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Rechtsextremismusdatei: Von einem „Meilenstein“ weit entfernt

 

In vielen Fällen sind es zivilgesellschaftliche Initiativen, die auf rechtsextreme Straftaten hinweisen - nicht die Polizei © Johannes Hartl

Innenminister Hans-Peter Friedrichs (CSU) neuste Waffe im Kampf gegen den rechten Terror nennt sich „Rechtsextremismusdatei“ und wird angepriesen wie eine sagenumwobene „Wunderwaffe“. So sinnvoll das auch klingen mag, solange es von Seiten der Behörden im Umgang mit rechtsextremen Straftaten keine Änderungen gibt, dürfte jede noch so gut gemeinte Datei sinnlos bleiben. Ein Kommentar.

Von einem „Meilenstein“ sprach Bundesinnenminister Friedrich bei der Vorstellung der Verbunddatei für „gewaltbezogene Rechtsextremisten“. Der Grundgedanke dieser Datenbank ist simpel, aber durchaus sinnvoll: Behörden sollen darin alle möglichen Informationen über Neonazis speichern, die durch Gewalttätigkeiten aufgefallen sind. Im Zweifelsfall sind diese Informationen dann abrufbar und können mitunter für die Fahndung benutzt werden. Soweit so gut. Doch in der Praxis sieht das ganze etwas anders aus. Gerade im Fall des NSU wäre diese Datei nämlich nutzlos gewesen, wie Andreas Speit in einem Kommentar auf taz.de bereits treffend festgestellt hat. Und mindestens ebenso nutzlos wäre sie in unzähligen anderen Fällen. Denn bei staatlichen Behörden gibt es ein grundlegendes Problem: rechtsextreme Straftaten werden in vielen Fällen gar nicht erst als solche erkannt.

Denn wie bitte schön hätte eine Verbunddatei den Ermittlungsbehörden bei der Fahndung nach den NSU-Terroristen helfen sollen? Es kam doch die ganze Zeit über niemand wirklich auf die Idee, dass es sich um rechtsextreme Täter handeln könnte. Stattdessen wähnten die Beamten die Opfer in tiefen kriminellen Verflechtungen und gingen – getreu rassistischer Stereotype – davon aus, dass die Opfer womöglich Verbindungen zur Mafia gehabt hätten und aus diesem Grund sterben mussten. Gewissermaßen wurde ihnen also selbst eine Schuld an ihrem Tod zugeschoben. Eine Rechtsextremismusdatei hätte theoretisch vielleicht helfen können. Aber dieser Gedanke dürfte auch theoretischer Natur bleiben, denn wenn die Behörden rechtsextremen Terror nicht als solchen erkennen, dürfte die Datei die wohl nutzloseste „Wunderwaffe“ seit langem sein.

Und derartige Fehleinschätzungen, wie sie sich die Behörden beim NSU geleistet haben, sind ja leider bei weitem keine Seltenheit. Fragt man bei Opfern rechter Gewalt nach, stößt man nicht selten auf ähnliche Berichte: Rechtsextreme Straftaten werden nicht als solche erkannt oder bewusst nicht als solche kategorisiert. Vielerorts scheint der Ruf einer Stadt oder die Aufhübschung der Kriminalitätsstatistik immer noch wichtiger zu sein, als ein fachgerechter Umgang mit von Neonazis begangenen Straftaten. Unzählige Beispiele belegen dies auf traurige Art und Weise.

An sich ist die Idee einer behördenübergreifenden und für alle zugänglichen Datenbank natürlich sinnvoll. Doch Friedrich lobt sie zu unrecht derart hoch, von einem „Meilenstein“ ist diese Datenbank nämlich in Wahrheit meilenweit entfernt. Zumal man auf die Idee einer besseren Vernetzung zwischen den Behörden auch schon lange vor dem NSU hätte kommen sollen. Und: Solange die Behörden rechtsextreme Straftaten nicht erkennen – oder vielleicht auch nicht erkennen wollen – wird diese Datenbank bedauerlicherweise nutzlos bleiben. Denn um ihren Sinn erfüllen zu können, müssen die Behörden erst einmal auf die Idee kommen, sie überhaupt zu nutzen. Und wie soll das funktionieren, wenn ständig in die falsche Richtung ermittelt wird und eine rechtsextreme Straftat gar nicht erst in Betracht gezogen wird?

Hinzu kommt, dass es noch genügend andere Dinge geben würde, die von der Bundesregierung endlich angestoßen werden müssen. Beispielsweise müssen Beamten im Umgang mit rechten Straftaten dringend sensibilisiert werden, beispielsweise müsste die Bundesregierung endlich damit aufhören, dass Engagement gegen Rechts unter einen Generalverdacht zu stellen, beispielsweise müssten endlich alle Todesopfer rechter Gewalt anerkannt werden, beispielsweise müssten zivilgesellschaftliche Initiativen deutlich intensiver als bislang gefördert werden. Die Liste ist lang – und ließe sich an dieser Stelle beliebig fortführen. Erst wenn all das – und noch mehr – geschehen würde, könnte man womöglich wirklich von einem „Meilenstein“ sprechen.