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TV-Debatten: Darf man die Schuldfrage jetzt wieder stellen?

 

Ausschnitt: "Unsere Mütter, Unsere Väter"  © ZDF
Ausschnitt: „Unsere Mütter, Unsere Väter“ © ZDF

Mehr als sieben Millionen Menschen sahen kürzlich den ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, Unsere Väter“. Seit seiner Ausstrahlung ist medial häufig die Rede von einem dadurch ausgelösten neuen Dialog zwischen den Generationen und einem neuen Impuls zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Was jedoch vor allem ins Auge springt: So mancher Akteur nutzt die Debatten für fragwürdige Aussagen.

Ein Beitrag für den Störungsmelder von Robert Fisher

Der Dreiteiler „Unsere Mütter, Unsere Väter“ erzählt, dramaturgisch durchaus gekonnt, die Geschichte fünf junger Freunde, die allesamt an Kriegsgeschehen und NS-Staat mitgewirkt haben, jedoch mittelfristig einsichtig geworden und (wenn überhaupt) als gebrochene und gezeichnete Menschen heimgekehrt sind. Er zeichnet ein Bild einer Generation, die zwar mitgewirkt hat, der aber hauptsächlich die Jugend geraubt und eine Ideologie aufgezwungen wurde.

Der Titel erweckt den Eindruck, als solle die Geschichte einen realistischen Querschnitt dieser Generation abbilden, dabei lassen sich vergleichsweise wenige überzeugte Nazis ausfindig machen. Nun mag manch einer behaupten, das sei eben nur ein Spielfilm und die Charaktere hätten aus rein dramaturgischen Gründen so einen hohen Identifizierungswert. Dass zusätzlich zu den drei Teilen zwei ZDF-History-Sendungen produziert wurden, lässt vermuten, dass hier durchaus ein Geschichtsbild vermittelt werden sollte.

Von Opfern und Tätern

Seit der Ausstrahlung waren auch die Talkformate der öffentlich-rechtlichen Sender geprägt von dieser Thematik. Markus Lanz lud letzten Dienstag, am Tag vor der Ausstrahlung des dritten Teils, unter anderem den konservativen Historiker Arnulf Baring ein. Dieser konnte sich mit der historischen Botschaft durchaus anfreunden, und lobte die Relativierung der deutschen Kriegsschuld wie folgt: “Ganz großartig an dem Film ist, dass man sieht, dass die ganze Teilung , von der wir seit Jahrzehnten reden, nämlich die von Opfern und Tätern, dass die nicht hinhaut. Die Opfer sind irgendwo Täter und die Täter sind irgendwo Opfer.” Keiner der anderen Gäste (Politikerin Marina Weisband, Moderator Dirk Stermann, Schauspielerin Christiane Paul und Journalist Claus Strunz) hatte dem ernsthaft etwas entgegensetzen, auch medial wurde diese Äußerung kaum thematisiert.

Am Sonntag nutzte auch Günther Jauch den Dreiteiler als Aufhänger für seine Sendung und lud, mit Ausnahme eines 30-jährigen Historikers und dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, vornehmlich Zeitzeugen mit zumindest indirekter Kriegsbeteiligung ein. Der eigentlich gute Ansatz des generationenübergreifenden Austauschs mochte nicht so recht aufgehen, da zwischendurch immer wieder Verharmlosungen und Relativierungen aufkamen. So monierte beispielsweise der ehemalige Panzergrenadier Rolf Weiß: „Was heißt Schuld? Als kleiner Landser konnte man gar keine Schuld haben. Wir mussten nur Befehle ausführen.“. Der Schriftsteller Dieter Wellershoff berichtete davon, wie ein Teil seiner Kompanie einmal in Italien „in ein Massaker geraten“ war. Und die ehemalige Lazarettschwester Elm Lalowski konnte das klischeehafte „es war ja nicht alles schlecht“ gerade noch vor Vollendung abbrechen. Die herausstechenden Szenen waren vorallem Fremdschäm-Momente.

Ein Blick zurück

Es ist prinzipiell begrüßenswert, dass das Thema zu diesem Anlass einmal medial aufgenommen wurde. Ein solcher Umgang mit Zeitzeugenaussagen ist jedoch weder journalistisch noch historisch annehmbar oder zweckdienlich und trägt nicht in annehmbarer Form zur Vergangensheits- und Schuldbewältigung bei. Was hier an verschiedenen Stellen zu beobachten war, ist ein scheinbar salonfähiger, weichgespülter Geschichtsrevisionismus. Wenn noch nicht einmal die kompromisslose Anerkennung der deutschen Kriegsschuld Konsens der bürgerlichen Mitte ist, wie soll diese bürgerliche Mitte dann überzeugten Geschichtsrevisionisten entgegentreten?

Ganz anders wurde diese Thematik noch 2003 gehandhabt, als der damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann am Tag der deutschen Einheit sagte: „Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ‘Tätervolk’ bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet. Meine Damen und Herren, wir müssen genauer hinschauen […] Weder ‘die Deutschen’ noch ‘die Juden’ sind ein Tätervolk.“

Damals war es Angela Merkel, die im Zuge einer großen Medienaffäre ein Fraktionsausschlussverfahren anregte, woraufhin Hohmann im November 2003 aus der CDU-Fraktion und im Juli 2004 aus der CDU ausgeschlossen wurde.

Immer weniger Zeitzeugen

Ob die Tatsache, dass mit den neuerlichen Relativierungen sehr viel weniger kritisch umgegangen wird als noch in Zeiten der Hohmann-Affäre, von einer Trendwende zeugt oder nicht sei einmal dahingestellt. Fakt ist jedoch: Angesichts der schwindenden Zahl an Zeitzeugen sollten wir gerade jetzt einen ehrlichen und kritischen öffentlichen Dialog über die deutsche Kriegsschuld anregen. Diese Chance haben die öffentlich-rechtlichen in der letzten Woche zum Teil leider vertan.