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Rassistische Stimmungsmache: In Berlin sorgt nicht nur die NPD für Hetze

 

NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke hetzt gegen Einwanderung © Christian Jäger

Mit vier kurzen Mini-Kundgebungen in verschiedenen Berliner Bezirken versuchte die NPD um Sebastian Schmidtke am Samstag, gegen „Ausländerkriminalität“ zu hetzen und die aktuelle Flüchtlingsdebatte weiter rassistisch aufzuladen. Dieser Versuch dürfte wenig erfolgreich gewesen sein, aber Ressentiments und Vorurteile bestimmen schon längst an vielen Orten auch ohne Neonazis die Diskussion.

Von Theo Schneider

Es waren lediglich acht Teilnehmer, die sich um NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke in Köpenick, Marzahn, Lichtenberg und Weißensee für jeweils einstündige Kundgebungen unter dem Motto „Sicherheit durch Recht und Ordnung“ versammelten. Unter ihnen David Gudra, der stellvertretende Vorsitzende des Neonazi-Tarnvereins „Sozial engagiert in Berlin e.V.“, über den der NW-Berlin Treffpunkt Lückstraße 58 angemietet wurde oder die ehemalige Chefin des verbotenen Frontbann 24, Gesine Hennrich. Neben Schmidtke sprach auch seine Lebensgefährtin Maria Fank aus dem Bundesvorstand des NPD-Zirkels „Ring Nationaler Frauen“.

Anlass für die Kleinstveranstaltungen, gegen die z.B. am Weißenseer Antonplatz rund 40 Menschen protestieren, war der Mord an einen Jugendlichen am Alexanderplatz. Vor allem die Herkunft der Täter musste in Reden Schmidtkes immer wieder als Beleg für seine rassistischen Thesen herhalten. Ähnliche Instrumentalisierungen des Vorfalls gab es bereits von rechtspopulistischen Splittergruppen wenige Tage zuvor.

Weitere Veranstaltungen wurden von der NPD bereits angekündigt. Thema sollen offenbar auch die anhaltenden Flüchtlingsproteste und die derzeitige Asyldebatte werden. Damit versucht sich die NPD offensichtlich, wie bereits im letzten Wahlkampf, als rassistisches Original zu präsentieren, um sich von den – meist lediglich gemäßigter auftretenden – Kleinstparteien wie „Pro Deutschland“ abzugrenzen, aber auch um sich als radikaler als beispielsweise die CDU zu präsentieren, die mancherorts versucht, rassistische Ressentiments der Bevölkerung zu kanalisieren und mittlerweile eine noch stärkere Verschärfung des Asylrechts fordert.

Denn in vielen Bezirken sorgen die kurzfristig eingerichteten Notunterkünfte für Flüchtlinge, die lediglich als temporärer Aufenthalt gedacht sind, bis über ihren Asylantrag entschieden wird, für Unmut in der lokalen Bevölkerung. Laut Sozialsenator Mario Czaja (CDU) wurden in Berlin wegen steigender Flüchtlingszahlen zuletzt acht neue Notunterkünfte mit 920 Plätzen eingerichtet. Zurzeit seien insgesamt 4878 Flüchtlinge in 25 Einrichtungen untergebracht. Laut Czaja gäbe es angeblich „organisierte Busreisen“ aus Serbien und Mazedonien nach Deutschland, wobei 2012 für Flüchtlinge aus diesen Ländern kein einziger Asylantrag bewilligt wurde.

Fordert Kürzungen für Asylbewerber: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) © Theo Schneider

Czaja bläst dabei in dasselbe Horn wie Innenminister Friedrich, der offen von „Asylmissbrauch“ spricht: Er sagte, Asylanträge von Menschen aus Serbien und Mazedonien seien nicht akzeptabel und die Menschen wüssten, dass sie die deutschen Asylkriterien nicht erfüllen. Er bezog sich vor allem auf Sinti und Roma, die dies angeblich täten. „Das ist ein Ausnutzen unseres Systems und ich nenne es Missbrauch“, hatte Friedrich gesagt. Später forderte er sogar: „Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll künftig eine abgesenkte Barleistung erhalten.“ Dass die genannten Länder aber nicht als solche Staaten gelten und das Bundesverfassungsgericht vor kurzem erst entschied, dass schon jetzt die Leistungen für Asylbewerber gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen, interessiert Friedrich offenbar nicht. Scharfe Kritik kommt auch vom Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose: „Das Thema Asylmissbrauch an einer Minderheit wie den Sinti und Roma abzuhandeln, halte ich für mehr als diskriminierend. Da betreibt man ein Stückweit Hetze.“ Er verwies auf einen schlimmen Rassismus gegen Roma in Serbien und Mazedonien.

