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Ursula Haverbeck: Heldenfigur der rechten Szene

 

Die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck ist in Haft. Seitdem hagelt es Solidaritätsbekundungen von Nazis. Die rechte Szene will die 89-Jährige zur Märtyrerin machen.

Von Sebastian Weiermann

Neonazis bei der Demonstration für Ursula Haverbeck in Bielefeld © Sebastian Weiermann

Auf der Straße würden sie einander wohl nicht einmal grüßen. Hier, vor einer Recyclingfirma im Bielefelder Vorort Quelle, sammeln sie sich Seite an Seite. Neonazis mit Tätowierungen und Glatze, direkt neben alten Männern und Frauen, die sich wie in den 1930er-Jahren kleiden. Für Ursula Haverbeck kommen Neonazis und die sonst eher öffentlichkeitsscheue Szene deutscher Geschichtsrevisionisten zusammen.

Es geht um eine gemeinsame Sache. Denn Haverbeck ist für Rechtsextremisten derzeit die Symbolfigur schlechthin. Die 89-Jährige wurde 2017 zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt, weil sie den Holocaust geleugnet hatte. Vorausgegangen waren etliche mildere Urteile wegen ähnlicher Vergehen. Am Montag wurde sie in ihrem Haus im ostwestfälischen Vlotho festgenommen und ins Gefängnis Bielefeld-Senne gebracht.

Auschwitz-Leugnerin im „Kerker des Systems“

Ursula Haverbeck, hier bei einem Gerichtstermin im November 2017 vor dem Landgericht Detmold © Bernd Thissen/dpa

Das will die rechte Szene nicht akzeptieren. Bei dem Solidaritätsmarsch am Donnerstag basteln sie eifrig an einem Opfermythos. Man müsse gemeinsam für die „Wahrheit“ marschieren, sagt der niedersächsische Neonazi Dieter Riefling auf der Kundgebung. Die Welt solle erfahren, dass Ursula Haverbeck für ihre Meinung in die „Kerker des Systems“ gesperrt worden sei.

Seit der Festnahme gibt es auf den Internetseiten und in sozialen Netzwerken der extremen Rechten kaum ein anderes Thema. Die NPD aus Mecklenburg-Vorpommern echauffiert sich: „Vor Krawall-Asylanten weglaufen, aber die 89-jährige Ursula Haverbeck verhaften – so mutig ist die BRD-Polizei.“ In Kommentaren, auch zu früheren Berichten im Störungsmelder, wird immer wieder auf das Alter der Inhaftierten eingegangen. Sie müsse ins Gefängnis, obwohl sie „nur ihre Meinung“ gesagt habe.

Haverbeck als Propaganda-Figur

Ihre Meinung sagen, das heißt bei Haverbeck, die Verbrechen des Dritten Reichs leugnen. Mehrfach behauptete sie, das Vernichtungslager Auschwitz sei lediglich ein Arbeitslager gewesen. Deswegen ist sie für Neonazis eine Heldin.

„Haverbeck ist eine der Ikonen der neonazistischen Szene, sicher vor allem, weil sie für eine lange rechte Traditionsbildung steht und aufgrund ihres Alters gerade propagandistisch – mit Blick auf junge Neonazis – nutzbar ist“, sagt Samuel Salzborn, Gastprofessor am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Salzborn gehört zu den renommiertesten Antisemitismusforschern in der Bundesrepublik. Aus gutem Grund sei die Leugnung elementarer Bestandteil des Rechtsextremismus: „Die neonazistische Szene hat ja das Anliegen, das Naziregime zu verherrlichen. Die Leugnung der Schoah ist dabei ein ganz zentrales Element – sowohl in seiner geschichtsrevisionistischen Funktion wie auch für die soziale Dynamik der heutigen Nazibewegung.”

Im geschlossenen Vollzug

Haverbeck ist nicht die einzige Holocaustleugnerin, die als Märtyrerin verehrt wird. Auch der 82-jähirge Horst Mahler, der die industrielle Vernichtung von Menschen wieder und wieder verneint hat, hat Fans in der rechten Szene. Als er vor einigen Jahren in Haft schwer erkrankte, wurde dutzendfach seine Freilassung gefordert. Mahler wurde zum Symbol für „Tyrannei in der BRD“, wie Aktivisten von Haverbecks Partei Die Rechte im Internet anprangerten.

Tatsächlich musste er nach einer Operation 2015 vorerst nicht mehr zurück ins Gefängnis. Vor einer Rückkehr in die Haft flüchtete er im Frühjahr 2017 nach Ungarn, im Sommer wurde er nach Deutschland ausgeliefert. Seine Flucht dürfte auch ein Grund dafür sein, dass Ursula Haverbeck nicht in den offenen Vollzug durfte. Wegen Fluchtgefahr, die durch Haverbecks Vernetzung in der Szene besteht, und Wiederholungsgefahr sitzt sie in einer geschlossenen Abteilung, teilte Kerstin Höltkemeyer-Schwick, Leiterin der Justizvollzugsanstalt, mit.

Erfolg fürs Gemeinschaftsgefühl

Die Demonstranten vor dem Gefängnisgebäude © Sebastian Weiermann

Wie wichtig ihnen die Solidarität mit Haverbeck und anderen Holocaustleugnern ist, zeigen die neonazistischen Demonstranten in Bielefeld. Die Kundgebung endet vor dem Gefängnisgebäude, möglicherweise in Hörweite der angeblichen Märtyrerin. Szenegrößen wie Thomas „Steiner” Wulff, Dieter Riefling, Sven Skoda und der Schweizer Leugner Bernhard Schaub treten als Redner auf.

Am deutlichsten wird Wulff. In ein T-Shirt mit der Aufschrift „Auschwitz – Ich habe da eine Frage” gekleidet, sagt er, dass er diese Frage nicht stellen würde. Wulff berichtete aus seiner fast 40-jährigen Karriere in der Neonaziszene und lobte Holocaustleugner wie Mahler, Jürgen Rieger und die anwesende ehemalige Anwältin Sylvia Stolz.

Für die deutsche Neonaziszene ist der Aufmarsch in Bielefeld ein Erfolg – für das Gemeinschaftsgefühl. In Haverbeck haben die Rechten eine Heldenfigur gefunden. Viele Jungnazis schrecken davor zurück, den Holocaust offen zu leugnen. Sie selbst wollen dafür lieber nicht ins Gefängnis.

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