Längst ist die Thüringer Neonazi-Szene wieder äußerst gefährlich. Der neueste Angriff in Ballstädt ist nicht nur Provokation, sondern stellt die Sicherheitsbehörden auf eine ernstzunehmende Bewährungsprobe.Zuerst erschienen beim Fachmagazin blick nach rechts
Eine Frau aus der Thüringer Neonazi-Szene könnte die zentrale Rolle beim brutalen Überfall auf das Kulturzentrum im thüringischen Ballstädt spielen. Sie soll während der Blitzattacke vermummter Neonazis mit etwa zehn Leicht- und Schwerverletzten nicht nur Schmiere gestanden haben, sondern sogar auf die Uhr geschaut und nach rund zwei Minuten die bewaffnete Meute zurückkommandiert haben. Alle Angreifer werden im Umfeld des so genannten „Gelben Hauses“, einer ehemaligen Bäckerei, verortet, welches Neonazis um Steffen Richter, Thomas Wagner und Tony Steinau 2012 erwarben.
Steinau aus Bad Langensalza zählt schon lange zur Gothaer Kameradschaftsszene sowie zum rechten Hausprojekt in Crawinkel rund um die Band „SKD“ (Sonderkommando Dirlewanger). Im vergangenen Jahr wurden dort scharfe Waffen gefunden und Kontakte ins österreichische Terror-Milieu bekannt. An Orten mit Neonazi-Immobilien sei immer mit Einschüchterungen, Bedrohungen und Übergriffen zu rechnen. Darauf weist Stefan Heerdegen, Berater bei Mobit , der Mobilen Beratung in Thüringen für Demokratie – gegen Rechtsextremismus, hin. Steinau selbst gilt für Aussteiger als Teil eines besonders „gefährlichen und gewaltbereiten Haufens“.
Schwarz gekleidete Vermummte greifen Veranstaltung im Kulturzentrum an
Das von Neonazis bewohnte „Gelbe Haus“ im Zentrum von Ballstädt liegt genau gegenüber einer Schulbushaltestelle. Viele Anwohner fürchten die Neonazis, haben Angst um ihre Kinder. Es bildete sich das Bürgerbündnis gegen Rechts, an dem unter anderem Kita-Mitarbeiterinnen, Mitglieder des Gemeinderates, aus Sport- und Traditionsvereinen sowie regionale Unternehmer teilnahmen. Nach zahlreichen Drohungen im Vorfeld eines Benefiz-Konzertes im Herbst 2012 hatten sie sich zudem per Telefon-Warnsystem vernetzt. Als ein Transparent des Bündnisses entwendet wurde, ermittelte die Polizei erfolglos. Beamte warnten lieber vor „Fanatikern“ von links.
Sonntagnacht erahnte niemand die Gefahr, auch die Sicherheitsbehörden nicht. Gegen halb drei Uhr griffen etwa 15 Vermummte eine ganz gewöhnliche Veranstaltung des örtlichen Kirmes-Vereines im Kulturzentrum an. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Besucher bereits gegangen, unter ihnen auch Mitglieder des Bündnis’ gegen Rechts. Es wurde gerade aufgeräumt, da stürmten die Angreifer die Treppe hoch in den kleinen Saal und schlugen jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellte. Einer trug ein Tuch mit skelettierten Zähnen als Aufdruck, die anderen waren schwarz gekleidet. Völlig überraschte junge Männer wurden in den Spiegelsaal des Hauses gejagt, die Scheibe zersplitterte und die Scherben verletzten die Opfer. Andere wurden über den Tresen geworfen, bereits am Boden liegend mit Schuhen getreten, und sogar auf einen Schlafenden wurde eingeschlagen. Keiner wehrte sich, so schnell ging es. Etwa zehn völlig verängstigte junge Frauen versteckten sich zitternd hinter einem Vorhang. Dann war plötzlich alles vorbei, die Angreifer verschwanden schlagartig nach nur wenigen Minuten. Keiner hatte in der kurzen Zeit mit dem Handy gefilmt oder den Notruf angerufen. Blut klebte am Boden, Trümmer lagen verstreut herum. Jemand löste den Sirenenalarm an der Außenwand des Hauses aus.
Eine Art Ausnahmezustand in Ballstädt
Erika Reisser, die Bürgermeisterin des Ortes, hatte erst wenige Stunden zuvor das friedliche Fest verlassen und eilte nun schnell herbei. Sie sah junge Menschen, die weinten, auch im Krankenhaus fand sie verängstigte Familien vor. Das Ohr eines Opfers musste in der Klinik angenäht werden.
Die Lokalpolitikerin hatte die gefährliche Entwicklung bereits mit dem Verkauf des Hauses an einen Neonazi befürchtet. Eilig informierte sie die zuständigen Sicherheitskreise und das Landratsamt. Der Verkäufer habe ihr mehrmals regelrecht gedroht, entweder die Gemeinde erwerbe die Immobilie für 165 000 Euro oder sie gehe „an Rechte“. Doch es gab keine Hilfe, kein Konzept, um die Übernahme durch die besonders radikalen Neonazis aus Gotha zu verhindern. Seither herrscht eine Art Ausnahmezustand in Ballstädt.
