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Dortmunds rechtsextreme Schläger

 

Wahlabend 25.05.2014 - Neonazi-Ausschreitungen_3277

Dortmund hat vieles richtig gemacht im Kampf gegen Neonazis. Bis Abgeordnete des Stadtrats plötzlich einer Bande rechter Schläger gegenüberstanden.

Von Anna Kemper

Am Abend der Kommunalwahl machte Christian Gebel Bekanntschaft mit einem, mit dem er bald gemeinsam im Rat der Stadt sitzen wird und den man in Dortmund nur „SS-Siggi“ nennt. SS-Siggi wollte am vergangenen Sonntagabend ins Rathaus, auf die Wahlparty, zusammen mit 26 anderen Rechtsextremisten. Aber die Tür war versperrt: von Gebel, der zur Piratenpartei gehört, und ungefähr 60 Vertretern aus den unterschiedlichen Ratsfraktionen. Sie hatten eine Kette gebildet, um die Rechten nicht reinzulassen. SS-Siggi drückte gegen Gebel, Gebel drückte zurück. Kurze Zeit später flog eine Flasche aus den Reihen der Rechten und traf Gebel am Kopf.

Am Ende des Abends wurden zehn Menschen mit Verletzungen behandelt. Videos im Internet lassen ahnen, wie bedrohlich die Situation vor dem Rathaus gewesen sein muss: Rechtsradikale, die zuschlagen, mit Pfefferspray sprühen, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ skandieren. Die Polizei ermittelt nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Verdachts auf Volksverhetzung und Landfriedensbruch. Und viele in Dortmund fragen sich: Wie konnte das passieren?

Ein paar Tage später sieht man von Gebels Platzwunde nur noch einen schmalen Strich, die Haut neben seinem Auge ist gelb verfärbt. Gebel, ein bedächtiger Typ, sitzt im Büro der Piratenpartei. Er wird zum ersten Mal als Abgeordneter in den Rat einziehen, genau wie SS-Siggi, der mit bürgerlichem Namen Siegfried Borchardt heißt. Borchardt, 60 Jahre alt, sieht aus wie eine Mischung aus Hulk Hogan und Hells Angel, er war Spitzenkandidat der Partei Die Rechte. 2101 Stimmen hat sie in Dortmund bekommen, das reicht für einen Sitz im Rat.

Die Polizei hatte „keine Hinweise auf rechte Vorkommnisse“

Siegfried Borchardt (links im Bild)
Siegfried Borchardt (links im Bild) © Christian Martischius

Jeder, der in Dortmund aufgewachsen ist, weiß, wer SS-Siggi ist. „Zynisch formuliert“, sagt Gebel, „könnte man sagen, das grenzt schon an Folklore.“ Borchardt gründete Anfang der achtziger Jahre die Borussenfront, eine Mischung aus Hooligans und rechten Schlägern. In den 30 Jahren, die seitdem vergangen sind, saß Borchardt mehrfach im Gefängnis, wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Volksverhetzung, er war stellvertretender Bundesvorsitzender der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). „Für die Rechtsradikalen in Deutschland und Dortmund“, sagt der Extremismusexperte Jan Schedler von der Universität Bochum, „ist SS-Siggi eine Galionsfigur.“ Jetzt ist er Ratsherr.

„Nachdem feststand, dass die Rechte einen Sitz im Rat gewonnen hatte, war es eigentlich klar, dass sie auftauchen würde, um ihren Erfolg zu feiern“, sagt Christian Gebel. Aber als die Rechte dann vor dem Rathaus aufzog, war kein einziger Polizist da. Gebel hat schon oft gegen rechte Aufmärsche in Dortmund demonstriert, viele von denen, die vor dem Rathaus aufkreuzten, sah er nicht zum ersten Mal. Da waren Christoph D. und Matthias D., beide verurteilt wegen mehrfacher und gefährlicher Körperverletzung. Alexander D., der wegen eines Angriffs auf eine Demonstration des DGB vor Gericht stand. Patrick B., verurteilt wegen eines brutalen Angriffs auf Gäste in einer linken Kneipe. Und eben SS-Siggi.

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau hat Siegfried Borchardt zum ersten Mal gesehen, als er in den achtziger Jahren einen Vortrag im Gefängnis hielt – SS-Siggi saß gerade mal wieder, hörte zu, in der zweiten Reihe. Sierau, SPD, trägt am Sonntag nach der Wahl im Rathaus am Handgelenk ein Bändchen, auf dem „Dortmund is full of surprises“ steht. Er hat die meisten Stimmen in der Oberbürgermeisterwahl bekommen, auch die Stichwahl am 15. Juni wird er wohl für sich entscheiden. Er habe zwar damit gerechnet, dass bei einem Wahlerfolg die Rechten zum Rathaus kommen könnten, sagt der OB. Allerdings nicht mit einem solchen Angriff, da habe er sich auf die Einschätzung von Polizei und Staatsschutz verlassen. „Aus unserer Sicht“, sagt der Polizeisprecher, „gab es keine Hinweise auf rechte Vorkommnisse.“ Zwanzig Minuten nach dem ersten Notruf waren genügend Polizisten versammelt, um die Situation in den Griff zu kriegen. Der Polizeipräsident hat angekündigt, den Ablauf des Einsatzes genau zu überprüfen.

