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30 Euro Neonazi-Festival unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts

 

Neonazi-Festival unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts
Veranstaltungszelt des RfD © Lukas Beyer

In den vergangenen Jahren hat sich Thüringen als Heimat und Hochburg diverser Rechtsrockkonzerte etabliert. Allein im Juli werden zu drei Rechtsrock-Open-Airs insgesamt mehrere tausend Neonazis im Freistaat erwartet. Am vergangen Samstag, dem 1. Juli 2017, besuchten bereits über 800 Neonazis das „Rock für Deutschland“ (RfD) in Gera.

Von Lukas Beyer und Kevin Lamperti

Veranstaltungsort war der Parkplatz Hofwiesenpark, wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt. Es ist ein lukratives Event für die rechtsextreme Szene, angemeldet als politische Versammlung nach dem Versammlungsgesetz vom Geraer NPD-Kreisvorsitzenden und Stadtrat Gordon Richter. Dass für die „politische Veranstaltung“ 30 Euro Eintritt verlangt werden, ist für die Behörden offensichtlich ebenso wenig ein Problem wie der großzügige Verkauf von Alkohol, Nazi-Propaganda und Essen.

 

unterschiedliche Flyer für das RfD

Redner oder Inhalte der angeblichen Versammlung wurden vorab nicht benannt, lediglich ein kurzer Aufruf veröffentlicht. Angekündigt waren jedoch sechs Rechtsrockbands, die Neonazis nach Gera mobilisieren sollten. Im Internet kursierten zwei verschiedene Plakate für das RfD – nur eines davon trug Logo und Impressum der NPD. Für die Mobilisierung wurde vorwiegend das Plakat ohne Kennzeichnung verwendet, vermutlich um parteilose Neonazis besser anzusprechen. Zum Preis von 25€ im Vorverkauf bzw. 30€ an der Tageskasse konnte man eine Eintrittskarte für die Versammlung erwerben. Für viele Besucher dürfte – erkennbar an ihren T-Shirts – vor allem die neonazistische Band Frontalkraft ein Grund zum Kommen gewesen sein. Die Cottbuser Musikgruppe aus dem Umfeld der Hammerskins feierte in Gera ihr 25-jähriges Bestehen. Auch die Bands Convident of Victory, Hausmannskost – beide ebenfalls aus Südbrandenburg –, Division Germania, Frontfeuer und Green Arrows sind der Naziszene zuzuordnen und dort nicht unbekannt.

NPD-Stadtrat Gordon Richter aus Gera © Lukas Beyer

Die Bühne für Bands und Redner war im Inneren eines Zeltes aufgebaut und nach außen kaum wahrnehmbar. Zu den Rednern gehörte nach eigenen Angaben der Berliner NPD-Politiker Sebastian Schmidtke. Neben Verkaufsständen und Essensständen gab es auch die Möglichkeit, Alkohol zu erwerben. Zwar sprach der Veranstalter nur von Leichtbier, doch viele Neonazis reisten schon alkoholisiert an. Der parteilose Bürgermeister Kurt Dannenberg sah keine rechtlich Handhabe, den Alkoholkonsum per Auflagenbescheid zu verbieten. Auf vergleichbaren Veranstaltungen in anderen Städten ist ein Alkoholverbot jedoch kein Problem. Beim Rock für Deutschland standen Rechtsrock, kommerzielle Verkaufsstände und der Ausschank von Alkohol schließlich unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit – eine fragwürdige Praxis, kritisieren die Grünen. Die Thüringer Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling (Bündnis90/Die Grünen) sagte gegenüber dem MDR Thüringen, sie würde das Rechtsrockevent „als kommerzielle Veranstaltung werten“.

Der Meinung war auch das Thüringer Finanzgericht. Es hatte 2015 rückwirkend entschieden, das Rock für Deutschland im Jahre 2009 sei aufgrund der „Werbung, des äußeren Erscheinungsbilds und der tatsächliche Durchführung der Veranstaltung“ dem „wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb“ der Veranstalter zuzurechnen und diese somit steuerpflichtig.

Die „Eisenbahnromatik“ des KZ Auschwitz-Birkenau

Teilnehmer mit antisemitischem T-Shirt © Lukas Beyer

Dass Neonazis bei ihren Veranstaltungen gern in provokanter Kleidung auftauchen oder sich mit Szenecodes schmücken, ist nichts Neues. Das Ausmaß dieser Inszenierungen überrascht dennoch gelegentlich. Beim Rock für Deutschland etwa prangte auf dem T-Shirt eines Besuchers das Torgebäude des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau mit dem Schriftzug „Eisenbahn Romantik“. Den Eingangsbereich des Veranstaltungsgeländes, in dem die Polizei in einem großen Zelt alle Teilnehmer kontrollierte, konnte er damit offensichtlich unbescholten passieren. Im Laufe des Tages kam es dort zu vier Festnahmen. Die Polizei erstattete 13 Anzeigen, unter anderem wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, das Betäubungsmittelgesetz und §86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen).

Rock für Alle, aber ohne Nazis

Eine zweite Anmeldung für das „Rock für Deutschland“ lag in Themar (Landkreis Hildburghausen) vor. Das ermöglichte es dem Anmelder Gordon Richter, sich kurzfristig für einen Versammlungsort zu entscheiden. Diese Ungewissheit erschwerte die Organisation von Gegenprotesten deutlich. Knapp 50 Menschen kamen schließlich zu einer musikalisch begleiteten Gegenkundgebung unter dem Motto Rock für Alle in Gera.

Rechtsrock-Sommer in Thüringen

Der Verkaufsstand von Tommy Frenck © Lukas Beyer

Im Juli sind zwei weitere neonazistische Großevents in Thüringen geplant. In der Kleinstadt Themar ist für den 15. Juli das Festival Rock gegen Überfremdung und für den 29. Juli das Rock für Identität angemeldet. Das Landratsamt Hildburghausen als Versammlungsbehörde hat sich jedoch für nicht zuständig erklärt, da es den beiden Veranstaltungen den Versammlungscharakter im Sinne des Versammlungsgesetzes aberkennt. Das Verwaltungsgericht Meinigen entschied hingegen, dass es sich auch hier um gemischte Versammlungen handle, welche sich auf die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes berufen können. Das Landratsamt Hildburghausen will nun Rechtsmittel einlegen, über die die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht in Weimar, entscheiden wird. Unter den zahlreichen angekündigten Rednern des Rock gegen Überfremdung befindet sich auch Axel Schlimper von der Europäischen Aktion (EA), einer Organisation von Holocaustleugnern. Gegen Mitglieder der EA gab es vor kurzem Hausdurchsuchungen in Thüringen und Niedersachsen, ihnen wird die Durchführung von Wehrsportübungen vorgeworfen. Mehrere hundert Bürger aus Themar organisieren derweil Proteste gegen die geplanten Neonazi-Events.

Weitere Fotos von Lukas Beyer sowie die Fotostrecke von Simon Telemann.