Die kürzlich verbotene Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ (NSC) war eine konspirative Gruppe, deren Mitglieder sich auf den teils bewaffneten Kampf vorbereitet haben, wie die Verbotsverfügung zeigt. Die militanten Neonazis verabredeten sich mehrfach zu Überfällen auf Migranten. Dennoch hat die Verbotsverfügung Lücken.
Zuerst veröffentlicht bei Publikative.org
In einem 56-seitigen Bescheid begründet das Sächsische Innenministerium das Verbot der Gruppierung vom 28. März. Es betraf unmittelbar 14 Mitglieder, bei denen auch Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden. Die Vereinigung war zwar nicht ins Vereinsregister eingetragen, verfügte jedoch über einen festen Kern an Mitgliedern, die sich zweimal in der Woche trafen und einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 15€ bezahlen mussten. Dabei war die Teilnahme an den Treffen und speziell gekennzeichneten Veranstaltungen sowie das Übernehmen von Aufgaben Pflicht. Als Treffpunkt diente dabei eine ehemalige Gaststätte an der Markerdorfer Str. 40, die dem Rechtsrockhändler Yves Rahmel (PC Records) gehört. Er vermietete den NSC mehrere Räume und unterstützte sie auch anderweitig.
NSU-Kontakte werden nicht erwähnt
Der Kern der Kameradschaftsmitglieder besteht zu einem großen Teil aus langjährigen Aktivisten, allen voran Maik Arnold, Eric Fröhlich und Sandra B., die laut des Bescheids des Ministeriums die führenden Personen der Gruppe waren. Während B. für die innere Organisation zuständig gewesen sei, habe Arnold vor allem nach außen gewirkt, sei als Anmelder und Redner aufgetreten. Fröhlich sei in einer szeneinternen Publikation als „Sprachrohr der Nationalen Sozialisten Chemnitz“ bezeichnet worden. Insidern ist er vor allem durch seine Managerfunktion bekannt. Er betreute die Info-Nummern bei rechten Veranstaltungen, warb für diese im Vorfeld und stand in Kontakt mit führenden Neonazi-Kadern aus der Region. Darunter befinden sich auch zwei der fünf Angeklagten des NSU-Prozesses: Er tauschte sich nicht nur regelmäßig mit Ralf Wohlleben aus Jena aus, sondern stand auch im Telefonbuch des Zwickauers André Eminger. Sein Zwillingsbruder Maik nahm sogar an mehreren Veranstaltungen der NSC teil. Dies alles wird im Verbotsbescheid mit keinem Wort erwähnt.
Fröhlich trat – trotz seiner wichtigen Funktion – seit 2007 nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Auch Jörg E., der schon Mitglied der NSC-Vorgängerorganisation „Heimatschutz Chemnitz e.V.“ war, arbeitete bereits seit Jahren komplett konspirativ. Die Mitglieder der NSC waren teilweise ebenfalls bei den „NS-Boys“ vertreten, einer neonazistischen Fangruppierung des Chemnitzer FC, deren Stadionbanner im Zuge der Razzien beschlagnahmt wurde. Das NSC-Mitglied Nico T. ist bereits das zweite Mal Teil einer verbotenen Vereinigung – 2004 war er einer der Hauptangeklagten im Prozess um die Kameradschaft „Sturm 34“. Neben den in der Verbotsverfügung genannten NSC-Kernmitgliedern zählen mindestens 16 weitere Personen zur Gruppierung.
Die Nationalen Sozialisten Chemnitz agierten teilweise unter anderen Gruppenbezeichnungen. Seit 2012 organisierte die Gruppe als „IG Chemnitzer Stadtgeschichte“ den jährlichen Trauermarsch durch Chemnitz. Zusätzlich führte die Kameradschaft im vergangenen Jahr unter dem Kampagnennamen „Raus in die Zukunft“ monatliche Kundgebungen durch. Danach beteiligten sie sich an Anti-Asylprotesten der „Bürgerinitiative Wir für Ebersdorf“ in den Chemnitzer Stadtteilen Ebersdorf und Hilbersdorf. Deren Vorsitzender, der 24-jährige Robert Andres, möchte für die Partei „PRO Chemnitz“ zur diesjährigen Kommunalwahl in Chemnitz antreten. Bislang wurde er von Beobachtern ebenfalls zur Kameradschaft NSC gezählt – auf zahlreichen bundesweiten Nazidemonstrationen marschierte er gemeinsam mit dem Kern der Vereinigung, u.a. am 05. Oktober 2013 auf einer Demonstration gegen das Verbot der „Nationalen Sozialisten Döbeln“. Bis vor kurzem war er noch Mitglied der Partei „Alternative für Deutschland“.
