Am Sonntag demonstrierten in Dessau 4.000 Unterstützer Oury Jallohs für Aufklärung im Fall des im Polizeigewahrsam getöteten Mannes. André Poggenburg, AfD-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt, rief gemeinsam mit Pegida zur Gegenkundgebung auf. 130 Rechtsextreme, darunter mehrere NPD-Mitglieder, kamen.
Vor 13 Jahren kam der Asylbewerber Oury Jalloh im Dessauer Polizeirevier unter bis heute ungeklärten Umständen zu Tode. Er verbrannte gefesselt in seiner Zelle. Im Oktober 2017 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, prüft aber aufgrund des öffentlichen Drucks eine Wiederaufnahme. Im Fall Oury Jalloh geht es vielen Menschen auf der Unterstützer-Demonstration nicht nur um ihre Trauer, es geht vielmehr um Fragen nach institutionellem Rassismus und eines gänzlichen Versagens des Rechtsstaates. Die Umstände des Todes, Falschaussagen von Polizeibeamten und der von der Staatsanwaltschaft lange unterstellte Selbstmord haben bis heute keine Klärung des Todesfalles zugelassen. Die rund 4.000 angereisten Unterstützer der Oury-Jalloh-Demonstration kommen aus ganz Deutschland. Sie zeigen deutlich, dass der Fall zumindest für sie nicht zu den Akten gelegt werden soll. Nie zuvor nahmen so viele Menschen an einer der Oury-Jalloh-Demonstrationen teil.
AfD will wieder provozieren
André Poggenburg behauptet, er wolle die Aufklärung des Falls Oury Jalloh. Die von Freunden des Toten organisierte Demonstration nennt er „Leichenfledderei“ durch „Linksautonome“. Am Rande der letzten Oury-Jalloh-Demonstration, im Januar 2016, provozierte Poggenburg bereits. Damals wurde er laut eigener Aussage von Demonstrierenden bedrängt. Zu einer direkten Auseinandersetzung kam es nach Polizeiangaben nicht. Ein Jahr später behauptet Poggenburg auf Twitter, er sei damals „tätlich angegriffen“ worden.
Dass die Anhänger der AfD wohl wenig an Aufklärung interessiert sind, zeigt sich auch in den Kommentarspalten der AfD-Facebook-Seiten. Dort heißt es gegenüber der Demonstration: „Knüppel frei für die Polizei“. Ein Kommentator will Flammenwerfer einsetzen. Oury Jalloh selbst wird in dutzenden Posts verunglimpft, AfD-Anhänger feiern seinen Tod.
Hasserfüllte AfD-Kundgebung
Einhundert Anhänger der AfD stehen Sonntag 14Uhr auf den Parkflächen am August-Bebel-Platz in Dessau. Dreißig weitere Personen, unter ihnen Neonazis aus der Stadt, stehen auf der Straße. Sie warten auf die linke Demonstration. Auf der AfD-Kundgebung wird sich am politischen Gegner abgearbeitet, um Oury Jalloh geht es ihnen nicht. Als „verderbliche Krankheit“ werden die Demonstrierenden von André Poggenburg beschimpft. Es ist eine Kundgebung des Hasses gegen Unterstützer eines Mannes aus Sierra Leone, der in deutschem Polizeigewahrsam starb. Ein Toter, bei dem mittlerweile ein Staatsanwalt davon überzeugt ist, dass er ermordet wurde.
Ein Teilnehmer der AfD-Kundgebung interviewt Hans-Thomas Tillschneider, der ein Büro im Hausprojekt mit den rechtsextremen „Identitären“ und „Ein Prozent“ in Halle betreibt. Die Kundgebung ist mittlerweile von einem Dutzend Polizeifahrzeugen umstellt. Einhundert Beamte sichern die Kreuzung am August-Bebel-Platz, Hamburger Gitter stehen auf der Straße. Der Kundgebungsteilnehmer, der gerade noch Tillschneider interviewte, vermummt sein Gesicht und läuft an mehreren Polizisten vorbei. Er will an die Absperrung, nachsehen, wann die Demonstration endlich kommt. Die rechte Kundgebung wird nicht vor zur Straße gelassen, um eine Eskalation zu verhindern. Einige Teilnehmer tragen die bei Neonazis beliebte Marke „Thor Steinar“. Die Gruppe wirkt aggressiv. Über Lautsprecher bittet der Veranstalter, sich nicht provozieren zu lassen und friedlich zu bleiben.
Hans-Thomas Tillschneider unterhält sich vor dem Lautsprecherwagen mit Lutz Bachmann und Siegfried Daebritz (beide Pegida). Bachmann wurde erst 2016 wegen Volksverhetzung verurteilt. Er hatte auf Facebook Flüchtlinge und Asylbewerber als „Gelumpe“, „Viehzeug“ und „Dreckspack“ beschimpft. André Poggenburg gesellt sich zu ihnen. Die anderen Teilnehmer scheinen sich zu langweilen. Eine halbe Stunde bevor die Demonstration an ihnen vorbeiläuft beendet die AfD erfolglos ihre Kundgebung.
Wut und die Forderung nach Aufklärung bleiben
„Oury Jalloh das war Mord!“ ruft die Demonstration im Chor, als sie am August-Bebel-Platz vorbeiläuft, wo kurz zuvor die AfD protestieren wollte. Die Rechten sind fast alle abgereist, als 30 Personen aus der Demonstration ausbrechen wollen. Sie heben Gitter aus den Angeln, Böller und Flaschen fliegen in Richtung des Kundgebungsplatzes der Rechten. Journalisten und Polizisten werden getroffen. Der Ordnerdienst der Demonstration und die Polizei können die Situation beruhigen. Zum Glück gibt es keine Verletzten, sagt der Polizei-Einsatzleiter kurz darauf.
Die Demonstration läuft anschließend über den Dessauer Marktplatz zur Polizeistation, in der Oury Jalloh verbrannte. Viele der Demonstrierenden sind wütend – die Staatsanwaltschaft Halle hatte die Ermittlungen in dem Fall Ende letzten Jahres übernommen. Kurz darauf wurden sie eingestellt. Wenig später wurde bekannt, dass selbst der ehemals leitende Staatsanwalt die These bezweifelt, Oury Jalloh habe sich selbst mit einem Feuerzeug angezündet. Die Initiative für Oury Jalloh hat Strafanzeige wegen Mordes gegen mehrere Polizisten erstattet. Einige Protestierende werfen deshalb Feuerzeuge gegen die Eingangstür der Polizeistation. Andere legen Blumen nieder, gedenken dem Toten in Stille.