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„Billige und unglaubwürdige Propaganda“

 

Herrmann (dpa)
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bei der Pressekonferenz © dpa

Am Freitag hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Halbjahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vorgestellt. Erwartungsgemäß wurde der Kampf gegen den Rechtsextremismus im Freistaat und die Großrazzia gegen Angehörige des „Freien Netzes Süd“ gelobt. Doch einen Grund für lobenden Worte gibt es in der Realität nicht. Ein Kommentar.

Bei der Vorstellung des Berichts für das erste Halbjahr 2013 des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) war man voller Stolz. Geht es nach Innenminister Joachim Herrmann von der CSU, gehe die Staatsregierung nämlich „konsequent“ gegen Neonazis vor und habe die Angehörigen des Neonazi-Netzwerks „Freies Netz Süd“ (FNS) mit der Großrazzia vor rund einem Monat „spürbar verunsichert“. Zudem könne die NPD im Freistaat auf nur „wenig Rückhalt“ hoffen und müsse überdies einen „Einbruch“ bei der „Zahl ihrer Unterstützer für die Wahlen zum Landtag und Bezirkstag“ verzeichnen. Nur über die Zunahme der Anschläge auf Gebäude von engagierten Personen in München seit Beginn des Prozesses gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und den zunehmenden Aktivismus der Neonazi-Szene im Freistaat zeige man sich geringfügig besorgt. Aber ansonsten sei doch alles Bestens, die Arbeit gegen Nazis laufe in Bayern ohnehin ganz gut.

Das ist – etwas vereinfach zusammenfasst – die schöne Illusion, die Innenminister Joachim Herrmann in bekannter Regelmäßigkeit der Öffentlichkeit zu skizzieren versucht. Doch was haben diese lobenden Worte mit der Realität zu tun? Kurz und knapp: Wenig! Betrachtet man die oben aufgelisteten Erkenntnisse objektiv, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild.

1. Behauptung: „Die Bayerische Staatsregierung geht konsequent unter Ausschöpfung aller rechtlicher Möglichkeiten gegen rechtsextremistische Umtriebe vor (…)“

Was schön klingt, hat mit der Wahrheit nichts gemein. Denn das einzig vermeintlich konsequente Vorgehen, das Herrmann für sich verbuchen kann, ist die Großrazzia gegen Angehörige des Neonazi-Netzwerks „Freien Netz Süd“ vor rund einem Monat – und selbst dazu musste der Innenminister von der Opposition im Landtag – allen voran von der bayerischen SPD – regelrecht gezwungen werden. Außerdem steht das „konsequente Vorgehen“ bei der Razzia mittlerweile stark in Zweifel. Während in anderen Bundesländern die Polizei frühmorgens bei Neonazis zu einer Razzia klingelt und noch gleich vor Ort die Verbotsverfügung überreicht, klingelte die Polizei in Bayern zwar zur Razzia, ließ den Neonazis dann aber wieder ihre Ruhe. Die alten Strukturen bestehen also weiter; das FNS hat folglich gemütlich Zeit, sich Gedanken über mögliche neue Strukturen für ein Netzwerk zu machen. Das nennt man doch mal ein wahrhaft bemerkenswert „konsequentes Vorgehen“!

Zwar mag die Auswertungen von Beweismaterialien ihre Zeit in Anspruch nehmen, doch eigentlich hätten die Verbotsgründe in der Vergangenheit geradezu auf der Straße gelegen: Das Personal war in Teilen identisch mit dem der 2004 verbotenen „Fränkischen Aktionsfront“ (FAF), die Neonazis haben im September 2012 sogar ein leicht abgewandeltes Banner der FAF wiederverwendet und Experten haben bereits kurz nach der Gründung des FNS im Jahre 2009 auf den Nachfolgecharakter hingewiesen – ein Geheimnis war dies wahrlich nicht. Auch war die offene Bezugnahme auf den Nationalsozialismus mehr als offensichtlich. So trugen FNS-Aktivisten regelmäßig T-Shirts mit NSDAP-Wahlkampfmotiven, verherrlichen verurteilte Nazi-Kriegsverbrecher oder hielten gleich mehrere „Nationale Frankentage“ in Anlehnung an den „Frankentag“ des NSDAP-Politikers Julius Streicher ab. Von der Gewaltbereitschaft des FNS, den menschenverachtenden Inhalten und Reden ganz zu schweigen. Dass der CSU-Politiker mit der Razzia trotzdem bis zum beginnenden Wahlkampf gewartet hat, sagt viel über sein angeblich „konsequentes Vorgehen“ gegen Neonazis aus.