In dem Bescheid werden die angeblich „wichtigsten gemeinsamen Aktionen und Veranstaltungen“ der Gruppierung aufgezählt. Vergleicht man die Auflistung mit einer Chronik auf der Website „wachsam-in-chemnitz.de“, stellt sich die Frage, wie das Ministerium zu seiner Bewertung kommt. So werden beispielsweise der letzte Auftritt des Altermedia-Betreibers Axel Möller vor seinem Haftantritt im NSC-Domizil im Dezember 2011 oder die Teilnahme am „Tag der Identität“ des „Freien Netzes Borna/Geithain“ nicht dazu gezählt, wohl aber eine Kranzniederlegung oder das Aufhängen eines Transparentes. Darüber hinaus berichtet die Verbotsverfügung in den meisten Fällen nur von Mobilisierungen. Ob alle Veranstaltungen tatsächlich stattfanden, scheint sich den Erkenntnissen des Sächsischen Innenministeriums zu entziehen.
NSC-Mitglieder verabredeten sich kurzfristig zu Gewalttaten gegen Migranten
Die meisten Informationen über die Machenschaften der Gruppe stammen aus einer Überwachung von Mobiltelefonen. Per Handy verständigten sich die Neonazis nicht nur über bevorstehende Veranstaltungen, sondern verabredeten sich auch zu Gewalttaten. Beispielhaft dafür steht eine Aktion vom 22. Juli 2012, als sich mehrere Mitglieder kurzfristig zusammentaten, um einen vermeintlichen Messerangriff durch einen Migranten zu rächen. Mit mehreren Personen kamen die NSC zum vereinbarten Treffpunkt und griffen vermummt eine Gruppe von Migranten mit Schlaggegenständen an. Bei der Auseinandersetzung wurden zwei Personen leicht und eine schwer verletzt. Zu einem anderen verabredeten Angriff, ebenfalls gegen Migranten, bekam die Gruppe in kurzer Zeit 25 Personen zusammen. In beiden Fällen hatten NSC-Führungspersonen in einer „bestimmten Gaststätte“ angerufen, wo anscheinend kampfeswillige Neonazis bereit saßen. Um für derlei Taten gewappnet zu sein, führten die NSC regelmäßig Kampfsport- und auch Schießtrainings durch. Eigens dafür wurde u.a. ein Boxring errichtet und geplant, Kampfsportprüfungen von einem NSC-Mitglied abnehmen zu lassen. Ende 2011 fand das erste Schießtraining der Kameradschaft statt. Ein Mitglied hatte im vergangenen Jahr sogar Waffenbesitzkarten und die Erlaubnis zum Erwerb von zwei Schusswaffen mit Munition beantragt.
Mitglieder wollen das Verbot umgehen
Das Wesen der Kameradschaft wird in dem Bescheid anhand der ideologischen Ausrichtung und der Aktivitäten ausführlich beschrieben. Die Mitglieder dürfen sich daher nicht mehr zum Vereinszweck versammeln. Dies will man aber offensichtlich nicht hinnehmen. Ein aktives Mitglied schrieb bei Facebook als Reaktion auf das Verbot: „Eure Verbote werden UNS nicht hindern weiter zumachen!!!!! Und jetzt erst recht!!!!“ Verbotene Neonazi-Gruppierungen organisierten sich in den meisten Fällen anderweitig neu. Die im vergangenen Jahr verbotene Kameradschaft „Nationale Sozialisten Döbeln“, auf die in der Verfügung mehrmals Bezug genommen wird, ging kurzerhand in dem Label der NPD-Jugendorganisation „JN“ auf. In Chemnitz wird diese Taktik nicht so einfach sein, schließlich ist das Verhältnis zwischen der NPD und den NSC seit zwei Jahren zerstört. Indem zahlreiche NSC-Anhänger aus der NPD ausgetreten waren, hinterließen sie eine handlungsunfähige Partei. Dass sich an diesem Verhältnis seitdem nicht viel geändert hat, demonstrierte die NPD mit ihrer Facebook-Reaktion nach dem NSC-Verbot. Katrin Köhler wolle „ausdrücklich klarstellen, dass [die NPD-Mitglieder] nichts mit diesen “nationalen” Gruppierungen zu tun haben.“ „So eine scheiß Partei“ tönte es darauf aus NSC-Kreisen. Maik Scheffler, der am 01. März beim NPD-Landesparteitag in Zwickau knapp gegen den bisherigen NPD Fraktionschef Johannes Müller unterlag und als wichtigstes Bindeglied zwischen NPD und Kameradschaften gilt, versuchte zu beschwichtigen.
Neugründungen von Parteien sind eine andere Strategie, Kameradschaftsverbote zu umgehen. Mitglieder der verbotenen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ gingen in der Partei „Die Rechte“ auf, in Bayern bringt sich gerade die Partei „Der III. Weg“ in Stellung – die dort ansässige Kameradschaft „Freies Netz Süd“ ist ebenfalls seit längerem verbotsbedroht. Der sächsische Landesverband der „Rechten“ löste sich allerdings zehn Tage vor dem NSC-Verbot auf. Ob die Partei „Der III. Weg“ es bis nach Sachsen schafft, bleibt abzuwarten. Der allerletzte Weg für die Gruppierung mit dem Namen „Nationale Sozialisten Chemnitz“ ist, bis zum 28. April gegen das Verbot zu klagen. Ob eine Klage Erfolg hätte, ist aber sehr unwahrscheinlich.