Der Satiriker Osman Engin hat mit „Deutschland allein zu Haus“ eine brillante Satire über Rechtsradikalismus und die Folgen von geringer Wahlbeteiligung vorgelegt. Mit großem Geschick erzählt der Autor von einer ernsten Thematik – und regt zum Nachdenken an.
Als der Protagonist Osman Engin und seine Familie in den letzten Tagen des Familienurlaubs in der Türkei von den Wahlergebnissen in Deutschland erfahren, trauen sie ihren Augen nicht: Die Nazis in Form der Partei NEP sind aufgrund einer Wahlbeteiligung von nur 24 Prozent mit 25,5 Prozent der Stimmen neben der CDU die zweitstärkste Kraft im Deutschen Bundestag! Für die Familie Engin ein Schock – zumal sich Osmans Onkel Ömer zu Besuch angekündigt hat. Weil Osman seinem Onkel immer wieder von Deutschland vorgeschwärmt hat, darf dieser von den aktuellen Entwicklungen natürlich unter keinen Umständen etwas erfahren.
Wenn die Nazis plötzlich an der Macht sind…
Dieses Szenario ist der Ausgangspunkt von Osman Engins neuem Roman „Deutschland allein zu Haus“. Doch die Neonazis sind in dem Werk nicht nur zweitstärkste Kraft im Parlament, sondern tolerieren die CDU auch als Minderheitenregierung und können somit spürbar Einfluss auf deren Politik nehmen. Das macht sich schnell bemerkbar, als Osman mit seiner Familie und Onkel Ömer wieder am Bremer Flughafen gelandet ist: Anstatt wie üblich die Passkontrolle zu passieren, muss sich die Familie an einem eigenen Schalter, dem „Kanaken-Schalter“, anstellen; am Bahnhof laufen neuerdings überall Nazi-Skinheads mit gefährlichen und bissigen Hunden durch die Gegend; viele von Migranten betriebene Länden haben dauerhaft geschlossen – und etliche Bürger lassen ihrem Rassismus ungestört freien Lauf.
Im weiteren Verlauf der Handlung hat das auch spürbare Auswirkungen auf das Leben von Familie Engin. Da viele Migranten geflohen sind und dadurch Arbeitskräfte wegfallen, muss Osman in seinem Betrieb plötzlich Doppelschichten schieben. Zu allem Überfluss kann er auch sein geliebtes Auto nicht mehr zum TÜV bringen und keinen Benzin für seinen grünen Fort-Transit mehr tanken. Mit der Zeit spitzt sich die Situation weiter zu und die Macht der NEP wird von Tag zu Tag größer. Schließlich eskaliert die Lage, als mitten in der Nacht völlig unerwartet alle seit einem Jahr arbeitslosen Migranten – wie auch Osmans Nachbar Ahmet – mitsamt Familie abgeschoben werden. Vier Wochen später sollen auch die Migranten folgen, die seit mehr als sechs Monaten keiner geregelten beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen.
Dieser Umstand bekräftigt den Entschluss von Osmans Frau Eminanmi, ebenfalls das Land zu verlassen und in die Türkei zurückzukehren. Aufgrund des großen Andrangs bei den Fluggesellschaften muss sie allerdings zwei Wochen auf ein mögliches Ticket warten. Parallel zu alle dem muss sich die Familie auch noch um Onkel Ömer kümmern, dem die ganze Familie mit einem großangelegten Schauspiel die aktuellen Entwicklungen zu verheimlichen versucht.
Nachdem alle Migranten das Land verlassen und die NEP ihr Ziel erreicht hat, bricht die Infrastruktur völlig zusammen. An allen Ecken fehlen Arbeitskräfte, Krankenhäuser haben kein Personal mehr, viele alte Menschen keine Pfleger mehr, die Müllabfuhr und die Busse fahren nicht mehr. Weil das Land de facto brach liegt, fasst die Familie den Entschluss, das Land mit dem alten Fort-Transit von Osman so bald als möglich zu verlassen. Doch dann taucht Osmans politisch links stehender Sohn Mehmet, der auf seiner Homepage zuletzt kritisch über die Regierung unter der NEP und über das völlig konträr zur Ideologie stehende Leben eines Bremer Parteifunktionärs berichtet hat, zum vereinbarten Zeitpunkt nicht auf…
Eine couragierte Satire!
Mit großer Raffinesse und einem bemerkenswerten Erzählstil lässt Engin den Leser in seine Welt eintauchen und mit dem Protagonisten mitfühlen. Die Geschichte profitiert von ihrer Hauptfigur, die das Geschehen immer wieder bissig kommentiert und dabei zugleich ein hohes Identifikationspotenzial aufweist. Das Buch zieht einen förmlich in seinen Bann und lässt einen nicht mehr los. Gekonnt skizziert der Satiriker die Entwicklung von der entfernt in Deutschland stattfindenden Wahl hinein in die Diktatur, die der Leser im Gegensatz dazu live miterlebt. Gerade weil man im Verlauf der Handlung tief in das Alltagsleben der sympathischen Familie Engin eintaucht, wirkt die Story unglaublich realistisch und vermag zu überzeugen.
Letzten Endes ist „Deutschland allein zu Haus“ eine bemerkenswerte und couragierte Satire, die dem Leser eine klare und überaus wichtige politische Botschaft regelrecht ins Gesicht schleudert: Gehen sie zur Wahl! Alleine deshalb verdient das Buch eine absolute Leseempfehlung. Es ist ein bedeutendes und wichtiges Werk, das gut und fesselnd erzählt ist.
Osman Engin, Deutschland allein zu Hause, München 2013, dtv, 254 Seiten, 9,95 Euro