Die Partei Die Rechte füllt im gerade veröffentlichten Verfassungsschutzbericht NRWs 19 Seiten, die so klingen, als arbeite man bereits an einem Verbot. Die Rechte verharmlose nationalsozialistische Verbrechen, befürworte die nationalsozialistische Diktatur, hetze gegen Asylbewerber. Ihre Mitglieder sind keine braunen Biedermänner: Der Landesverband NRW ist zu einem erheblichen Teil identisch mit der militanten Neonazi-Szene im Land. Und der Kreisverband Dortmund hat sich als führende Kraft der Partei in NRW etabliert. Die Mitglieder in Dortmund stimmen weitgehend mit denen des Nationalen Widerstands Dortmund (NWDO) überein, einer 2012 verbotenen Kameradschaft von Autonomen Nationalisten.

Wer sich gegen Nazis engagiert, bei dem stehen sie plötzlich vor der Tür

Anführer des NWDO war Dennis Giemsch. Auch er war am Wahlabend vor dem Rathaus, er ist jetzt Landesvorsitzender der Rechten in NRW, auf der Liste bei der Kommunalwahl stand er auf Platz zwei. Giemsch ist Ende 20 und bundesweit eine Führungsfigur der Autonomen Nationalisten, die die rechte Szene in Deutschland dominieren. Bei den AN gibt es wenige Glatzköpfe, keine Kleidungsvorschriften und keine Plakate in Runenschrift. Ihr Auftreten hat sich modernisiert, das rechte Gedankengut ist geblieben. Die Gruppe um Giemsch gilt als Vorzeigetruppe der AN. Auch weil Borchardt den jungen Rechten wohlwollend gegenüberstand: In Dortmund sehen alte und junge Nazis einander nicht als Konkurrenten, sondern haben sich zusammengetan. Der harte Kern wird auf 50 Personen geschätzt, eigentlich nicht viel für eine Stadt mit 580.000 Einwohnern. Was sie stark macht, ist ihr Mobilisierungspotenzial und ihre Gewaltbereitschaft. Dortmund liegt in der Statistik rechter Straf- und Gewaltdelikte in NRW einsam an der Spitze.

Wieso hat die Polizei die Situation unterschätzt? Es gibt einiges aufzuklären in Dortmund, nur eins ist klar: Der Wahlabend war für die Stadt ein Desaster. Auch weil diesmal rund tausend Bürger mehr für rechtsextreme Parteien stimmten als vor zwei Jahren.

Dabei reden die Dortmunder das rechte Problem schon lange nicht mehr klein, sondern gehen es offensiv an. Die Stadt erwarb ein Haus, das die Autonomen Nationalisten kaufen wollten, und untersagte die Nutzung eines anderen Hauses als Parteizentrale aus baulichen Gründen. Es gibt eine Koordinierungsstelle gegen rechte Gewalt und eine Opferberatung, bis vor Kurzem die einzige in NRW. Die Polizei verlegte die Aufmärsche der Rechten auf unattraktive Routen und wertet Sitzblockaden von Nazigegnern regelmäßig als spontane Demonstrationen, statt sie aufzulösen. Nachdem ein Mitglied des Fanprojekts von Rechten bei einem Spiel in Donezk vor zwei Jahren brutal angegriffen wurde, geht auch Borussia Dortmund hart gegen rechte Fans vor. Als Siegfried Borchardt im Wahlkampf mit der Parole „Von der Südtribüne in den Stadtrat“ für sich warb, klagte der Verein erfolgreich dagegen. Die Bürger organisieren sich, im Bündnis BlockaDO haben sich mehr als 40 verschiedene Parteien, Vereine und Initiativen gegen rechts zusammengeschlossen.

Aber wer sich in Dortmund prominent gegen rechts engagiert, bekommt das zu spüren: Manchen werden täglich Waren zugeschickt, die sie nicht bestellt haben. Parteibüros wie das der Linken wurden mehrfach angegriffen. 2011 klingelte es vor Weihnachten an Sieraus Tür, ein paar „nationale Weihnachtsmänner“ überbrachten Geschenke. „Die wollten deutlich machen: Wir wissen nicht nur, wo ihr wohnt, sondern können euch auch jederzeit bedrohen“, sagt Sierau. Im Dezember 2013 stellten die Rechten auf einer Internetseite zehn Nazigegner vor und ließen darüber abstimmen, vor wessen Haus vor Weihnachten demonstriert werden solle.

Die Rechte, die auf Anfragen der ZEIT nicht reagierte, verkündete nach dem Wahlabend, die Gewalt sei nicht von ihr ausgegangen – ein Skandal sei es vielmehr, dass man an der öffentlichen Wahlparty nicht habe teilnehmen können. Die Stadt hat beschlossen, die restlichen Sitzungen des Stadtrats vor der Sommerpause und die vier Bezirksvertretungen, in die Mitglieder der Rechten gewählt worden sind, durch einen Sicherheitsdienst bewachen zu lassen. In zwei Wochen tritt der Rat der Stadt zum ersten Mal zusammen. Dann kann niemand mehr SS-Siggi den Zugang zum Rathaus verwehren.