Das Verfahren gegen den rechtsextremen Versand „Oldschool Records“ wegen Verbreitung von 900 einschlägigen Neonazi-CDs droht an der schlechten Vorbereitung der Anklage zu scheitern
Angesetzt ist das Gerichtsverfahren vor dem Amtsgericht Memmingen bis März 2017. Doch schon am 5. Verhandlungstag zeigte sich die mangelnde Vorbereitung der Staatsanwaltschaft deutlich. Manche der 88 Anklagepunkte, die sie wegen des Vertriebs von Tonträgern mit gewaltverherrlichendem, neofaschistischem Inhalt in 900 Fällen gegen den Betreiber des Neonazi-Plattenlabel „Oldschool Records“ erhob, sind so mager ausgeführt, dass die Verfolgungsbehörde selbst Teile davon relativiert oder gar gänzlich revidiert – ohne, dass der Verteidiger des Angeklagten diese noch angreifen müsste.
„Oldschool Records“
Bei der Durchsuchung im Mai 2014 wurden insgesamt 23.500 Tonträger, 5 Terabyte Daten und weitere Gegenstände – etwa Hakenkreuzfahnen und Schlagstöcke – sichergestellt, nachdem ein Berliner Politiker schon 2012 Anzeige wegen eines SS-Pullis im Online-Shop des extrem rechten Musiklabels erstattet hatte. Weitere ähnlich einschlägige teilweise selbst hergestellte Textilien und neonazistische Devotionalien werden dort neben eigen- und fremdproduzierten extrem Rechten Tonträgern vertrieben.
Auf den Tonträgern finden sich teils indizierte Titel einschlägig bekannter Bands wie „Stahlgewitter“, „Skrewdriver“, „Sturmwehr“, „Weisse Wölfe“ oder „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“. Letztere hatten die Taten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) schon 2010 – also vor dessen Selbstenttarnung – in ihrem Song „Döner-Killer“ gefeiert und sich über die scheinbare Ahnungslosigkeit der Polizei lustig gemacht. Zur Durchsetzung eines Beschlagnahmebeschlusses wurden im April letzten Jahres bundesweit 16 Objekte nach der bei „Oldschool Records“ erschienenen CD „Ehrbarer kämpfe“ des Liedermachers „Freilich Frei“ durchsucht, die ebenfalls den NSU verherrlicht.
Bei 88 der 2014 sichergestellten Produktionen – auch hier sind „Oldschool Records“-Eigenproduktionen dabei – erkennt die Staatsanwaltschaft einen volksverhetzenden, Gewalt- und Straftaten billigenden, das Naziregime verherrlichenden oder sonstigen bei Verbreitung strafbaren Inhalt. In manchen der Machwerke wird zum Mord an Juden, Kommunisten oder Schwulen aufgerufen. Teilweise werden verbotene Kennzeichen von Naziorganisationen dargestellt.
„Ultima Ratio“: Die Verteidigung
Bereits in seiner ersten Stellungnahme nach Verlesung der Anklageschrift am 8. September griff Rechtsanwalt Alexander Heinig die Anklage umfassend an. Schon bei der Polizei gingen Asservate verloren. Die Anklageschrift „hält einer genauen Prüfung nicht stand“, sagte Heinig damals und forderte die sofortige Einstellung des Verfahrens. Das Gericht wies den Antrag zurück, die Staatsanwaltschaft gab sich überzeugt von ihrer Arbeit.
Während der folgenden vier Verhandlungstage wurden einige Tonträger und ihre zur Anklage gebrachten Inhalte im einzelnen begutachtet. Zu jedem bringt Heinig vor, weshalb er sie für nicht strafbar hält. Der Verteidiger kennt einschlägige Strafverfahren gegen andere rechte Versände und Neonazis, verweist auf ihm genehme Rechtsprechung und hält „Rechtsgutachten“ im Sinne seines Mandanten vor, während die Vertreter der Staatsanwaltschaft schlecht vorbereitet wirken. Damit drängt der Stuttgarter Verteidiger die Staatsanwaltschaft zunehmend in die Defensive. Am bislang letzten Verhandlungstag vergangenen Donnerstag nahm der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei etwa der Hälfte der verhandelten Straftaten lediglich Bezug auf das schon dargelegte oder verneinte eine Strafbarkeit entgegen der Anklageschrift, verwechselte zudem mehrmals die Paragraphen nach denen eine Handlung strafbar sei.
Rechtsanwalt Heinig nutzt solche Gelegenheiten, um die Staatsanwaltschaft zurechtzuweisen. An anderer Stelle hält er vor, dass die Anklageschrift einen Tonträger den „Fantastischen 4“ zuschreibt. Tatsächlich heißt die Band „Die Faschistischen 4“. Einer ihrer Songs ist Gegenstand der Anklage, weil darin der Holocaust lächerlich gemacht würde. Dort heißt es: „Eine Zugfahrt, die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön […] Eisenbahnromatik macht frei“. Heinig behauptet, der Text beschreibe keinen Deportationszug, sondern eine „lustige“ gemeinsame Zugfahrt.
Mit Rechtsrock kennt sich Alexander Heinig aus. Er gilt als Szeneanwalt und half Anfang der 90er Jahre bei der inzwischen aufgelösten Band „Noie Werte“ seines heutigen Rechtsanwaltskollegen Steffen Hammer aus. In einem Bericht von Frank Buchmeier und Thomas Kuban heißt es: „Hammer gilt als ein Star der europäischen Rechtsrockszene, Heinig als B-Promi. Auf Videos sieht man ihn in Flecktarnhose mit Bierflasche in der Hand bei einem Grillfest von Rechtsextremen (Kreuzritter für Deutschland) in Waiblingen oder bei einem Neonazikonzert am gleichen Ort. Alexander Heinig steht hinten auf der Bühne und grölt: ‚Nigger, Nigger, out, out . . .’“ Benjamin Einsiedler vertreibt als „Oldschool Records“ mehrere CDs von Heinigs inaktiver Band „Ultima Ratio“.
„Voice of Anger“
Heinig hält ein weiteres Mandat in der Region um Memmingen im Allgäu. Die Neonazikameradschft „Voice of Anger“ versucht derzeit, ein neues Clubhaus zu etablieren und scheitert bislang am Widerstand von Stadt und Antifa. Die Stadt verweigert ihre notwendige Zustimmung für den Erwerb eines Gebäudes durch die Neonazis. Alexander Heinig geht gerichtlich dagegen vor. Benjamin Einsiedler gilt als Führungsfigur von „Voice of Anger“.