit auf eine andere Strategie, mit der er junge Anhänger locken will, die sich bislang eher für die radikaleren Kameradschaften mit ihrem Aktionismus und bisweilen gewaltbereitem Auftreten interessiert haben. Um diesen Rückstand auszugleichen, den die Partei über Jahre hinweg entstehen ließ, wurden im letzten Jahr zusammen mit Holger Apfel die „Jungen Nationaldemokraten Franken/Oberpfalz“ gegründet, die unter der Leitung von Sven Diem stehen. Diem dient Ollert vermutlich hauptsächlich dazu, junge Anhänger zu rekrutieren – und entwickelt sich ganz nebenbei unter der Fittiche des bayerischen NPD-Chefs zu einer regelrechten Parteigröße, die erst kürzlich als Kandidat für die Landtagswahlen im Jahr 2013 für den Stimmkreis Forchheim aufgestellt wurde.
Versuchte Diems Truppe zu Anfang noch mit regelmäßigen Auftritten attraktiv für rechtsoffene Jugendliche zu erscheinen, war damit schnell auch wieder Schluss. Insgesamt drei Mal hielt die „JN“ eine Kundgebung unter dem Motto „Wir sind keine Terrorristen – Die Presse lügt“ ab, ehe es allmählich wieder ruhiger wurde um die Jugendorganisation der NPD. Seither beteiligen sie sich höchstens an Aktionen, die von der Partei selbst ausgehen. Auffallend war bei der „JN“ anfangs das aggressive Auftreten, das sicherlich konträr zu Apfels „seriöser Radikalität“ gestanden haben dürfte. Beispielsweise griff die „JN“ bei einer Kundgebung in Weißenburg auf das Kommando „Alle Kameraden an die Front“ hin mehrmals hinter einer Absperrung befindliche Gegendemonstrant/-innen an oder unternahm zumindest den Versuch. Anwesend bei dieser Kundgebung war zudem Landeschef Ollert, der sich zwar bewusst zurückhielt und sich nicht selbst an den Attacken beteiligte, aber auch nicht mäßigend auf die „Kameraden“ einwirkte. Dafür gibt es sicherlich Gründe, denn Ollert, der bereits einmal von radikaleren Anhängern gestürzt werden sollte, hat in der Partei ohnehin keinen sicheren Stand, weswegen er auf die „JN“ angewiesen sein dürfte. Indem er Diem zu einer wichtigen Person innerhalb der Partei macht, erhofft er sich wohl, im Zweifelsfall Rückendeckung zu bekommen, sollte es erneut zu einem Versuch kommen, ihn zu stürzen.
Theoretisch könnte die „JN“ auch für den Landtagswahlkampf interessant sein, praktisch aber eher für Diem selbst als für den gesamten bayerischen Landesverband. Fest steht nämlich, dass Diem für den Stimmkreis Forchheim antreten wird – eben jenem Gebiet, in dem die „JN“ einen ihrer Aktionsräume hat. Und um für den gesamtbayerischen Landtagswahlkampf aktiv zu werden, dürfte der JN überdies das Personal fehlen. Die Konzentration auf einen einzelnen Wahlkreis müsste aber im Rahmen des möglichen sein. Wie die komplette bayerische NPD unterdessen ihren Wahlkampf bewältigen will, dürfte fraglich sein, insbesondere nachdem sie infolge der Parteiaustritte einige Kader in führenden Positionen verloren hat. Eine besondere Situation besteht in diesem Zusammenhang sicherlich in der Oberpfalz, wo die „Geschäftsstelle“ der NPD gleich komplett „geschlossen“ wurde. Das dürfte der NPD schmerzen, denn mit 1,9 Prozent der Stimmen konnten sie in der Oberpfalz eines ihrer besten Ergebnisse bei den letzten Landtagswahlen einfahren.
Neben ihrem desolaten Zustand hat die NPD in Bayern weiterhin mit einer massiven Ablehnung der Bürger/-innen zu kämpfen. Wo immer die rechtsextreme Partei auftaucht, stehen zumeist unzählige Menschen auf der Straße, um gegen sie zu demonstrieren. Und auch mit populistischen Themen (Euro-Rettungsschirm oder Hetze gegen die Europäische Union) kann die NPD derzeit nicht besonders viele Leute ködern. Negativ hinzu kommt für die Neonazis ebenso, dass die NPD nahezu immer mit dem NSU und seinen Taten in Verbindung gebracht wird, wenngleich sie immerzu verzweifelte Distanzierungsversuche unternehmen. Das erscheint nur folgerichtig, waren doch einige mutmaßliche Unterstützer des Terrortrios NPD-Aktivisten – und ist die Partei mit ihrem Programm doch zumindest ideologischer Wegbereiter für diese Taten gewesen. Erfolg dürften sie in Zukunft also kaum haben, zumal die Partei für viele neue Anhänger, auf die die Rechtsextremist/-innen angewiesen wären, trotz der Neugründung der „JN“ eher unattraktiv erscheinen dürfte. Für viele Neonazis sind die radikaleren und deutlich losgelöster agierenden Kameradschaften mittlerweile längst interessanter geworden als eine Parteimitgliedschaft.
Und genau das entwickelt sich in Bayern zusehends zu einem Problem. Während die NPD ihre wichtige Rolle für die Nazi-Szene nach und nach verliert, gewinnen sie die Kameradschaften hinzu. Da diese nur wenig mit einer Partei anfangen zu können scheinen, aber offenbar dennoch gewählt werden wollen, setzen sie auf eine neue Taktik: die Gründung von sogenannten „Bürgerinitiativen“. Vorgemacht haben das Fürther Neonazis, die mit der „Bürgerinitiative Soziales Fürth“ Bürger/-innen anlocken und von ihrer Ideologie, die sie selbstverständlich zunächst einmal tarnen, überzeugen möchten. Nachahmer fand das Projekt schnell. Nur wenig später gründeten Oberpfälzer Nazis nämlich die „Bürgerinitiative Soziale Alternative Oberpfalz“, die presserechtlich von einem bekannten Funktionär des „Freien Netz Süds“ geführt wird – Robin Siener, der außerdem bis zu seinem Austritt im Mai 2012 stellvertretender Bezirksvorsitzender der NPD-Oberpfalz war. Laut „Bayern gegen Rechtsextremismus“ verfolgen die Neonazis damit die Strategie, „bürgernah und wählbar“ zu erscheinen.
Selbst wenn die NPD also nur mit sehr geringen Erfolgsaussichten an den Start geht, ist die Gefahr am Ende leider keineswegs gebannt. Sie verschiebt sich lediglich und nimmt in ihrer Gefährlichkeit sogar noch zu, da dieses Konzept der Tarnung eine immense Gefahr birgt. Gelingt es den Neonazis erst einmal, sich unscheinbar zu tarnen und die in der vermeintlichen „Mitte“ vorherrschenden rassistischen Stereotype anzusprechen, könnte es durchaus gefährlich werden – und die Strategie für die Rechtsextremist/-innen aufgehen. Deshalb gilt es, weiterhin wachsam gegen neonazistische Umtriebe zu sein und über solche Strategien aufzuklären.