Mit Volksabstimmungen wollen sowohl AfD als auch NPD dem Willen der Bürger zum Sieg verhelfen. Tatsächlich haben ihre Forderungen mit Demokratie nichts zu tun – im Gegenteil.
Von Jürgen P. Lang
Es sind die ultimativen Versprechen einer nahezu perfekten Demokratie: mehr Bürgernähe, weniger Politikverdruss, mehr zivilgesellschaftliches Engagement. Der Weg dahin: Volksabstimmungen. Lasst die Bürger mitreden, heißt es von der Linken bis ganz weit rechts, lasst das letzte Wort nicht in einem düsteren Parlamentsbunker fallen.
Das Problem dabei: Die Parteien des rechten Spektrums betreiben ein schmutziges politisches Geschäft mit den Volksabstimmungen. Um mehr Mitbestimmung geht es ihnen nur scheinbar.
Ja oder Nein statt demokratischer Kompromisse
Die extremistische NPD will laut Grundsatzprogramm auf dem Wege direkter Demokratie eine neue Verfassung billigen lassen. Die AfD möchte nach dem Vorbild der Schweiz „dem Volk das Recht geben, (…) vom Parlament beschlossene Gesetze zu ändern oder abzulehnen“ und „eigene Gesetzesinitiativen einzubringen und per Volksabstimmung zu beschließen“. „Das Volk“ soll uneingeschränkt das letzte Wort bei sämtlichen vom Bundestag beschlossenen Gesetzen bekommen.
Was in höchstem Maße demokratisch klingt, birgt in Wahrheit schwere Gefahren. In der Schweiz hat die Rechtsaußen-Partei SVP vorgemacht, wie man mit Volksabstimmungen Vorurteile gegen „Fremde“ schürt. 2009 ging es in einem Votum eigentlich um das Bauverbot für Minarette. Doch die SVP-Kampagne agitierte gegen Burka und Scharia und schürte auch außerhalb ihrer Wählerschaft antiislamische Vorurteile. Mit Erfolg: Der Minarettbau wurde untersagt.
Auch bei komplexen Sachverhalten geht es in den Schweizer Abstimmungen nur um Ja oder Nein. Das kommt allen zupass, denen Kompromisse aus der demokratischen Auseinandersetzung ohnehin suspekt sind. Und es macht anfällig für Manipulationen. Bei der Brexit-Abstimmung in Großbritannien scheint am Ende nicht die beste Argumentation, sondern die beste Agitation gewonnen zu haben. Die Gefahr, durch falsche Behauptungen nicht rückgängig zu machende Entscheidungen herbeizuführen, ist bei Volksabstimmungen groß. Damit dürfte gerade die AfD kalkulieren. Im Bundestagswahlkampf hat sie bewiesen, wie meisterlich sie gezielte Desinformation beherrscht.
Volkswille statt Meinungsfreiheit
Der Verein Mehr Demokratie wirft der AfD vor, nichts anderes zu wollen als „die direkte Demokratie gegen die parlamentarische Demokratie in Stellung“ zu bringen. Die AfD wird nicht widersprechen, wenn die NPD die „volksabgehobenen Parlamente“ als reines „Exekutionsorgan“ für Parteien und Interessengruppen schimpft. Das klingt angesichts der herrschenden Parteienverdrossenheit populär.
Der neurechte Ideologe Karlheinz Weißmann wittert die Chance, „das Volk“ durch direkte Demokratie zu mobilisieren und einen „nationalen Konsens mithilfe des Plebiszits herzustellen“. Steht der Volkswille einmal fest, schließt er bei Streitfragen alle aus, die anderer Meinung sind. Parlamente sind auch dazu da, einen Missbrauch der Demokratie zu verhindern. Mit Volksabstimmungen ließe sich diese Kontrollfunktion aushebeln.
Die NPD schreibt in ihrem Parteiprogramm: „Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus.“ Das ist schon deshalb antidemokratisch, weil es alle ausgegrenzt, die nicht als Teil dieser „Volksgemeinschaft“ gesehen werden. Hinzu kommt: Wer das Volk als homogene Einheit denkt, steht gesellschaftlicher und politischer Vielfalt feindlich gegenüber.
Der Weg zur Diktatur ist nicht weit
Tatsächlich kennt die Geschichte keine von vornherein widerspruchsfreie Gesellschaft. Wo man sich auf einen Volkswillen berufen konnte, der mit dem Willen der Herrschenden identisch ist, mussten die Machthaber die unterschiedlichen Interessen erst im Nachhinein und von oben zusammenzwingen. Das wäre dann eine Diktatur.
Wer Ende 2014 zur Rede des AfD-Rechtsauslegers Björn Höcke nach Stuttgart fuhr, bekam Folgendes zu hören: „Nachdem wir unser Volk wieder mit der Demokratie versöhnt haben (und) auch zu nationalen Fragen zu den Wahlurnen bitten mittels Volksentscheiden, nachdem wir die Bestenauslese wieder sichergestellt haben, danach müssten wir wieder einen Politikertypus installieren, für den vor alledem eins im Mittelpunkt steht: (…) der Dienst für Volk und Vaterland.“ Es geht Höcke also um weit mehr als um die Durchsetzung eines angeblichen Volkswillens.
Warum Rechte keine Parlamente mehr wollen
Stattdessen greift er mit seiner „Bestenauslese“ ein zentrales Motiv der sogenannten Konservativen Revolution auf, einer rechtsextremistischen Denkströmung in der Weimarer Republik. Die damaligen Protagonisten sprachen der repräsentativen Demokratie ab, Eliten hervorzubringen und träumten – darauf weist Weißmann hin – von einer „Verbindung aus charismatischer Herrschaft und plebiszitärer Legitimation“. Ein organisch „dem Volk“ erwachsener „Führer“ erhält durch eine Volksabstimmung ewiggültige „demokratische“ Weihen.
Das geht weit über eine Kritik an der Parteiendemokratie hinaus. Wo unter dem Blendbegriff der „Volkssouveränität“ die Parlamente angegriffen werden, ist eine antiliberale und antipluralistische, am Ende gleichgeschaltete Gesellschaft das Ziel. Im Fadenkreuz der Neurechten stehen Parlamente und andere demokratische Institutionen, weil sie dafür sorgen, dass aus Meinungsvielfalt Entscheidungen werden, ohne Grundwerte wie den Minderheitenschutz über Bord zu werfen.