In Heidenau südöstlich von Dresden ist es gestern zu schweren Ausschreitungen von Neonazis gegen die Polizei gekommen. Die Rassisten hatten versucht, die Ankunft von Geflüchteten zu verhindern.
Von Johannes Grunert
Ein ehemaliger Baumarkt in Heidenau, einem Ort im Dresdner Speckgürtel, soll kurzfristig 250 Geflüchteten als Notunterkunft dienen. Dass viele Rassisten aus dem Pegida-Einzugsgebiet das verhindern wollten, hatten sie bereits bei einer Kundgebung am Vortag angekündigt. Die Polizei war darauf nicht ausreichend vorbereitet. Die Kundgebung am Donnerstag war bereits die zweite ihrer Art, am Freitag versammelten sich Heidenauer Anwohner gemeinsam mit Neonazis und Rassisten aus der Region unter Führung von NPD-Kadern wieder. Trotz der Vorahnung, dass der Tag nicht friedlich zu Ende gehen sollte, war die Polizei den über 1000 Demonstranten mit 136 Beamten zahlenmäßig deutlich unterlegen. Auch die vorherigen Ankündigungen, man wolle mit Blockaden die Ankunft der Flüchtlinge verhindern, hatten offenbar keinen Einfluss auf die eingesetzte Zahl an Polizisten.
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Der Demonstrationszug machte zunächst zu einer Zwischenkundgebung vor dem Haus des Heidenauer Bürgermeisters Jürgen Opitz halt, wo die NPD-Stadträte von Heidenau und Dresden, Rico Rentzsch und Hartmut Krien, ihre Reden hielten. Opitz wurde aufgefordert, sich am Fenster zu zeigen, mehrere Beleidigungen fielen. Ein Demonstrant rief unterdessen dazu auf, eine Bürgerwehr zu gründen. Wie sich später zeigen sollte, kam die Eigendynamik der rassistischen Proteste an dem Tag jeder Gewalt von organisierten Bürgerwehren zuvor. Die Stimmung war schon während des Protestzuges aufgeheizt. Als sich ein kleiner migrantischer Junge an einem Fenster zeigte, wurde er sofort von mehreren Demonstranten als „Kanake“ beschimpft.
Spätestens, als der Aufmarsch wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt war, wurde klar, dass die Ankündigung vom Vortag kein Lippenbekenntnis bleiben sollte. Nur ein kleiner Teil der Demonstranten versammelte sich zur Abschlusskundgebung, während das Gros der Teilnehmer sich sofort in Richtung des geplanten Heims aufmachte. Eine aufgestellte Polizeisperre war für die größtenteils ortskundigen Rassisten kein Hindernis. Als sich mehrere Hundert Demo-Teilnehmer vor der Notunterkunft versammelten, wurde die Stimmung schnell aggressiver. Nachdem etwa 30 Personen die vielbefahrene S172 vor der Unterkunft mit einer Sitzblockade versperrten, wurden die ersten Böller und Flaschen in Richtung Polizei und Presse geworfen. Die Polizeitaktik des Wegschauens sollte sich dabei bis in den späten Abend fortsetzen. Die zunehmend betrunkenen Neonazis warfen immer mehr Böller, Flaschen und teilweise auch Steine. Nachdem die Polizei eine Wagenkette vor die Unterkunft gezogen hatte, errichteten die Rassisten dahinter Barrikaden aus Baustellenabsperrungen. Später verlagerte sich das Geschehen dann auf die nunmehr einzige freie Route für die Ankunft der Geflüchteten. Weitere Sitzblockaden konnte die Polizei zunächst noch unterbinden, die Neonazis betraten die Straße dennoch immer wieder. Um 23 Uhr eskalierte die Situation dann vollends: Nachdem zahlreiche Neonazis anfingen, Barrikaden zu errichten und Wurfgeschosse Richtung Heim zu schleudern, griff die Polizei ein. Neonazis wurden mit Schlagstöcken zurück getrieben, was den Mob weiter aufstachelte. Minutenlang lieferten sich die Rassisten eine Straßenschlacht mit der Polizei, es hagelte Flaschen, Steine und Böller. Hell abbrennende Pyrotechnik landete in den Reihen der Beamten, 31 von ihnen wurden verletzt. Die Reaktion der Polizei zeigte vorübergehend Wirkung: Sie feuerten erst Leuchtraketen ab, um den dunklen Parkplatz einsehbar zu machen, darauf folgen mindestens zehn Tränengasgranaten, die über dem Mob explodieren. Eine pinkfarbene Wolke legt sich auf die aufgebrachte Menge, mindestens 200 Menschen wurden mit einem Mal außer Gefecht gesetzt. Ein paar Neonazis wurden festgenommen, die Polizei beschlagnahmt zahlreiche Feuerwerkskörper. Der Großteil der Menge sammelte sich aber wieder vor dem gegenüberliegenden Real-Markt, einige verletzte Neonazis wurden direkt vor die Notunterkunft gebracht, um verarztet zu werden. Unterdessen war für alle unklar, ob die Geflüchteten noch kommen sollten und so wartete der Mob weiter. Als dann tatsächlich gegen 0:30 Uhr ein Bus in Sichtweite kam, fuhr dieser schließlich mit hoher Geschwindigkeit – eskortiert von der Polizei – an der schreienden Menge vorbei, die Vorhänge im Bus waren zugezogen. Ein Polizist hatte vorher über Funk gefragt: „Wie viele Leute brauchen wir, um den Bus halbwegs heil hier durchzukriegen?“.
Flüchtlingen diese Tortur zu ersparen, wäre für die Polizei ein Leichtes gewesen. Wie es bei vielen anderen Demonstrationen, bei denen es zu Gewalt kommt, Gang und Gäbe ist, hätte die Polizei Durchsagen machen können. Wären die Rassisten nicht abgezogen, wäre es möglich gewesen, Kräfte nachzufordern, den Mob in sicherem Abstand einzukesseln und Platzverweise zu erteilen. Es bleibt die Frage, warum das nicht geschehen ist. Sächsischen Regierungskreise glänzen bislang durch Schweigen, lediglich ein Sprecher äußerte sich im Laufe des Samstags und verkündete „Null Toleranz gegen Fremdenfeindlichkeit“. Am heutigen Samstag haben sich die Rassisten erneut angekündigt, etwa 200 Antifaschisten sind in die Stadt gekommen und demonstrieren. Dauert die Unentschlossenheit der Polizei an, werden sie den Mob nicht von seinem Vorhaben abhalten können.