In einer Gemeinde im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis tritt ein von der CDU nominierter Ortsbürgermeister zurück – die NPD hatte ihn wegen seines Engagements für Flüchtlinge bedroht.
Von Matthias Meisner und Frank Jansen (Tagesspiegel)
Es ist ein gutes Beispiel für Engagement und Zivilcourage. Ende vergangenen Jahres erfuhr Markus Nierth, Ortsbürgermeister der 2000 Einwohner zählenden Gemeinde Tröglitz im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis, dass der Landkreis etwa 50 Asylbewerber in seinem Ort unterbringen möchte. Und war sofort bei der Sache: Im Gemeindeblatt „Blickpunkt“ schrieb der von der CDU nominierte und parteilose Kommunalpolitiker kurz vor Heiligabend einen langen Brief an seine Mitbürger: „Wir ahnen, das wird Probleme geben“, heißt es darin.
Aber, so appellierte der Theologe, der das Ortsbürgermeisteramt seit fünf Jahren ehrenamtlich ausübte: „Geben Sie ,den Fremden‘ eine Chance, schon um unsretwillen.“
Jetzt, knapp drei Monate später, ist Nierth von seinem Amt zurückgetreten – als Reaktion auf Proteste, die von „empörten Bürgern“ im Verein mit Nazis gegen die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in Tröglitz organisiert worden waren. Ein Kreisrat der NPD, Steffen Thiel, hatte die Organisation dieser seit Januar regelmäßig sonntags stattfindenden „Spaziergänge“ an sich gezogen. Woche für Woche beteiligten sich bis zu 150 Menschen. Der Rechtsextremist Thiel argumentierte auf Flugblättern, andere Gemeinden seien nach Einquartierung von Asylbewerbern „erheblicher Lärmbelästigung, Verschmutzung, einem Anstieg von Eigentumsdelikten und anderen Straftaten, einer erhöhten Polizeipräsenz und einem damit einhergehenden Verfall der Grundstückspreise“ ausgesetzt. „Das alles wollen wir hier in unserem beschaulichen Ort und in der Elsteraue nicht!“
Konkreter Auslöser für den Rücktritt von Ortsbürgermeister Nierth: Die nächste Demonstration der Fremdenfeinde hätte, vom zuständigen Landratsamt gebilligt, direkt vor sein Wohnhaus führen und dort mit einer Kundgebung enden sollen. Der 46-jährige Nierth war, als er das am vergangenen Donnerstag erfuhr, fassungslos. In seiner Rücktrittserklärung schreibt der 46-jährige siebenfache Vater: „Hätte ich meinen Kindern, die in der letzten Zeit schon einiges ertragen mussten, zumuten sollen, dass vor ihren Kinderzimmern bewaffnete Polizisten stehen müssen, und zudem rassistische und hasserfüllte Parolen bis dorthin dringen?“ Den Organisatoren des Anti-Flüchtlings-Protestes wirft er vor, sie hätten sich „mit ihrer menschenverachtenden braunen Ideologie“ erdreistet, ihn vor seinem „privaten Schutzraum, meinem Hof, mit ihrer braunen Gülle zu überkippen“.
Bis zu dieser Eskalation hatten sich die Auseinandersetzung um die für Tröglitz bestimmten Flüchtlinge immer weiter zugespitzt. Nachdem zunächst die Tröglitzer selbst gegen die angekündigten Asylbewerber demonstrierten, beteiligten sich an den weiteren Protesten dann überwiegend Herbeigereiste, zum Teil sogar in Bussen aus dem thüringischen Ronneburg angekarrte NPD-Anhänger. Schon im Januar sagte Nierth in einem Interview mit der „Mitteldeutschen Zeitung“: Ich glaube, dass Tröglitz weder ein brauner noch radikaler oder fremdenfeindlicher Ort ist.“ Die große Mehrheit der Einwohner sei „gutmütig und hilfsbereit“. Er fügte jedoch hinzu: „Es gibt aber auch wirklich fremdenfeindliche Äußerungen. Wir haben unumstritten eine sozial angespannte Situation. Ich habe Angst, dass das Klima kippt, dass Kaltherzigkeit durchkommt und nicht die Warmherzigkeit gewinnt.“
Nach dem Rücktritt von Nierth haben sich die ersten Landespolitiker zu Wort gemeldet. Der Fraktionschef der oppositionellen Linkspartei im Magdeburger Landtag, Wulf Gallert, sagte dem Tagesspiegel: „Wenn solche Leute wie Markus Nierth, die sich für ein solidarisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt einsetzen, isoliert werden, dann gehen wir den Weg in eine kalte und rassistische Gesellschaft.“ Gallert sieht ein Versagen der Behörden und erklärt: „Wir brauchen einen Aufstand der Zuständigen.“Claudia Dalbert, Grünen-Fraktionschefin im Landtag, kommentierte: „Das ist übel. Leider versuchen die Nazis immer wieder, lokale Anlässe für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.“ Ihr Fraktionskollege Sebastian Striegel twitterte: „Es ist kalt hier: Hetze gegen Flüchtlinge, Todesdrohungen gegen Politiker, Bürgermeister tritt aus Sorge um Familie zurück.“ Striegel spielte damit auch darauf an, dass der SPD-Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper, mehrere Morddrohungen erhalten hat, weil er sich mit dem Magdeburger Pegida-Ableger Magida angelegt hat.
Nierth betont, er sei „nicht aus Feigheit vor den Nazis“ zurückgetreten, sondern aus tiefer Enttäuschung über die Behörden, die mit ihren Entscheidungen zugelassen hätten, dass das Versammlungsrecht „pervertiert“ werde. Nachdem er auf das Amt verzichtete, wurde dann die Demo-Route übrigens wieder geändert – eine Kundgebung vor dem Wohnhaus des Ex-Kommunalpolitikers erschien den NPD-Organisatoren nun nicht mehr notwendig.
Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) bedauerte den Rücktritt des Ortsbürgermeisters, stellt aber die Geschichte etwas anders da als Nierth. Der Landkreis habe im Kooperationsgespräch mit der NPD „abgewendet“, dass die Rechtsextremen vor das Haus des Lokalpolitikers ziehen, sagte Stahlknecht am Sonntag dem Tagesspiegel. Doch Nierth sei bereits am Abend zuvor zurückgetreten. Der Minister betonte: „Wir dürfen der NPD nicht nachgeben.“ Stahlknecht wollte am Sonntagabend gemeinsam mit dem Landrat demonstrativ an einem Friedensgebet in der Burtschützer Kirche in Tröglitz teilnehmen. „Sachsen-Anhalt steht für Weltoffenheit und Toleranz, das werden wir gemeinsam zeigen“, versichert Stahlknecht. Flüchtlinge sind derweil in Tröglitz bisher nicht untergebracht worden.