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Zehn Tote – Täter auf freiem Fuß

 

Zehn Tote in Lübeck - Täter auf freiem Fuß
Zehn Menschen starben, als im Januar 1996 dieses Flüchtlingsheim in Lübeck angezündet wurde. Wer den Brandanschlag verübt hat, ist nicht geklärt. Der Verdacht auf rechte Täter bleibt. Foto: dpa

Bei einem Brandanschlag auf ein Lübecker Flüchtlingsheim starben vor 20 Jahren zehn Menschen. Bis heute sind die Täter nicht verurteilt worden.

In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 steht das Haus in der Lübecker Hafenstraße 52 lichterloh in Flammen. In Todesangst springen Menschen aus den Fenstern. Zehn Bewohner des Flüchtlingsheims – sieben Kinder und drei Erwachsene – können nicht gerettet werden. Noch immer ist der Brandanschlag auf das Heim für Schutzsuchende wie eine offene Wunde. Niemand ist für das Verbrechen verurteilt worden.

„Es brennt, es brennt!“

Für die Überlebenden und viele andere ist das nur schwer zu ertragen. Marie Agonglovi wird die Nacht nie vergessen. Mit ihren drei Kindern war sie aus Togo geflohen und hatte an der Trave Schutz gesucht, als sie nachts von den Rufen ihres damals zwölfjährigen Sohnes geweckt wurde. „Es brennt, es brennt!“, habe er geschrien. Am Ende des Flures habe sie dann die Flammen gesehen. „Es war einfach schrecklich.“ Ihre damals sechs- und neunjährigen Söhne habe sie gegen 4 Uhr aus dem Fenster des ersten Stockes geworfen, um sie zu retten. Draußen seien die Kinder von anderen Flüchtlingen aufgefangen worden. Die heute 57-Jährige und ihr ältester Sohn seien damals selber ins Freie gesprungen.

Zehn Tote bei Brandanschlag – Täter auf freiem Fuß
600 Menschen gingen am Samstag in Lübeck auf die Straße, um an den Brandanschlag zu erinnern. © Benno Meinhardt

 

Ihr Cousin Sylvio Amoussou kam in der Nacht ums Leben. Die Todesursache ist bis heute ungeklärt. Von den 48 Bewohnern aus Angola, Zaire, Togo und aus dem Libanon, die sich in dem Altbau befanden, sind mindestens 35 Menschen zum Teil schwer verletzt worden. „Wir waren nach Lübeck gekommen, um zu überleben und dann war unser Leben wieder bedroht“, sagt Agonglovi.

Kriminalfall ist Politikum

Dass die Schuldigen des schwersten Brandanschlags auf eine Asylbewerberunterkunft in der Geschichte Deutschlands nicht verurteilt wurden, wird von vielen kritisiert. Der Kriminalfall ist längst zum Politikum geworden. In zwei Prozessen musste ein damaliger Bewohner um seine Freiheit kämpfen und wurde freigesprochen. Sollte das Opfer zum Täter gemacht werden? Noch immer werfen linke Gruppen der Justiz vor, einseitige Ermittlungen geführt und Beweise für einen rechtsextremen Anschlag unterdrückt zu haben.

Denn am Tatort, als das ehemalige Seemannsheim noch in Flammen stand, sind vier junge Männer aus Grevesmühlen in Mecklenburg aufgefallen, die in unmittelbarer Nähe des Flüchtlingsheims standen. Sie hatten Brandspuren wie versengte Augenbrauen im Gesicht. Die Männer aus der rechten Szene mussten sich jedoch nie vor Gericht verantworten. Obwohl einer von ihnen, Maik W., ein Geständnis ablegte, das er drei Tage später widerrief. Dann jedoch, im Juli 1998, gegenüber einem Spiegel-Redakteur sagte, er habe mit seinen drei Freunden das Heim angezündet, „weil es Stress mit Leuten im Heim gab.“

Zehn Tote bei Brandanschlag – Täter auf freiem Fuß
Marie Agonglovi (57) überlebte damals den Anschlag © Benno Meinhardt

Kritiker fordern die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Land und Staatsanwaltschaft lehnten dies jedoch stets ab. Die Brand-Ruine wurde 1997 abgerissen. An ihrer Stelle ist heute ein Parkplatz zu finden. Ein Gedenkstein erinnert an die Opfer der größten Brandkatastrophe in Lübeck seit 1945.

Rückkehr zum Schreckensort

Marie Agonglovi, die den Anschlag überlebt hat, wohnt inzwischen in München. Um an ihren Cousin und die anderen Opfer zu gedenken, ist sie jetzt an den Schreckensort zurückgekehrt. In diesen Tagen wird in Lübeck mit mehreren Veranstaltungen an den 18. Januar 1996 erinnert. So sind am vergangenen Samstag laut Polizei 600 Teilnehmer zu der Demonstration „Refugees Welcome – 20 Jahre Hafenstraße“ gekommen, bei der auch die aktuelle Flüchtlingspolitik kritisiert wurde. Am Montag, dem Jahrestag, lädt das Lübecker Flüchtlingsforum um 18 Uhr zu einer Gedenkfeier an den früheren Brandort. Dort, wo vor 20 Jahren eine schreckliche Wunde aufgerissen wurde.