Am vergangenen Samstag fanden in Dessau sowohl ein Toleranzfest als auch eine Antifa-Demonstration statt. Beide Veranstaltungen wurden von Rechten angegriffen. Anlass der Veranstaltungen ist der Jahrestag der Bombardierung der Stadt und das geschichtsrevisionistische Neonazi-Gedenken, das in den vergangenen Jahren stattfand.
In Dessau versuchen Neonazis seit Jahren, das Gedenken an die Bombardierung der Stadt umzudeuten. Dessau war einer der Produktionsorte für das Giftgas Zyklon B, mit dem in Vernichtungslagern gemordet wurde. Bei der Bombardierung am 7. März 1945 wurden auch diese Produktionsanlagen zerstört. Bereits am 7. März dieses Jahres versammelten sich Neonazis der „Freien Kräfte“ in der Stadt. Ihren Aufmarsch am 10. März hatten sie kurzfristig abgemeldet. Doch Ruhe kehrt damit noch nicht ein.
Gegen den angekündigten Neonazi-Aufmarsch am Sonnabend wollten Stadt und Unterstützer mit 15 Kundgebungen demonstrieren – auch ohne Neonaziaufmarsch kamen Hunderte zusammen, um für Demokratie und ein tolerantes Miteinander einzutreten.
Für die Veranstaltungen war eine große Bühne auf dem Seminarplatz hinter dem Dessauer Hauptbahnhof aufgestellt worden. Oberbürgermeister Peter Kuras (FDP) erinnerte an die Verfolgung und Deportation der Dessauer Juden und versprach einen stärkeren Einsatz für die jüdische Gemeinde. Kuras mahnte, sich für Demokratie zu engagieren – die lebe nicht von Umfragen, sondern von Engagement und Courage, zitierte er den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog.
Rechte beginnen Schlägerei
Doch kurz nach der Rede gibt es Handgreiflichkeiten. Fünf Neonazis kommen von einem Parkplatz, laufen auf die Bühne zu: „Achtung, da sind Nazis! Macht doch was!“, ruft eine Passantin. Das Bühnenprogramm läuft weiter, während Polizisten die Gruppe umstellen. Doch auch auf der anderen Bahnhofsseite haben sich 70 vor allem jüngere Leute zu einer antifaschistischen Demonstration getroffen. Die bekommen mit, was beim Toleranzfest passiert, und laufen hin. Nur einer geht anfangs auf die rechtsextreme Gruppe zu, „Verpisst euch!“ brüllt er. Die Neonazis sind aggressiv, einer springt auf den Linken zu, ein Schlag ins Gesicht folgt. Sie ringen miteinander, nur mit Mühe können die Beamten sie trennen. Der rechte Schläger wird kontrolliert, muss zum Alkoholtest. Doch immer mehr Demonstranten kommen vom Bahnhof zum Seminarplatz, die Polizisten sind in der Unterzahl, und – erneut wird provoziert, es gibt ein Gerangel. Die Rechten werden von Beamten zu ihrem Auto gebracht. Anscheinend sind sie zum Provozieren extra angereist. Unter Geleitschutz ziehen sie ab.
Wenig später kommt es bei der linken Demonstration auf der anderen Bahnhofsseite zum nächsten Tumult. Auch hier will eine Gruppe Neonazis provozieren, geht zielgerichtet auf die Linken zu, wird von der Polizei rechtzeitig abgedrängt. Teilnehmer der Demonstration aber lassen sich provozieren, rennen wiederum in Richtung der Neonazis. Wieder sind die Beamten in der Unterzahl, können die Gruppen kaum trennen. Gerangel, Geschrei, Wut – die Gruppen mischen sich. Die Polizei bekommt Verstärkung, setzt sich durch und bringt die Rechtsextremen in eine Seitengasse. Beim weiteren Geschubse zwischen ein paar Punks und der Polizei fliegt auch eine Flasche, die linken Demonstranten sind aufgebracht, lassen sich nur schwer beruhigen.
Die Demonstration startet nach dem Tumult mit einiger Verspätung. Auf dem Weg durch Dessau wartet eine kleine Gruppe Rechter, die Polizei aber bemerkt das früh und drängt sie einige Meter zurück. Viele Passanten filmen den Aufzug, der laut Polizei 80 Personen umfasst.
Bei der Menschenkette vom Seminarplatz bis zur Jüdischen Gemeinde haben sich laut Anmelder 1.800 Dessauer für Toleranz und Demokratie eingereiht, erwartet wurden 2000. Die Polizei spricht von nur 800 Teilnehmern. Die Rede von Bürgermeister Kuras hatten ebenfalls wenige verfolgt, 50 Personen standen vor der Bühne. Bereits am kommenden Wochenende ist die nächste Neonazi-Demonstration in Dessau angekündigt: Die NPD will aufmarschieren. Das Bündnis „Dessau Nazifrei“ hat zu Protesten aufgerufen. Beobachter rechnen mit 150 Teilnehmern bei der zerstrittenen Neonazi-Partei.