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Nazis im Wolfspelz

 

Achtspeichigem Hakenkreuz auf Titel der „Schleswiger Nachrichten“
Achtspeichiges Hakenkreuz auf Titel der „Schleswiger Nachrichten“ (5. Schild von Links)

Eine Lokalzeitung berichtet über die „Schleswiger Wikingertage“ – und sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, ein Hakenkreuz auf der Titelseite abzubilden.

Die alljährlichen „Schleswiger Wikingertage“ bieten Gaukler- und Feuershows, Bogenturnier, Wikingerschiffe und ein Irish Folk Rock Festival. Das laut Veranstalter in „Sichtweite von Haithabu, vor 1.000 Jahren die wichtigste Wikingersiedlung Nordeuropas“ errichtete Wikingerdorf verfügt über eine „Kampfarena“, in der mehrmals täglich Wikingerschaukämpfe statt finden. Damit zog man in diesem Jahr etwa 25.000 Besucher zur wohl größten derartigen Veranstaltung Deutschlands nach Schleswig. Über die Schaukämpfe schreiben die „Schleswiger Nachrichten“: „wie immer warfen sich die geschlagenen Nordmänner dort spektakulär in den Sand – wie immer war der Auslöser für ihre Kämpfe der Streit um einen Teddybär – wie immer moderierte Carsten ‚Carl‘ Lösch das Spektakel mit viel Fachwissen und Humor.“

Verwendung des achtspeichigen Hakenkreuzes auf Mittelalterfest (aus: Nazis im Wolfspelz)
Verwendung des achtspeichigen Hakenkreuzes auf Mittelalterfest (aus: „Nazis im Wolfspelz”)

Nun ist offenbar weder „Carl“ noch der Zeitung aufgefallen, dass einer der „geschlagenen Nordmänner“ ein Schild mit einem Kolovrat, einer Hakenkreuz-Abwandlung mit acht Haken in schwarz-weiß-rot trägt. Auf der Titelseite der „Schleswiger Rundschau“ vom 1.8. ist das Schild auf dem Aufmacher-Foto zu sehen. Die „Schleswiger Nachrichten“ reagieren auf den Hinweis des Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin via Twitter: „Hakenkreuze haben vier Arme, die in die andere Richtung drehen.” „So etwas“, sagt Karl Banghard, „gab es natürlich im Frühmittelalter nicht.“ Für ihn ist spätestens durch die Farbwahl ein politisches Bekenntnis eindeutig zu erkennen. Banghard ist Mitarbeiter des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen und Autor der von dieser kürzlich herausgegebenen Broschüre „Germanen und der rechte Rand – Nazis im Wolfspelz“.

Neonazis besetzen Vorgeschichte

Das Heft beschreibt fundiert, wie Neonazis auf Events wie den Wikingertagen Vorgeschichte besetzen und wie sie Codes aus alter Zeit entwenden und mit neuen Bedeutungen besetzen und entstellen. Organisierte Versuche der extremen Rechten, Germanen- und Wikingerbilder zu besetzten und auf entsprechenden Events zu agitieren sieht Banghard spätestens seit Beginn der 1980er Jahre. Damals taten sich vor allem Personen völkischer neuheidnischer Gemeinschaften oder rechter Jugendorganisationen hervor. Die vom US-Rechtsterroristen David Lane in den frühen 90ern gegründete Neuheidengruppe „Wotansvolk“ sei für Teile der osteuropäischen Wikingerszene stilbildend gewesen. Das seit 2000 in Deutschland verbotene „Blood&Honour“-Netzwerk (B&H) „trug seit Mitte der 80er zum Wikinger- und Germanenkult bei.“ Auch die Band Screwdriver des B&H-Gründers Ian Stuard Donaldson bediente sich als Vorbild für viele folgende Rechtsrockbands an religiös aufgeladenen frühgeschichtlichen Motiven.

„Lebensrune“ und Runenspruch auf Kundgebung der Identitären ©S. Lipp
Runenspruch auf Kundgebung der Identitären ©S. Lipp

Die mutmaßlichen Terroristen des NSU Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Holger Gerlach tauchen auf polizeilichen Kontrolllisten eines im Sommer 1997 vom „Thüringer Heimatschutz“ ausgerichteten „Wikingerfest“ auf. Auf dem Programm: Axtwerfen, Hinkelsteintragen und Met in Strömen. Auch andere Strömungen der extremen Rechten fühlen sich zur Vorgeschichte hingezogen. Die Wade eines Teilnehmers der Kundgebung der „Identitären Bewegung“ am 31.7. in München etwa zierte ein in Runen des älteren Futhark gesetzter Spruch neben einer „Elhaz“-Rune, die erst durch Guido von List als „Lebensrune“ zu Bedeutung für alte und neue Nazis kam. Der Germanendarstellung im Nationalsozialismus widmet die Broschüre ein eigenes Kapitel.

Geschichte als ein zentrales Thema

Die Veröffentlichung des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen stellt Geschichte als ein zentrales Thema der extremen Rechten dar, um deren Deutung sie mit „bemerkenswerter Zähigkeit“ kämpfen. Dieses Phänomen allerdings sei gerade im vorliegenden Kontext kaum reflektiert, weshalb neonazistische Codes problemlos auf Mittelalterfesten und dergleichen präsentiert werden können – wie das Hakenkreuz, das auf der Titelseite der „Schleswiger Nachrichten“ landete. Worin der Gewinn für die Rechte besteht, beschreibt die Broschüre so:

Titel „Nazis im Wolfspelz“
Titel „Nazis im Wolfspelz“

„Diese Vorgehensweise bezeichnen rechte Theoretiker als ‚Metapolitik‘. Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts, Mittel ist Geschichtspolitik und indirekte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wer Geschichte deutet, liefert auch eine glaubhafte Erzählung, wie es zu unserer heutigen Gesellschaft gekommen ist. Und prägt damit nachhaltig politisches Bewusstsein. Diese jahrzentelange Grundlagenarbeit hat ihren Anteil am derzeitigen Wahlerfolg der extremen Rechten in Europa.“

Die Broschüre soll ihrerseits Bewusstsein prägen, sodass der extremen Rechten dieses Agitationsfeld wieder entzogen wird. Die erste Auflage von „Nazis im Wolfspelz“ ist bereits vergriffen, eine Zweite hängt davon ab, ob das Familienministerium Nordrhein-Westfalen die nötige Förderung bewilligt.