Unabhängig von der Razzia sieht es mit dem „konsequenten Vorgehen“ sowieso ziemlich bitter aus. Die Polizei scheint häufig – trotz ihrer Anwesenheit – nicht willens oder in der Lage, rechtsextreme Straftaten als solche zu erkennen und entsprechend zu reagieren. In vielen Fällen können Neonazis unter den Augen der Polizei ungestört hetzen, die Schulung von vielen Beamten scheint in diesem Themenkomplex mangelhaft. Bezeichnend sind hier Beamte, die der Meinung sind, Neonazis müsste man einfach in Ruhe lassen und dann würde sich das Problem schon selbst klären. Äußerungen, die in Bayern leider keine Einzelfälle sind. Das dramatischte Beispiel ist aber wohl der Prozess gegen den ehemaligen Rechtsterroristen Martin Wiese wegen seiner Äußerungen beim „Nationalen Frankentag“ 2011. Grundlage für den Prozess damals waren nicht Dokumentationen der Polizei, sondern der Medien. Ein anderes, erschreckendes Beispiel ist die Gartenfeier von Neonazi in München-Obermenzing im Juli 2013, bei der die Polizei am Abend einfach abzog und die Neonazis ungestört feiern ließ. Bei dieser schier unglaublichen Konsequenz möchte man Joachim Herrmann ja fast gratulieren…

2. Behauptung: Nach der bayernweiten Razzia ist die Szene „spürbar verunsichert“

Nicht minder lächerlich ist die Behauptung von Joachim Herrmann, wonach die Neonazi-Szene in Bayern durch die Großrazzia „spürbar verunsichert“ worden wäre. Dabei müsste der Innenminister selbst einen lebhaften Eindruck davon bekommen haben, wie „spürbar verunsichert“ die Szene tatsächlich war: Bei seiner Pressekonferenz tauchten immerhin die bekannten Neonazis Lorenz Maierhofer und Thomas Schatt auf, vermummten sich im Innenministerium, fotografierten und stellten unter anderem die Frage, von welcher Verfassung die Rede sei. Na, wenn „spürbar verunsicherte“ Neonazis heute so aussehen…!

Tatsächlich zeigt sich die Szene von der Razzia nahezu unbeeindruckt, was auch am ungehinderten Aktionismus und dem offensiven Auftreten ersichtlich ist. Die Gartenfeier in München-Obermenzing mit beinahe der kompletten Führungsriege des FNS, bei der sich Neonazis offen mit „Heil-Hitler!“ begrüßt und Journalisten attackiert haben, ist ein weiterer eindrucksvoller Beleg; ebenso das unbeirrte Festhalten am ebenfalls in der Tradition des Nationalsozialismus stehenden „Europa-erwachet“-Festivals, das inzwischen wegen eines Verbots in eine Kundgebung umgewandelt wurde. Aus all diesen Aktivitäten mag man sicher vieles ableiten können – ganz sicher aber keine „spürbare Verunsicherung“ der Szene.

