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Thüringens tiefbraune Fußballfans

 

Die Mannschaft von FSV Wacker 90 posiert gemeinsam mit der umstrittenen Fangruppe "Wackerfront" © Screenshot

Brutale Gewalttaten, Nazipropaganda und beste Verbindungen in die rechtsextreme Szene. In Nordhausen tummeln sich unter den Fans des örtlichen Fußballklubs dutzende Neonazis. Der Verein tut wenig, um dagegen vorzugehen. Presseanfragen zum Thema werden einfach ignoriert. Dabei ist es höchste Zeit zu handeln.

Oktober 2012, die Podiumsdiskussion in Nordhausen ist gut besucht. Weit mehr als 100 Menschen sind gekommen, um sich mit Rechtsextremismus und Fußball zu beschäftigen. Seit Jahren gibt es auch in Nordhausen eine militante und teils extrem rechte Hooliganszene. Dies war für viele Anwesende die Motivation herzukommen. Neben dem Sportjournalisten Ronny Blaschke, Vertretern von Fanprojekten und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus nimmt an diesem Abend auch der Präsident von „Wacker Nordhausen“, Nico Kleofas, an der Diskussion teil. Es ist die erste öffentliche Veranstaltung in der Stadt, die seit dem Auftreten der Hooligangruppe „NDH-City“ 2008 zu diesem Thema stattfindet. Große öffentliche Statements des Vereins waren bisher kaum zu vernehmen. Wie schnell deutlich wird, sind an diesem Abend nur wenige Wackerfans anwesend. Kleofas scheint sich auf die Veranstaltung nur wenig vorbereitet zu haben. Die Hooligangruppe „NDH-City“ sei nicht mehr existent, die Probleme zurückgegangen und außerdem könne man Extremisten auch mit Stadionverboten nicht ändern, so sein Tenor. Der Verein habe getan, was in seiner Macht stehe und einem Teil der Mitglieder Hausverbote erteilt. Was Kleofas nicht erwähnt, die sieben im Jahr 2008 erteilten Stadionverbote in Nordhausen liefen bereits drei Jahre später wieder aus. Zudem galten diese nur für das vereinseigene Stadion in der Rolandsstadt. Dies geht aus Informationen des Thüringer Innenministeriums hervor.

Der Journalist Ronny Blaschke sieht das Auftreten des Vereinspräsidenten kritisch: „Nico Kleofas hat wie viele Vereinsfunktionäre im Amateurfußball einen gängigen Reflex offenbart. Er versucht Überschneidungen zwischen Fans und Rechtsextremen zu relativieren. Wichtig ist eine offensive und dauerhafte Auseinandersetzung, diese hat es in Nordhausen lange nicht ausreichend gegeben. Wie sonst sind die kritischen Anmerkungen vieler Gäste zu verstehen?“, sagt der Fußballexperte nach der Veranstaltung. Auch Blaschke hofft auf Konsequenzen aus der Veranstaltung. „Ich hoffe, dass die Veranstaltung einen Wendepunkt markieren kann und sich die Führung von Wacker auch für externe Experten öffnet“, sagt er weiter.

Die unendliche Geschichte

Seit 2008 traten die militanten Hooligans des Vereins Wacker Nordhausen unter dem Namen „NDH-City“ öffentlich als geschlossene Gruppierung auf. Bis zu 50 Personen wurden der der Hooligangruppe zugeordnet. Schon kurz nach der Entstehung der Gruppe wurde deren deutliche Überschneidung mit der regionalen Neonaziszene deutlich. Mitglieder von „NDH-City“ begingen innerhalb und außerhalb des Stadions zahlreiche schwere Straftaten. Dies führte in der Stadt zu einem derartigen Bedrohungspotential, dass Angstzonen entstanden, in welchen regelmäßig Angriffe auf Menschen stattfanden. Opfer konnte dabei jeder werden, der den militanten Hooligans nicht passte. Schon Anfang 2009 zeigte sich die extreme Gewaltbereitschaft. Rund zehn Vermummte stürmten eine Wohnung, sprühten Pfefferspray und schlugen auf die Anwesenden ein. Bis Ende des Jahres 2010 hatte die Polizei weit mehr als 100 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder von „NDH-City“ eingeleitet. Die Liste der Straftaten ist lang: unter anderem Beleidigung, Verstoß gegen das Waffengesetz, gefährliche Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch. Noch im Dezember 2010 griffen Mitglieder der Gruppe mehrere Polizeibeamte an und verletzten diese schwer. In der Folge wuchs die mediale und politische Aufmerksamkeit. Auch durch vereinzelte Verurteilungen nahm der Druck auf die Gruppe immer weiter zu. Ab 2011 verschwand das Label und die Gruppe trat nicht mehr geschlossen als „NDH-City“ auf. Kurze Zeit später hatte sich die militante Hooliganszene erneut formiert. Diesmal unter dem Namen „Wackerfront“.

