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2.200 Neonazis feiern fast ungestört in Themar

 

Die Tage der nationalen Bewegung in der Rechtsrockzentrum Themar sollten eine Politveranstaltung der NPD sein. 2.200 Neonazis kamen aber vor allem, um Spaß zu haben – der Gegenprotest blieb klein.

Von Jonas Miller

Neonazis beim Einlass
Neonazis beim Einlass

Themar, eine Landstadt mit 3.000 Einwohnern in Südthüringen, ist seit dem Rechtsrockkonzert mit 6.000 Besuchern im vergangenen Jahr bundesweit bekannt. Eine Wiese im Besitz eines Neonazis dient als Veranstaltungsfläche, auf der Neonazis seit Monaten ungestört Konzerte und Aktionen abhalten können.

An diesem Wochenende war es wieder so weit: Die NPD veranstaltete das zweitätige Musikfestival Tage der nationalen Bewegung. Nach Polizeiangaben kamen am Freitagabend rund 900 und am Samstag 2.200 Teilnehmer. Nach dem Schild-und-Schwert-Festival im sächsischen Ostritz war es die zweite Musikgroßveranstaltung unter NPD-Regie innerhalb weniger Wochen in Ostdeutschland.

Am Eingang hingen NPD-Plakate, für die Veranstaltung verantwortlich war der Bundesorganisationsleiter der Partei, Sebastian Schmidtke. Dennoch betonte die NPD, dass nicht nur Parteianhänger, sondern „alle Nationalisten und Patrioten“ willkommen seien, „die wollen, dass eine starke Gemeinschaft an die Stelle von Gruppenegoismen gestellt wird“. Auf der
Rednerliste standen hauptsächlich NPD-Funktionäre wie der Vorsitzende Frank Franz und sein Stellvertreter Thorsten Heise, Unterstützung kam von der neonazistisch ausgeprägten Kleinstpartei Die Rechte, deren Chefs ebenfalls als Redner fungierten.

Ebenfalls vor Ort: Kathrin Oertel, ehemalige Frontfrau von Pegida. Nach ihrem wirren Auftritt in der Talk-Sendung von Maybrit Illner war sie 2015 weitgehend von der Bildfläche verschwunden, verbreitete Verschwörungstheorien.

Alkoholverbot sorgte für Schlangen an der Tankstelle

Konzertbesucher an der Tankstelle
Konzertbesucher an der Tankstelle

Die Veranstalter sprachen von einer „nationalen Großveranstaltung, bei der neben Musik und Kultur auch Politik eine große Rolle spielen wird“. Wegen Politik waren die meisten Besucher aber wohl nicht angereist: Den ganzen Tag über pilgerten Gäste zu einer Tankstelle, um sich mit Alkohol einzudecken – das zuständige Verwaltungsgericht hatte vorab den Ausschank bis 20 Uhr auf dem Festgelände verboten. Dort stieg eher ein extrem rechtes Festival als eine politische Kundgebung. Polizisten schrieben 80 Anzeigen, meist wegen Tragens und Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole. Ermittelt wird auch wegen Körperverletzung untereinander und gegen einen Journalisten, wie Polizeisprecher Patrick Martin dem Störungsmelder mitteilte.

Mindestumsatz 60.000 Euro

Finanziell waren die Tage der nationalen Bewegung ein Erfolg: Die Veranstalter erwirtschafteten alleine mit den Eintrittskarten einen Umsatz von mindestens 60.000 Euro. Das Geld dürfte die Neonaziszene nutzen, um Immobilien zu finanzieren oder Aufmärsche zu veranstalten. Mit den Bands wollten die Veranstalter eine breite Zielgruppe aus jungen Sympathisanten, aktiven Neonaziaktivisten und altgedienten Rechtsrockfans anziehen. So traten neben neonazistischen Liedermachern auch Gruppen aus der extrem rechten Hip-Hop- und Hardcoreszene auf. Trotzdem kamen größtenteils die altbekannten rechtsextremen Skinheads – Aktivisten und Kader der thüringischen, bayerischen oder sächsischen Kameradschaftsszenen blieben dem Festival größtenteils fern.

Die meisten dürften wegen der klassischen Rechtsrockbands wie Kategorie C, Die Lunikoff Verschwörung oder Sleipnir angereist sein. Beim Auftritt der britischen Band Brutal Attack musste die Polizei wegen eines verbotenen Lieds einschreiten. Der Auftritt der Band verdeutlicht, dass die NPD keine Berührungsängste mit Blood and Honour hat, einer in Deutschland verbotenen Organisation. Brutal Attack gilt als Gründungsmitglied von Blood and Honour in England.

Rechtsrockzentrum Thüringen

Besucher des Festivals
Besucher des Festivals

Die Teilnehmerzahl überstieg mit 2.200 Besuchern die Erwartungen der Organisatoren und Sicherheitsbehörden, blieb dennoch deutlich unter der Höchstmarke von 6.000 Besuchern im vergangenen Jahr. Grund ist wohl vor allem die Schirmherrschaft der NPD. Viele parteifreie Neonazis wollen mit ihr nichts zu tun haben.

Dennoch wird Thüringen weiter der zentrale Anlaufpunkt der rechten Musikszene in Deutschland bleiben. Die Mobile Beratung Thüringen gegen Rechtsextremismus (Mobit) analysiert seit 2014 ein stetiges Wachsen der rechten Konzerte und Festivals. Im Jahr 2016 bezifferte die Organisation die Zahl der Veranstaltungen demnach mit 300. Ein Spitzenwert im bundesweiten Vergleich.

Die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss von Der Linken macht dafür mehrere Faktoren verantwortlich: „Thüringen liegt zum einen geografisch sehr gut in Deutschland, entscheidend sind aber die eigenen Immobilien der Neonazis, die sie unproblematisch nutzen können, und eine seit Jahrzehnten aktive Szene, die sehr gut bundesweit und innerhalb Europas vernetzt ist.“ Rechtsrock ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Neonazikultur und gilt als „Einstiegsdroge“ vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene.

Holzkreuze erinnern an Todesopfer rechter Gewalt

Holzkreuze erinnern an die Todesopfer rechter Gewalt
Von Aktivisten aufgestellte Kreuze

Gerade wegen der dicht geknüpften rechten Netzwerke in Südthüringen und der Anwerbeversuche von Jugendlichen hat sich in Themar eine Protestorganisation gegen die Rechtsrockkonzerte gegründet. Das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra und Themar installierte nahe dem Konzertort 195 weiße Holzkreuze mit den Namen der Todesopfer rechter Gewalt seit 1990. In der Region herrsche teilweise die Meinung „Ach, lasst sie doch machen, ist doch alles nicht so schlimm“, sagt Sabine Jakob vom Bündnis. „Wir wollen damit zeigen: Es ist nichts harmlos, die Ideologie der Neonazis tötet!“

Die anreisenden Neonazis beobachteten das Spektakel aus der Ferne, skandierten: „Ihr seid so lächerlich!“, und beschimpften die Kreuzaufsteller wüst. Davon will sich das Bündnis aber nicht einschüchtern lassen. Zur Gegenkundgebung im kamen 300 Menschen. „Zwar immer noch viel zu wenig, aber es tut sich langsam was“, meint eine Teilnehmerin. Für die nächsten Konzerte und Veranstaltungen hoffen sie auch auf Unterstützung von außerhalb.