3. Behauptung: Die NPD hat „wenig Rückhalt“ und muss einen „Einbruch an Unterstützern für die Landtagswahl und die Bezirkstagswahl“ 2013 verzeichnen

Zumindest faktisch richtig ist die Einschätzung bezüglich der NPD, die bei der diesjährigen Landtagswahl in den Regierungsbezirken Oberbayern und Unterfranken mangels Unterschriften nicht antreten kann und wirklich einen Rückgang ihrer Unterstützer verzeichnen muss. Doch ein Grund für die unterschwellig mitklingende Entwarnung ist dieser Umstand trotzdem nicht. Gleichwohl die NPD schwächelt, entfaltet sie weiter Aktivitäten. Zudem haben die Behörden am schwächelnden Zustand der Neonazi-Partei keinen Anteil, vielmehr ist die NPD in diesem Fall über ihre eigene Unfähigkeit gestolpert. Das muss sich aber nicht wiederholen; die Gefahr, dass die NPD aus ihren Fehlern lernen wird, ist groß. Und trotz ihres Debakels gibt es mit der „Deutschlandfahrt“ schon bald wieder Aktionen in Bayern, die alle Demokratinnen und Demokraten in Form von Gegenprotesten fordern werden. Dies dürfte sich leider auch in Zukunft nicht ändern, die Gefahr von der NPD bleibt reell. Sie wird auch in Zukunft öffentlich auftreten und menschenverachtende Hetze verbreiten, Entwarnung kann hier unter überhaupt keinen Umständen gegeben werden.

Was bleibt vom Halbjahresbericht des Verfassungsschutzes?

Was der Verfassungsschutz und mit ihm das Bayerische Staatsministerium des Inneren präsentiert, ist zusammenfassend nicht mehr als billige und noch dazu ziemlich unglaubwürdige Propaganda. Herrmann singt – wie erwartet – ein Loblied auf sein angeblich so tolles Vorgehen und auf die natürlich vermeintlich so toll arbeitenden Behörden, allen voran die Bayerische Polizei und das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Dass dies mit der Realität nicht vereinbar ist, müsste mittlerweile aber auch jedem Zeitungsleser klar sein. Umso unverständlicher ist es, dass die Präsentation des Halbjahresberichts von vielen Medien derart kritiklos hingenommen wird und die Erkenntnisse als bare Münze akzeptiert werden. Ein genauer Blick und eine genaue Recherche würden sich hier definitiv lohnen.

Wenngleich das Ministerium vorgibt, die Bekämpfung des Rechtsextremismus als wichtig aufzufassen und mit allen Möglichkeiten zu verfolgen, gibt es in Bayern ein großes Problem mit Neonazis. Diese Tatsache stellt engagierte Demokratinnen und Demokraten vor große Probleme und große Herausforderungen. Denn entgegen der Eigendarstellung der Staatsregierung sind es nicht die Behörden, sondern in vielen Fällen die Bürger, die Neonazis entgegentreten. De facto machen die Behörden von ihren repressiven Möglichkeiten zu wenig Gebrauch, viele rechte Straftaten werden nicht geahndet. Hinzu kommt, dass die Behörden das Engagement gegen Neonazis in vielen Fällen erschweren oder – wie zuletzt in Regensburg – Demokraten durch den Verfassungsschutz als „linksextremistisch“ diffamieren lassen.

Noch immer diffamieren und verleumden Neonazis Demokraten auf ihren Homepages, noch immer begehen Neonazis unter den Augen der Polizei Straftaten, noch immer begrüßen sich Neonazis ungestört unter den Augen von etlichen Zuschauern und Polizisten laut hörbar mit „Heil-Hitler“. All das ist Alltag in Bayern, es ist eine traurige Realität. Und solange sich das nicht ändert, sollte sich die Staatsregierung schämen, wenn sie von einem „konsequenten Vorgehen“ spricht. Solange all das geschieht, hilft es im übrigen auch nicht, wenn der Bericht ein paar zutreffende Tatsachen auflistet, die im übrigen lange vorher schon von anderen, nicht-staatlichen Stellen, thematisiert wurden. Was Herrmann letzten Endes präsentiert und gelobt hat, lässt ihn eigentlich ziemlich peinlich und lächerlich erscheinen. Ganz nach dem altbekannten Motto der Staatsregierung zum Thema: „Ich mal mir die Welt, wie sie mir gefällt“.