Neonazis beim Bombengedenken 2012 in Nordhausen. Mit dabei Christopher S. (zweiter v.r.) © Kai Budler

Neuer Name, alte Probleme

Viel hat sich seit der Umbenennung nicht geändert. Die Zahl der erfassten Straftaten scheint zurückgegangen zu sein, die Strukturen vor Ort bestehen aber weiter. Besonders wenn die rechtsextreme Szene gemeinsam an Gedenkveranstaltungen teilnimmt, werden die Kontinuitäten und Netzwerke deutlich. Dann treten Alt-Mitglieder von „NDH-City“ gemeinsam mit „Wackerfront“ -Anhängern und NPD-Kadern auf. Gut vernetzt mit der rechtsextremen Szene sind nicht wenige der Hooligans. Ein besonders gutes Beispiel für die Zusammenarbeit mit der extremen Rechten ist der Nordhäuser Christopher S. Seit mehreren Jahren ist der extrem rechte Hooligan in der Szene aktiv und trat in Nordhausen immer wieder auch öffentlich mit anderen Neonazis auf. 2011 nahm der 19 Jährige bei einer Gedenkveranstaltung mit rund 30 weiteren Neonazis teil. Als es zu Protesten gegen die Teilnahme der Rechtsextremen kam, riss S. einem Gegendemonstranten ein Plakat aus der Hand. Hier findet sich ein Video der Geschehnisse.

Kaum ein Jahr später trat Christopher S. erneut mit der lokalen Neonaziszene bei der Gedenkveranstaltung zusammen auf: Seite an Seite mit den Alt-Mitgliedern von „NDH-City“ und anderen Neonazis, die im Laufe der Veranstaltung die Oberbürgermeisterin attackierten. Beide Veranstaltungen wurden durch zahlreiche Medienberichte auch öffentlich dokumentiert. Kaum einen Monat nach der Gedenkveranstaltung schaffte Wacker Nordhausen den Aufstieg in die Oberliga. Bei den Feierlichkeiten zeigte sich, wie eng die Verbindungen zwischen Verein und „Wackerfront“ offensichtlich sind. Mit die ersten, die den Spielern gratulierten, sind Mitglieder der „Wackerfront“, wie Videos zeigen.

Ganz vorn unter den Gratulanten: Christopher S. So ließ man es sich am Ende auch nicht nehmen, von Mannschaft und „Wackerfront“ ein gemeinsames Aufstiegsfoto vor dem Transparent der Hooligan-Gruppe anzufertigen. Eine Randerscheinung ist die „Wackerfront“ offensichtlich nicht. Sowohl der Präsident des Vereins, als auch der amtierende Bürgermeister der Stadt Nordhausen, Dr. Klaus Zeh (CDU), waren bei der Aufstiegsfeier im Stadion.

Dass Nordhausen sein Neonazi-Problem keineswegs gelöst hat, zeigte eine kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke). Laut den Informationen des Thüringer Innenministeriums gab es allein von Juli bis September 2012 im Bereich der Landespolizeiinspektion Nordhausen über 30 rechtsextreme Straftaten. In vielen Bereichen führt Nordhausen damit die Thüringer Statistik bei rechtsextremen Straftaten an. Unberücksichtigt bleiben die zahlreichen gewalttätigen Übergriffe von Mitgliedern der „Wackerfront“, die außerhalb des Stadions geschehen. Äußern möchte sich der Verein zu all dem offenbar nicht. Trotz mehrfacher Anfrage von ZEIT ONLINE, hat der Verein nicht auf Fragen zur Wackerfront und Neonazis in der Fankurve reagiert. Auch die Wackerfront selbst ließ unsere Emails unbeantwortet.