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Erste Urteile gegen Nazischläger vom Mehringdamm

 

Endstation Rudow: Ein Teil der Neonazis vom Mehringdamm wurde im Südneuköllner Stadtteil festgesetzt © Mikael Zellmann
Endstation Rudow: Ein Teil der Neonazis vom Mehringdamm wurde im Südneuköllner Stadtteil festgesetzt © Mikael Zellmann

Dreieinhalb Jahre nach der brutalen Attacke von Neonazis bei einem blockierten Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg wurden gestern erste Urteile gegen vier Angreifer gefällt. Dabei sendete die Justiz im Berliner Amtsgericht Tiergarten ein fatales Signal: Aufgrund überlanger Verfahrensdauer entgingen die Beschuldigten einer Jugendstrafe. Selbst ein Neonazi, der nach versuchtem Mord und versuchter schwerer Brandstiftung zum damaligen Zeitpunkt auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen worden war, kam am Montag lediglich mit Arbeitsstunden davon.

Eine zweifelhafte Polizeitaktik und Gewaltexzesse durch Neonazis sorgten im Mai 2011 für einen handfesten politischen Skandal. Nachdem hunderte Gegendemonstranten einen heimlich geplanten Aufmarsch von rund 120 Neonazis auf dem Mehringdamm noch vor Beginn blockiert hatten, entschied sich die Polizeiführung dazu, die Rechten durch den U-Bahnhof unter den Nazigegnern durch zu schleusen. Zeitgleich wurden die Gegendemonstranten eingekesselt. Dabei geriet die Lage völlig außer Kontrolle: Die Rechten überrannten die Polizeilinien auf dem Bahnsteig, gingen mit Fahnenstangen und Fäusten auf Migranten, Journalisten und Gegendemonstranten los. Als die Rechten aus dem Bahnhof stürmten, zogen sie zielstrebig auf eine Gruppe von vier Personen los, die auf der Fahrbahn saßen. Mit Tritten und Schlägen attackierte eine Vielzahl der Teilnehmer die bereits am Boden Liegenden. Nur mit Mühe konnten Polizisten die Gewalttäter von den Betroffenen abbringen. Die Vier erlitten diverse Hämatome, Platz- und Schürfwunden. Einer wurde aufgrund des Verdachts eines Schädelbruchs in die Notaufnahme gefahren.

Konsequenzen hatte der Gewaltexzess für die Angreifer zunächst keine. Die Polizei stoppte zwar den Aufmarsch und den Gegendemonstranten gelang es erneut – und diesmal endgültig-, die Nazidemo zu blockieren. Dennoch konnten die Rechten unbehelligt abreisen und später marodierend durch Rudow ziehen. Erst dort wurde ein Teil festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt.

Im Nachgang wurde dann das Ausmaß der Gewalt publik. Fotografen präsentierten im Internet Fotos von der Attacke, die Antifa lieferte bereits kurze Zeit später ein Fahndungsplakat, indem die Angreifer identifiziert wurden. Erst dann begann die Polizei mit ihren Ermittlungen, wie im Prozess deutlich wurde. Videos wurden ausgewertet und Hausdurchsuchungen folgten. Trotz eindeutiger Beweislage zogen sich Anklageerhebung und Prozessbeginn bis diesen November hin. Seit vorletztem Montag saßen in einer ersten Prozessrunde vier zur Tatzeit heranwachsende Angreifer vor dem Berliner Amtsgericht. Der Vorwurf: Gefährliche Körperverletzung. Die Beschuldigten sind Marcel T.  aus Ilmenau – vertreten vom Nazianwalt Thomas Jauch, dessen langjährige Bindung an die Szene sogar dazu führte, dass er im Münchener NSU-Prozess als Zeuge aussagen musste, Felix T. aus Eilenburg sowie die beiden Berliner Robert H. und David G.

Die im Prozess vorgeführten Polizeivideos zeigen deutlich die Brutalität des Vorgehens, wie die erste Reihe der Neonazis in die vier Sitzenden marschiert und gezielt u.a. gegen den Kopf von einem der jungen Männer getreten wird. Sie zeigen aber auch teilnahmslos am Rand stehende Bereitschaftspolizisten, während zwei Beamte verzweifelt versuchen, die erste Reihe zum Stehenbleiben zu bewegen. Es entsteht der Eindruck, dass die Eskalation hätte verhindert werden können. Und sie zeigen den erst kürzlich aus der Haft entlassenen Neuköllner NPD-Vorsitzenden Sebastian Thom, wie er einen Gegendemonstranten tritt. Bis heute wurde er dafür jedoch nicht belangt. Der Fokus lag aber in dem Prozess lediglich auf den Handlungen der vier Angeklagten. Marcel T. und Felix T. hielten das Fronttransparent und dirigierten den Aufzug direkt in die Betroffenen. Robert H. befand sich  dahinter und trat mindestens einmal auf einen der am Boden Sitzenden. David G. stand dem Video zufolge zumindest dabei. Aufgrund der Videobeweise verlief der Prozess unkompliziert, als Zeugen wurden lediglich die Angegriffenen, vier Bereitschaftspolizisten und ein Videoanalyst der Polizei gehört. Die Angeklagten schwiegen durchgängig zu den Vorwürfen.

Am Montag folgte nun das Urteil nach Jugendstrafrecht. Marcel T. und Felix T. wurden zu 50 Arbeitsstunden verurteilt, beide müssen zudem 500€ bzw. 400€ an den Schadensfonds der Integrationshilfe zahlen. Die beiden seien nicht, wie von der Verteidigung behauptet, lediglich „durchgestolpert“, hieß es in der Urteilsbegründung. David G. wurde freigesprochen, da ihm keine konkrete Tathandlung zugeordnet werden konnte. Robert H. kam mit 80 Arbeitsstunden davon, obwohl er zur Tatzeit auf Bewährung war. Er war erst kurz zuvor nach einem Mordversuch in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Ursächlich dafür war, obwohl der Richter durchgängig  die „erhebliche Brutalität“ der Tat hervorhob, dass nach einer Verfahrensdauer von dreieinhalb Jahren eine Jugendstrafe für ihn nicht mehr angemessen schien. Dies sei aber lediglich „dem Zeitablauf geschuldet“. Ob die zur Tatzeit volljährigen Nazischläger, deren Prozess noch ansteht, ebenfalls von der Langsamkeit der Justiz profitieren werden, wird sich zeigen.