Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat kürzlich zu mehr Zivilcourage aufgerufen und ein entschiedenes Vorgehen gegen den Rechtsextremismus gefordert. Es sind schöne und durchaus wichtige Worte. Doch die CDU-Politikerin vergisst leider, dass es eben genau ihre Regierung ist, die in nicht wenigen Fällen ein effektives Engagement behindert. Ein Kommentar.
Es waren schöne Worte, die Bundeskanzlerin Angela Merkel gewählt hat. In ihrem Videopodcast forderte sie ein entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus in ganz Europa und rief zu „Zivilcourage in der Gesellschaft“ auf. Zudem bezeichnete die Kanzlerin es als „sehr beschämend, dass es in Deutschland keine jüdische Einrichtung“ ohne Polizeischutz gibt. Aus diesem Grund sei jeder aufgerufen, sich „mit der Geschichte auseinanderzusetzen und zu verhindern, dass es wieder zu so etwas kommen kann“, sagte Merkel am Samstag.
Doch abseits dieser schönen Worte ist es mit alledem nicht weit her. Denn während Angela Merkel zu einem entschiedenen Vorgehen gegen den Rechtsextremismus aufruft, ist es die Bundesregierung selbst, die mit ihrer Extremismusklausel engagierte Demokraten unter Generalverdacht stellt. Während Angela Merkel dem Rassismus den Kampf ansagt, ist es das Kabinettsmitglied Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU, der mit rassistischen Ressentiments gegen Flüchtlinge und einem völlig lächerlichen Schreckensszenario von vermeintlicher Armutszuwanderung in den Bundestagswahlkampf zieht. Und während Angela Merkel europaweit den Rechtsextremismus bekämpft sehen will, tut sich die Bundesregierung nach wie vor schwer mit deutlicher Kritik an dem Rechtsruck in Ungarn.
Tatsächlich gäbe es europaweit im Kampf gegen Neonazis und Rassismus viel zu tun. Dies ist richtig. Doch solange die Bundesregierung an ihrer Extremismusklausel festhält, solange die Bundesregierung bzw. deren Angehörige selbst mit Ressentiments in den Wahlkampf ziehen und solange nicht endlich rechte Entwicklungen innerhalb Europas auf das schärfste verurteilt werden, sind die Aussagen der Bundeskanzlerin nur leere, bedeutungslose Worte.
In diesem Land gibt es ein großes Problem mit organisiert auftretenden Neonazis. Sie diskriminieren, attackieren und töten grundlos – wie zuletzt im bayerischen Kaufbeuren – Menschen. Es ist ein gewaltiges Problem, es ist ein Problem das dringend angegangen werden muss. Doch in diesem Land gibt es auch ein Problem mit der schweigenden Mehrheit. Als in Kaufbeuren auf einem Familienfest ein Spätaussiedler aus Kasachstan brutal niedergeschlagen und tödlich verletzt wurde, war man kurz betroffen – doch mehr Reaktionen gab es nicht. Genauso läuft es jedes Mal wieder. Menschen sehen weg, immer wieder. Eigentlich müsste auf eine solch grausame Tat ein öffentlicher Aufschrei folgen, Menschen müssten empört gegen Rassismus demonstrieren und gemeinsam aufstehen. Doch das passiert nicht. Man sieht lieber bequem weg, will von allem nichts wissen und nichts sehen. Diese Menschen, die sich feige Wegducken, sind Teil eines riesigen Problems.
Zu all dem kommt noch der Alltagsrassismus in Deutschland hinzu, der bittere Realität ist. Auf erschreckende Art und Weise haben Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt, dass 25,1 Prozent der Bevölkerung eine ausländerfeindliche Einstellung aufweisen – und dabei handelt es sich nicht um organisierte Neonazis, sondern um gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger. All dies ist Alltag, es ist bedauerlicherweise zu einem Stück Normalität geworden. Wenn Merkel schon gegen Rassismus kämpfen will, darf dies nicht unerwähnt bleiben. Zudem sollte die Bundeskanzlerin bei Gelegenheit auch mal Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich dazu anhalten, nicht in bekannter Regelmäßigkeit mit rassistischen Ressentiments gegen Flüchtlinge zu hetzen und – etwas überspitzt formuliert – den Untergang des Abendlandes an die Wand zu malen, der – welch Wunder! – im Übrigen trotz mehrerer Jahre Friedrich als Innenminister noch kein einziges Mal eingetreten ist.
Wenn Merkel es ernst meint mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus in ganz Europa und dem Aufruf zu mehr Zivilcourage, dann ist die Bundesregierung zunächst einmal gefragt, der aktiven Zivilgesellschaft – die die bedeutendste Rolle im Kampf gegen Rechts einnimmt – die Steine aus dem Weg zu räumen und sie endlich effektiv, ohne Generalverdacht, zu fördern. Das wäre ein erster Schritt – neben vielen weiteren natürlich. Erst wenn sich in diese Richtung etwas bewegt, kann man anfangen, die Worte von Angela Merkel ernst zu nehmen.