In mehreren Berliner Ortsteilen, in denen Notunterkünfte eingerichtet wurden oder geplant sind, führt nicht nur die Debatte bei Anwohnern zu lauter werdenden Unmut. In Rudow führte die örtliche CDU eine „Bürgerversammlung“ über ein geplantes Containerdorf auf einem Gelände am Teltowkanal durch. Rund 150 aufgebrachte Menschen erschienen, mit im Publikum auch der Neuköllner NPD-Chef Sebastian Thom und der Lichtenrader NPD-Aktivist Thomas B., die von der CDU trotz Kritik geduldet wurden. Die anwesenden Rudower sehen ihre dörfliche Idylle gestört, würden die Flüchtlinge am liebsten auf das Tempelhofer Feld oder den Rütli Campus schicken. Einer sagte, „Wenn schon nach Rudow, dann in die Einflugschneise, damit sie schnell wieder abhauen.“ Zwei Vertreter von Flüchtlingsrat und den Grünen wurden hingegen niedergebrüllt. Gegenüber der taz will die CDU von Rassismus in der Veranstaltung nichts wissen: Rassistische Stimmen habe Hans-Christian Hausmann nicht gehört. Es sei lediglich für den Schulneubau argumentiert worden. „Die Stimmung war pro Schule, nicht kontra Asylbewerber.“

Dem widersprechen jedoch nicht nur die Grünen, sondern sogar die NPD. Auf Facebook schildert NPD-Aktivist Thomas B. „Die Bevölkerung hier in Rudow sind schockiert und wollen vieles versuchen dieses zu verhindern […] Ich war selbst auch dabei und habe echt gestaunt ,,mir kam es schon fast so vor als wäre ich beim NPD Stammtisch“ (Fehler im Original). Die NPD kündigt auf ihrer Internetseite bereits Aktionen in Rudow an und fordert, der Stadtteil „muss mit seinem dörflichen Charakter deutsch bleiben“.

Rund 150 Menschen solidarisierten sich nach der Neonaziattacke mit den Flüchtlingen in Waßmannsdorf © Theo Schneider

Nur wenige Tage danach folgt ein Angriff auf die Flüchtlingsunterkunft in Waßmannsdorf, kurz hinter der Stadtgrenze bei Rudow. „Rostock ist überall“ und „NW-Berlin“ sowie ein Hakenkreuz sprühten die Täter an die Fassade und warfen Scheiben ein. Ein Zusammenhang mit der Veranstaltung in Rudow und dem Anschlag erscheint plausibel, ist doch Sebastian Thom auch Vorsitzender des Tarnvereins für den Neonazi-Treff in der Lückstraße in Lichtenberg und gerade mit einem Ermittlungsverfahren wegen der Webseite des „NW-Berlin“ konfrontiert. Zudem trug er noch im März bei einem Aufmarsch ein Transparent der Gruppierung. In Reaktion auf den Anschlag zogen am Samstag über 150 Menschen von Schönefeld nach Waßmannsdorf um den Bewohnern ihre Solidarität zu bekunden.

Ähnliches droht möglicherweise auch im Südosterberliner Stadtteil Grünau. Am vergangenen Freitag fand in der Grünauer Friedenskirche unter dem Motto „Grünau hilft“ eine Informationsveranstaltung über die kurzfristig im Bürgeramt eingerichtete Flüchtlingsnotunterkunft statt. Seit zwei Wochen leben dort 98 Menschen, zumeist aus Serbien, Bosnien und Tschetschenien in der früheren Polizeistation. Zur Veranstaltung fanden sich rund 150 Anwohner ein. Der Titel war von Pfarrer Ulrich Kastner bewusst gewählt. Dieser sollte die Richtung vorgeben und verhindern, dass von Beginn an die Auseinandersetzung darin entgleitet, dass wütende Anwohner sich in ihren Ressentiments und Vorurteilen nur gegenseitig bestätigen. Mit absurden Rechenspielchen oder „schlechten Erfahrungen“ wie „rauchenden Heimbewohnern“ oder „offene Fenster und laute Fernsehgeräusche“ versuchten Anwohner gegen die Einrichtung zu polemisieren. Leider versäumte es das Podium weitestgehend, jenseits von den trockenen Fakten die rassistische Grundannahme zu widerlegen, Flüchtlingsunterkünfte seien ein „Problem“ an sich. Stattdessen berichtete Bezirksstadträtin Feierabend (Linke) über eine „Verärgerung im Bezirksamt“ bei der Ortswahl zu wenig Mitspracherecht gehabt zu haben. Man hätte andere Einrichtungen im Blick gehabt, lehne zudem größere Sammelunterkünfte ab. Dennoch konnte der BVV-Verordnete Matthias Schmidt (SPD) verhindern, dass die Veranstaltung ausartete. Sehr zur Verärgerung von rund 30 Anwesenden, die laut polternd und schimpfend die Kirche frühzeitig verließen.