Das Neonazi-Haus liegt nur rund hundert Meter vom Kulturhaus des Ortes entfernt. Bereits kurz nach 19.00 Uhr am Samstagabend beobachteten Zeugen, dass sich eine Gruppe schwarz gekleideter Neonazis mit einer Fahne dort einfanden. Vermutlich kamen sie vom Aufmarsch in Weimar. Zeitnah feierte Tony Steinau dort wohl auch seinen Geburtstag. Auslöser für den mutmaßlichen Angriff auf die Feier in der Nachbarschaft könnte dann eine eingeworfene Scheibe in dem gut frequentierten Neonazi-Zentrum gewesen sein.
Einige Frauen in der Gothaer Szene befürworten Gewalt
Aussagen zufolge fuhr gegen zwei Uhr nachts Christina H., die Freundin von Steinau, mit ihm vor dem Kulturzentrum vor. Sie saß am Steuer. Es soll nur kurz nach dem Anlass der Feierlichkeit gefragt worden sein. Das einschlägig bekannte Pärchen verschwand wieder.
Es gibt einige Frauen in der Gothaer Neonazi-Szene, die Gewalt befürworten, warnt ein Thüringer Aussteiger. So begann das brutale Szenario in der Nacht zum Sonntag wohl mit dem Auftritt der jungen Frau, die mutmaßlich die Zeit stoppte, während der Angriff begann und zunächst der einzelne Mann mit dem vermummten Skelettmund zur Tür hinein stürmte, einen Gast zu Boden schlug und ihm danach der Sturmtrupp folgte. Jemand brüllte: „Warum habt ihr unsere Scheibe eingeworfen? „Bei denen war das Maß wohl voll“, glaubt ein Beamter, „die sammelten sich erst und schlugen dann zu“.
Ein Sprecher des Bündnisses ist wütend auf die anfängliche Berichterstattung in den Medien. „Das war keine Wirtshausschlägerei, sondern ganz klar ein Angriff durch Neonazis“, stellt er klar. Viele der Opfer seien unzufrieden mit der Polizei. Ihnen sei erst einmal Blut abgenommen worden, zitiert der Bündnissprecher deren Berichte, aber „unsere Aussagen nahm zunächst keiner ernst, die hörten gar nicht richtig zu“, sagt er.
Dass das Vertrauensverhältnis zu den Behörden seit dem Angriff angeschlagen ist, ist auch in Erfurt angekommen. Eilig treffen sich Vertreter des Landesamtes für Verfassungsschutz, der Polizei und anderer Ämter am heutigen Mittwoch mit Vertretern aus Ballstädt. Bisher war nur von mehr Polizeipräsenz die Rede, nicht von nachhaltiger Hilfe für die Opfer. Die einzige mentale Unterstützung lieferten anscheinend bisher Feuerwehrpsychologen.
Jugendliche Rechte klatschen auf Facebook Beifall
Die für die Presse zuständige Staatsanwaltschaft in Erfurt gibt noch keine Antwort auf die wichtige Frage, ob nach dem Eintreffen der Polizei am Tatort auch die Personalien noch anwesender Neonazis im hell erleuchteten „Gelben Haus“ festgestellt worden seien. Vielleicht hätten Masken oder Waffen festgestellt werden können. Bündnismitglieder sahen in dem Haus weder Polizeisperren noch eine Präsenz in der Nacht. Manche glauben, die Angreifer hätten ihre Autos im angrenzenden Gewerbegebiet abgeparkt.
Doch die zuständigen Sicherheitskräfte in Thüringen scheinen den gezielten Angriff und die Angst in der Bevölkerung durchaus sehr ernst zu nehmen. „Klassische Prävention“ sei in Ballstädt jetzt „dringend notwendig“, heißt es aus Sicherheitskreisen. Da müssten Betreuer jetzt „nah dran“ sein.
Was der erkrankte Neonazi Marco Zint aus Gotha am 10. Februar bei Facebook postet, klingt nach verklausulierter Solidarität“: „Eine kampfgemeinschaft erfordert Kameradschaft ,sie bewährt sich besonders in Not und gefahr!“ (Fehler im Original) Berechtigte Sorgen macht den zuständigen Behörden wohl auch die Begeisterung jugendlicher Rechter aus der Region Gotha, die unter anderem bei Facebook begeistert Beifall klatschen. Bereits am Sonntag schreibt einer aus dem nahe gelegenen Westhausen: „Richtig so, da haben die Affen mal schön das Maul voll bekommen“. Er nimmt Partei ein für die „Leute“ im „Gelben Haus“, die er kenne und positioniert sich gegen das „bekloppte Bündnis gegen Rechts“, das „den Scheiß“ angefangen habe. „Immer rauf auf die Bande“, hetzte daraufhin auch ein Security-Mann aus Gotha. Während der jedoch nur in die Tasten tippt, fährt der junge Mann aus Westhausen direkt zu den Kameraden ins Neonazi-Haus in Ballstädt.